Rechte Politik zerstört die Gesellschaft

© Karl Berger

Corona-Ampel „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, übertitelte „Welt“-Herausgeber Stefan Aust am 6. September 2020 seinen Essay, in dem er die Verantwortlichen der deutschen Corona-Politik als irrlichternde Ahnungslose entlarvt. Die österreichische Bundesregierung nimmt demgegenüber für sich in Anspruch, einen Generalplan zur Virusabwehr zu besitzen.

Von Hannes Hofbauer

Das seit Anfang September eingeführte Ampelsystem mit seinen vier Farben Grün, Gelb, Orange und Rot soll die Gefahrenlage auf Bezirksebene abbilden und präventiv per Verordnung entsprechende Einschränkungen erlassen.

Eine 19-köpfige Kommission macht es sich zur Aufgabe, die „epidemische Lage täglich zu evaluieren“, wie Gesundheitsminister Rudolf Anschober von den Grünen stolz verkündete. Ein mathematisches Modell errechnet dabei aus drei Faktoren eine regionale Gefährlichkeit, die dann in sogenannte Ampelschaltungen mündet: Grün für geringes Ansteckungsrisiko, Gelb für mittleres, Orange für hohes und Rot für sehr hohes Risiko. Gewertet werden die Positivtestungen pro 100.000 EinwohnerInnen (im Verhältnis zur Gesamtzahl der Tests), die Kapazität der Krankenhäuser und die Rückverfolgbarkeit der Ansteckungsherde. Ob Bezirke, in denen sich keine Krankenhäuser befinden, dadurch eher zu Grün oder zu Rot tendieren, darüber gibt die Statistik bislang noch keine Auskunft.

Der ursprüngliche Plan war, die Corona-Ampeln einmal die Woche umzuschalten.

Jeden Donnerstag überreicht die Kommission ihren Vorschlag an die Regierung, deren Bundeskanzler und Gesundheitsminister tags darauf, am Freitag, vor die Presse treten und die neue, bunte Corona-Landkarte präsentieren. Ein medizinisch-mathematischer Cluster gibt also die Zahlen vor, die Politik verantwortet die Umsetzung; so sieht die neue Regierungsform aus in Österreich aus.

Das 19-köpfige Expertenteam besteht aus fünf Beamten, fünf Medizinern und neun Entsandten aus den Bundesländern. Kein einziger von ihnen ist demokratisch für seine Tätigkeit legitimiert, von den allerwenigsten sind die Namen bekannt. Als Vorsitzende wurden der Öffentlichkeit ein Ulrich Herzog und ein Clemens Martin Auer vorgestellt. Ersterer ist Beamter im Gesundheitsministerium, ausgebildeter Veterinärmediziner und trat zuletzt im Rahmen der Wintertagung seines Ministeriums mit dem Vortrag „Tiergesundheit in der österreichischen Schweinehaltung“ auf. Die Menschenhaltung ist nicht sein unmittelbares Fachgebiet. Co-Vorsitzender Auer wiederum ist ein in der schwarzen Wolle gefärbter ÖVP-Parteigänger. Er leitete ein Jahrzehnt lang die Politische Abteilung der Österreichischen Volkspartei und sitzt im Exekutivrat der Weltgesundheitsorganisation.

Wer wissen will, was passiert, wenn die Herren (und Damen?) des Expertenrates die Ampel auf Rot schalten wollen, wird enttäuscht sein von der immer wieder vor sich hergetragenen, angeblichen Transparenz der Maßnahmen. Die Mitglieder der Kommission haben sich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Auf der Internetseite des Sozialministeriums hingegen kann man die Frage „Was passiert bei der Ampelfarbe Rot?“ anklicken. Antwort gibt es allerdings keine. Stattdessen steht zu lesen: „Wenn die Kommission für eine bestimmte Region die Ampelfarbe Rot empfiehlt, bedeutet das, dass das Risiko sehr hoch eingeschätzt wird. Dementsprechend folgen Maßnahmen, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Die einzelnen Maßnahmen sind unter corona-ampel.gv.at nachzulesen.“ Nichts leichter als dass, denkt sich der Unbedarfte, obwohl er sich gleichzeitig fragt, warum das Ministerium diese Auskunft nicht erteilen kann. Der ministerielle Hinweis auf die „Corona-Ampel“-Information wiederholt das hohe epidemiologische Risiko bei der Farbe Rot in ausführlicheren Worten und stellt in der Unterzeile fest: „Diese Seite dient vorrangig zur Information von Bürgerinnen und Bürgern und ist nicht rechtsverbindlich. Die rechtlich verbindlichen Corona-Maßnahmen finden sich in der aktuellen Lockerungsverordnung.“ Ein Link dorthin eröffnet Gesetzestexte vom 30. April und 29. Juli 2020, also lange bevor die Corona-Ampel ausgedacht wurde. Drei Wochen nach ihrer Implementierung schwebt diese also ohne jede gesetzliche Grundlage über den Menschen und hält das Land in Atem.

