Sklaven auf Italiens Feldern

Migrant workers harvesting tomatoes in Italy, June 2012
Paradeisernte in Italien, June 2012. Foto: Valerio Rinaldi

ErntearbeiterInnen ohne Rechte ■ MigrantInnen schuften in der Landwirtschaft Tausende Arbeitsverhältnisse in (süd-)europäischen Ländern sind prekär. ArbeiterInnen haben keine Chance, ihre Rechte einzufordern. Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit der Situation von SaisonarbeiterInnen aus Nicht-EU-Ländern in Süditalien und zeigt den Zusammenhang zwischen der italienischen Migrationspolitik und der Ausbeutung der MigrantInnen auf.

Von Sabine Vogler, erschienen in der UHUDLA Ausgabe 100/2014

Rosarno gilt heute als Symbol für den Aufstand von ArbeitsmigrantInnen. Die kleine Stadt mit rund 15.000 Einwohnern im süditalienischen Kalabrien inmitten von Zitrusfruchtplantagen beherrschte im Jänner 2010 die Schlagzeilen der nationalen Medien: Am 7. Jänner 2010 schossen Jugendliche mit Luftgewehren auf afrikanische Saisonarbeiter, die gerade von der Erntearbeit zurückkehrten. Zwei Menschen wurden schwer verletzt. Dies löste eine Spirale der Gewalt aus: Hunderte MigrantInnen marschierten durch Rosarno, um gegen die ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse zu protestieren.
Teile der lokalen Bevölkerung reagierten mit einer „Menschenjagd“, besser gesagt, „MigrantInnenjagd“ in und rund um Rosarno. In den Folgetagen wurden zwei Migrant­Innen mit Eisenstangen geschlagen, fünf absichtlich von Autos überfahren und zwei weitere von Gewehrkugeln verletzt. Über 1.000 afrikanische WanderarbeiterInnen wurden in Flüchtlingslager in andere Landesteile gebracht, und die Notquartiere der MigrantInnen großteils abgerissen. Einheimische jubelten und klatschen, als die Busse mit den MigrantInnen abfuhren.

Sieben mal zwölf Stunden Arbeit in der Woche für nur 140 Euro

Die Vorfälle in Rosarno machten die italienische Öffentlichkeit erstmals auf die Situation der ausländischen ErntearbeiterInnen aufmerksam. „Im Jänner 2010 habe ich in Rosarno Orangen geerntet“, berichtete Kojo, ein Erntearbeiter aus Togo. „Wir wohnten in einer stillgelegten Fabrik. Ein Sudanese war der ,Capo dei neri‘ („Gangmaster“, Arbeitskräftevermittler); er nahm uns, zirka 20 bis 25 Menschen, um fünf Uhr morgens auf das Land mit. Dafür mussten wir ihm fünf Euro pro Tag zahlen. Wir arbeiteten von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends, an allen Tagen der Woche, für 20 Euro am Tag. Wir durften keine Pausen machen, nicht einmal um zu essen.“
Im Jänner 2010 versprach der damalige Landwirtschaftsminister Luca Zaia: „Wir haben die institutionelle und moralische Pflicht, diese moderne Form des Sklaventums auf den italienischen Feldern auszumerzen.“ Im April 2010 wurden 31 Menschen wegen der Verletzung der Arbeits- und Sozialgesetzgebung angeklagt.
Im Juni 2012 wurde ein Gesetz, landläufig als „Rosarno-Gesetz“ bezeichnet, verabschiedet. Es sieht härtere Strafen für die illegale Beschäftigung von MigrantInnen, insbesondere im Falle ausbeuterischer Arbeitsbedingungen, vor. Grundsätzlich sollen nach diesem Gesetz auch Aufenthaltsgenehmigungen aus humanitären Gründen, zum Beispiel nach extremer Ausbeutung, erteilt werden, allerdings unter der Voraussetzung, dass die ArbeiterInnen die Firmenleitung anzeigen und mit den Behörden während des Strafverfahrens kooperieren – was die Wirksamkeit des neuen Gesetzes konterkariert.
Zwei Jahre nach den gewaltsamen Zusammenstößen besuchte eine Delegation der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Rosarno. Die ErntearbeiterInnen waren zurückgekehrt; im Februar 2012 befanden sich mindestens 1.000 MigrantInnen in und rund um Rosarno, wo sie Orangen pflückten. Die ArbeiterInnen kommen im Herbst und verlassen im Frühling nach Ende der Saison die Gegend. Rund 200 MigrantInnen, die Opfer der Gewalt in Rosarno wurden, hatten in Folge einer Kampagne der Zivilgesellschaft eine Aufenthaltsgenehmgung aus humanitären Gründen erhalten.

