Musik & Drahdiwaberl verändern die Welt

Rudolf Karazman

Rudolf  Karazman Es war mein Geburtstag. Ich wurde 15. Ich fand es schrecklich, so alt zu werden, ich war pubertäts-depressiv. Aber es war auch der Tag eines großen Rock- und Jazz-Events im Konzerthaus bei freiem Eintritt. Es spielte alles was damals in Wien spielen konnte. Von Fatty George, Jesus HC, bis zu… ja, Drahdiwaberl. Mein politischer Geburtstag.

Stefan Weber betrat unter Jubel in seinem Cowboy-Sheriff-Rock-Outfit mit einem Kleiderpuppenständer die Bühne …
… Mit weißen Handschuhen umfasste er das Mikro, die Band begann mit „American Boy Soldier“ und Stefan röhrte grauslich und spuckte die Wörter weit ins Publikum. Plötzlich nahm er einen Riesen-Dolch und stach auf die Kleiderpuppe ein, bohrte das Messer wiederholt in den Bauch, alles zu dröhnend unheimlicher Rockmaschine. Erschöpft hielt er inne, griff mit einer Hand in den Bauch der Kleiderpuppe und holte eine kleine US-Flagge hervor.

Weber hielt das Sternenbanner zum Publikum, welches laut buhte. Er ließ die Flagge fallen, sie war frisch bemalt und so wurden die weißen Handschuhe blutrot. Er hob seine Hände und begann im Takt Finger um Finger abzuziehen. Schließlich warf er beide Handschuhe weg. Das Ergebnis: Saubere Hände. Wieder Buhrufe.

Als Bub einer sehr katholischen Bauernfamilie am Eisernen Vorhang im Burgenland, mit seinen Detonationen, Fluchtversuchen und Kalaschnikows beim Korridor durch Sopron, war Kommunismus das Böse schlechthin. Ich war verwirrt. Meine Lieblingsmusiker standen gegen die USA und ihren Krieg in Vietnam auf. Jimi Hendrix, John Lennon, CSNY. Und nun auch Stefan Weber, ein Hero in unserer Pubertät. Ich begann in unserer Trafik das einzige Exemplar der „Volksstimme“ zu kaufen, sehr zur Verwunderung des Trafikanten.

Und ich lernte einen zweiten Blick auf die Wahrheit. Und ich kaufte meine ersten zwei Bücher vom eigenen Taschengeld. „Die Kehrseite der USA“ von L.L.Mathias, einem Professor aus der BRD, und „Do it! – Scenarios of the revolution“ von Jerry Rubin aus den USA. Jerry Rubin sah aus wie Stefan Weber. Sie brachten mich weg von den USA zu den Vietkong. Sie brachten mich weg von Richard Nixon zu Martin Luther King, Muhammad Ali und Woodstock.

Sie brachten mich weg von der NATO zur Friedensbewegung. Musik verändere nicht die Welt? Oh, meine schon. Bald wird ich 68.

Rudolf Karazman, 1955 in Nikitsch/Filež geboren. Facharzt für Psychiatrie, Existenzanalytiker und Arbeitsmediziner. Gründete 1995 das Institut IBG, das größte Unternehmen im Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements in Österreich. Gründer der Initiative „Der Mensch zuerst – Spitalspersonal gegen Ausländerfeindlichkeit“. Musiker, Texter der „Bolschoi Beat” und Saxofonist bei „Drahdiwaberl”.

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