Kufstein und Zwettl werden orange – viele umstrittene Entscheidungen

Mit der freitäglichen Verkündung vom 11. September schaltete die türkis-grüne Regierung die Ampel für mehrere Bezirke erstmals auf gelb, darunter neben den Städten Wien und Graz auch Kufstein in Tirol. Aus der Gerüchteküche hörte man, dass bei Wien um die orange Farbe gestritten wurde. Der Streit ging schon drei Tage später, am 14. September in die nächste Runde; Wien wurde – wie Kufstein und fünf andere Bezirke – auf „Orange“ geschaltet. Gleichzeitig verkündete der Gesundheitsminister, montags darauf in ganz Österreich eine verschärfende Maskenpflicht einführen zu wollen, weil die Positivtestungen sprunghaft angestiegen seien. Das konterkariert zwar das regional ausgerichtete Ampelsystem und hebelt auch die zusätzlichen Faktoren aus, die über niedriges oder hohes Risiko entscheiden, wird aber stillschweigend abgenickt.

Die immer lauter werdende Kritik an der Corona-Ampel bleibt jedoch immanent. So weist der Vorstand der Lungenabteilung des Universitätsklinikums Linz darauf hin, dass die Kommission – notgedrungen – mit Testungszahlen arbeitet, die zwei Wochen alt sind. Das heißt, die politisch als Frühwarnsystem verkaufte Ampel reflektiert eine Situation, die sich bereits wieder – zum Guten oder Schlechten – geändert hat, sobald die Schaltung erfolgt ist. Bis also beispielsweise ein starker Anstieg von positiv Getesteten aufgrund einer Hochzeitsfeier dazu führt, dass die Ampel um eine Farbe dunkler geschaltet wird, kann der Infektionsherd bereits wieder eingedämmt und unter Kontrolle gebracht worden sein. Der jeweilige Bezirk muss dann strafweise für bereits wieder für gesund erklärte Hochzeitsgäste repressive Maßnahmen ertragen.

Vertreter der Großstadt Wien sowie von Graz und Linz verstehen zudem nicht, was es für einen Sinn macht, die administrative Stadtgrenze als epidemiologische Scheidelinie zu definieren. So pendelt täglich eine Viertelmillion Menschen in die Bundeshauptstadt zwischen „Grün“ , „Gelb“ und „Orange“ hin und her. Umgekehrt fahren Zigtausende WienerInnen zum Einkaufen in Shopping-Center, die außerhalb der Stadtgrenze liegen, müssen also dort – sollte die Ampel grün leuchten – keine Maske tragen, während diese in Wien vorgeschrieben ist. Mit der Generalverordnung des Gesundheitsministers muss auch – wer soll das nun verstehen? – in „grünen“ Bezirken im Geschäft die Maske getragen werden.

Da und dort mehren sich auch Zweifel an der medizinischen Sinnhaftigkeit des ganzen Corona-Regimes. Die steigende Zahl bei Positivgetesteten, immer noch gerne widersinnig mit Patienten gleichgesetzt, führen zu keinen vermehrten Todesfällen. Seit Wochen stirbt in Österreich kaum jemand mit oder an dem Virus. Bis zum 18. September 2020 wurden 758 Tote der Seuche zugeschrieben. Insgesamt starben im selben Zeitraum österreichweit 45.000 Menschen, die Todesrate (im 1. Halbjahr) liegt bei 0,48%, exakt gleich wie in den Jahren 2017 und 2018, 2019 lag sie mit 0,47% geringfügig darunter – zum Vergleich Deutschland mit 0,58%, Großbritannien mit 0,55% und Schweden mit 0,48%.