Durch die Migrationsgesetzgebung wird ausbeuterische Arbeit gefördert

Kojo gehörte nicht dazu: Nach Rosarno verbrachte er sechs Monate in einem Abschiebezentrum, doch wegen der fehlenden Kooperation der Behörden in Togo konnte ihn Italien nicht abschieben. Schließlich wurde er im Juni 2010 mit einem sogenannten „Foglio di via“ auf die Straße gesetzt, also der Anweisung, Italien innerhalb von fünf Tagen zu verlassen. Als ihn Amnesty-MitarbeiterInnen bei einem weiteren Besuch vor Ort im Juli 2012 trafen, arbeitete er immer noch in der italienischen Landwirtschaft.
Die Arbeitsbedingungen in Rosarno bleiben ausbeuterisch, während sich die Wohnbedingungen zwischenzeitlich verbessert hatten. Die beiden gigantischen Schlafsäle in den Ruinen stillgelegter Fabriken waren aufgelassen, dank der Beteiligung der lokalen Behörden und des Drucks der Zivilgesellschaft waren eine Zeltstadt mit 280 Plätzen und ein Schnellcontainerlager für 120 Menschen errichtet worden. Doch diese wurden rasch zu klein, und ab Sommer 2012 fehlte angesichts der Finanzkrise den Gemeinden das Geld, die Unterkünfte zu erhalten. Appelle an die Regionalverwaltung und die Regierung in Rom verhallten ungehört, und laut Medienberichten aus 2013 versinkt die Zeltstadt im Schlamm.
Italien hat viele „Rosarnos“. In zahlreichen Gegenden Mittel- und Süditaliens werden MigrantInnen ausgebeutet: sie werden von der Firmenleitung in der sie Beschäftigung finden exzessiv kontrolliert, sie erhalten Niedriglohn (um 40 Prozent niedriger als italienische ArbeiterInnen) beziehungsweise wird der Lohn oft verspätet ausbezahlt. Sie schuften lange Arbeitszeiten. Es betrifft nicht ausschließlich afrikanische MigrantInnen. Zum Beispiel sind in der landwirtschaftlichen Gegend rund um Latina, einer Stadt 70 Kilometer südlich von Rom, MigrantInnen aus dem Punjab (Indien) tätig. Viele von ihnen arbeiteten von Montag bis Samstag sowie Sonntag halbtags für einen Stundenlohn von 3 bis 3,5 Euro.
Zahlreiche indische ArbeiterInnen verfügen über eine Aufenthaltsgenehmigung. Doch auch die regulären MigrantInnen wurden von den ArbeitgeberInnen um den Lohn geprellt. Sie erhielten weniger als am Lohnzettel stand, oder wies der Lohnzettel, von dem die Sozialversicherungsbeiträge berechnet wurden, weniger Stunden auf, als sie gearbeitet hatten.
Nicht-EU-BürgerInnen, die in Italien arbeiten wollen, dürfen nur dann einreisen, wenn sie einen Vertrag über ein Beschäftigungsverhältnis in Italien vorweisen können. Der offizielle Prozess sieht vor, dass die Firmen bei den Behörden um Genehmigung für die Anstellung ansuchen. Dazu muss ein Entwurf des Vertrages sowie eine Garantie über eine adäquate Unterkunft und die Kostenübernahme für die Rückreise vorgelegt werden.
Es wird geprüft, ob kein/e andere/r italienische/r StaatsbürgerIn oder EU-BürgerIn diesen Job will, und ob der Antrag den jährlich festgelegten Quoten für den Arbeitsmarkt entspricht. Im Falle einer positiven Entscheidung stellt die Behörde die Arbeitsgenehmigung („Nulla osta al lavoro“) aus, und die Konsularbehörden in den Heimatländern gewähren das Visum. In Italien angekommen, müssen die MigrantInnen um Aufenthaltsgenehmigung ansuchen. Dies wird für zwei Jahre gewährt.

Illegale ErntehelferInnen befinden sich in einer schlechten Position

Dieses System liefert die ArbeiterInnen den Beschäftigungsfirmen aus. Sie verbleiben in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, in der Hoffnung auf die versprochenen Papiere. „In den ersten vier Jahren in Italien arbeitete ich in einer Fabrik, die Zwiebeln und Erdäpfel für den Export verpackte. Ich erhielt 800 Euro pro Monat bei zwölf bis 14 Arbeitsstunden pro Tag“, berichtete ein indischer Migrant. „Es war eine sehr harte Arbeit. Der Arbeitgeber erklärte mir immer wieder, wenn ich hart und gut arbeitete, würde er die Papiere für mich besorgen. Was er nie machte.“
Nicht überraschend lässt dieses System den Schwarzhandel blühen. Es besteht reger Handel mit Visa und Aufenthaltsgenehmigungen. MigrantInnen, insbesondere ohne regulären Aufenthaltsstatus, haben keine Chance, sich gegen die ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse zu wehren. Denn als Illegale befinden sie sich in einer schwachen Position, da über ihnen das Risiko der Abschiebung schwebt. Die Geschichte von „Sunny“ zeigt die Aussichtslosigkeit: „Mein Arbeitgeber zahlte mir die letzten sieben Monate nur einen Teil meines Gehalts aus – gerade 100 Euro zur Abdeckung meiner Lebenskosten.
Meine Familie in Indien musste sich bei anderen Familien Geld ausborgen. Ich habe keinen rechtsgültigen Arbeitsvertrag, daher kann ich nicht gehen, sonst würde ich das gesamte Geld verlieren. Ich kann nicht zur italienischen Polizei gehen, weil ich auch keine Papiere habe: Sie würden von mir Fingerabdrücke nehmen, und ich müsste das Land verlassen.“
Amnesty International fordert die italienischen Behörden auf, das Recht auf faire Arbeitsbedingungen für alle MigrantInnen, unabhängig von deren Aufenthaltsstatus, zu gewähren.

Information:
engagierter GewerkschafterInnen von ai
Gewerkschafter­Innen.amnesty.at

Ein Gedanke zu “Sklaven auf Italiens Feldern

Kommentar verfassen