Die Corona-Ampel dient hauprsächlich zur Spaltung der Gesellschaft

Was der Ampel-Wahn – neben all der Verwirrung über Farben und Zuordnungen – erreicht hat, ist eine Spaltung der Gesellschaft, die das ganze Land in gute und schlechte, gesunde und infektiöse, brave und schlimme Bezirke und darin lebende Menschen teilt. In regionaler Hinsicht ist dies am offensichtlichsten. Österreich hat 79 politische Bezirke, das sind Verwaltungseinheiten, die bislang im Alltag und im Mobilitätsverhalten so gut wie keine Rolle gespielt haben. Mit der Corona-Ampel werden nun Trennlinien gezogen und unterschiedliche repressive Maßnahmen dekretiert. Jeder Bezirkshauptmann als ausführendes Organ, das nebenbei bemerkt ohne Volkswahl vom Landeshauptmann bestimmt wird, wird zum Exekutor von Freiheit oder Quarantäne. Er ist zudem ermächtigt, nach eigenem Gutdünken eine Verschärfung der Maßnahmen zu verfügen, Erleichterungen darf er hingegen nicht setzen. Der Kampf um den „gesunden“ Bezirk hat begonnen, entsprechende Aufrufe an die Zivilgesellschaft, „ungesundes“ Verhalten wie schlecht sitzende Masken oder Menschenansammlungen zu melden, folgen demnächst. Dann kann sich die alte autoritäre Blockwartmentalität mit den neuen, biedermeierlich-grünen Verbotsideen paaren.

Die Corona-Ampel spaltet aber auch in sozialer Hinsicht. Zum einen dort, wo sie bestehende gesellschaftliche Segregationen, die sich regional längst niedergeschlagen haben, verstärkt. Wenn freitags in einem sogenannten Problembezirk die Ampel auf Orange oder Rot schaltet, hat das freilich andere Auswirkungen auf das öffentliche Leben, als wenn dies in einem Bezirk geschieht, in dem mehrheitlich wohlbestallte Villenbesitzer leben. Vom Stadt-Land-Gefälle ganz zu schweigen, treffen doch Besuchs- oder Ausgehverbote in Agglomerationen, einer Anhäufung und Zusammenballung von BewohnerInnen in unterschiedlichen Zahl in verschiedenen Regionen generell die Bevölkerung schwerer als Menschen, die in Dörfern zwischen Wiesen und Äckern leben. Gespalten wird aber auch, wenn im Bezirk A SchülerInnen mit Maske in den Unterricht gehen müssen, während dies im Nachbarbezirk B nicht der Fall ist. Der Konkurrenzgedanke wird lebensumfassend.

Die einmal in Betrieb genommene Gesundheitsampel für regionale Klassifikationen ist generell auch sozial ausweitbar. Aus volksgesunden und volkskranken Gebieten können in einem nächsten Schritt personalisierbare Volkskranke und Volksgesunde gemacht werden. Sobald dies die Datenlage hergibt, wird jeder Einzelne zum Förderer oder Gefährder der Volksgesundheit (gemacht). Und die Datensammler sind unermüdlich. Statt runder, vierfärbiger Ampeln für Bezirke könnte man dann für Menschen Sterne in vier Farben bereitstellen. In China wurde die Bevölkerung bereits daran gewöhnt, per persönlich zu tragenden bunten Applikationen den öffentlichen Raum vollständig, beschränkt oder gar nicht benützen zu dürfen.

Die österreichische Corona-Ampel ist die Erfindung einer türkis-grünen Koalitionsregierung. Diese hat in einer ersten Phase Angst und Schrecken vor der Seuche verbreitet, um die Bevölkerung willfährig für einschneidende Maßnahmen zu machen. Nachdem sieben Monaten später feststeht, dass es zu keiner Übersterblichkeit gekommen ist, muss das Virus nun für eine neue, eine moderne autokratische Politikform herhalten. Diese erhält die Angst aufrecht, überzieht das ganze Land mit der Grundidee, im gegenseitigen Wettbewerb um Fallzahlen zu stehen, und verkündet einmal die Woche Verschärfungen oder Entschärfungen von sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Einschränkungen. Noch ist nicht absehbar, wie lange sich das die Mehrheit der Menschen gefallen lassen wird.

Hannes Hofbauer gibt zusammen mit Stefan Kraft das Buch heraus: „Lockdown 2020. Wie ein Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern“. Es erscheint Ende September im Wiener Promedia Verlag.

Kommentar verfassen