Keine Schule, keine Zukunft ■ Operation Murambatsvina – Nach den Massenzwangsräumungen von 2005 kann knapp eine Viertel Million Kinder und Jugendliche keine Schule mehr besuchen. Kinder aus informellen Siedlungen sind besonders betroffen.
Von Sabine Vogler, erschienen in der UHUDLA Ausgabe 97/2012
2005 machte die Regierung von Simbabwe unter dem Titel „Operation Murambatsvina“ (wörtlich: „Weg mit dem Müll“) zahlreiche Armensiedlungen dem Erdboden gleich und entzog 700 000 Menschen ihre Lebens- und Existenzgrundlage. Menschen hatten in diesen Siedlungen gewohnt und ihren Lebensunterhalt meist mit Dienstleistungen (Markt, kleine Gewerbebetriebe) bestritten. Bei der Operation Murambatsvina wurden zahlreiche Schulen zerstört. Landesweit ging zur Zeit der Massenzwangsräumungen die Zahl der eingeschriebenen SchülerInnen um 25 Prozent zurück, so ein UNO-Bericht. Seitens der Regierung wurden im Rahmen der Operation Garikai / Hlalani Kuhle („Für ein besseres Leben“) einige wenige Ersatzsiedlungen initiiert. Hopley, am Stadtrand von Harare, ist eine von ihnen, wo rund 5 000 Menschen nach über sechs Jahren noch immer unter Plastikverschlägen hausen. Im Vorjahr zeigte ein Bericht von Amnesty International die hohe Säuglingssterblichkeit in Hopley auf. Wegen der Armut der Frauen gebären diese ohne Hilfe und einige Neugeborene überleben angesichts der harten Bedingungen (Kälte, mangelnde Hygiene) nur wenige Tage.
Schulgeld beträgt zwischen 25 und 55 Dollar für drei Monate
Eine andere Garikai-Siedlung ist Hatcliffe Extension, die an derselben Stelle wie die ehemalige Hatcliffe Extension-Siedlung errichtet wurde. Zwangsvertriebenen BewohnerInnen, die nicht bei Angehörigen in ländlichen Regionen unterkommen konnten, wurde zwei Monate nach der Zwangsvertreibung erlaubt, in die zerstörte Siedlung zurückzukehren. Sowohl die ehemalige Siedlung der Hopley-BewohnerInnen, Porta Farm, als auch Hatcliffe Extension hatten über eine von der Regierung anerkannte Schule verfügt, die von Nicht-Regierungsorganisationen betrieben wurde.
Heute gibt es weder in Hopley noch in Hatcliffe Extension eine staatliche Schule. Kinder müssten Schulen außerhalb der Garikai-Siedlungen besuchen. In vielen Fällen können sich die Familien die staatlichen Schulen nicht leisten. Das Schulgeld beträgt zwischen 25 und 55 Dollar für drei Monate; weiters müssen die Erziehungsberechtigten für die Kosten der Schuluniform aufkommen.
Die Regierung betreibt zwar ein Programm, um Kinder der Primär- und Sekundärstufe mit der Übernahme von Kosten beim Schulgeld und bei den Prüfungsgebühren zu unterstützen. Aber von den laut Regierungszahlen 80 000 Begünstigten landesweit zählen nur wenige Kinder aus den informellen Siedlungen dazu: Denn eine Voraussetzung, um die staatliche finanzielle Hilfe zu erhalten, ist die Vorlage der Geburtsurkunde. Allerdings besitzen viele Kinder keine Rechtsdokumente, da diese im Chaos der Zwangsvertreibungen und Zerstörungen verloren gegangen sind.
Unter Plastikplanen unterrichten nichtausgebildete Freiwillige
Immer wieder mussten Kinder aus den Garikai-Siedlungen den Unterricht in den staatlichen Schulen beenden, weil die Erziehungsberechtigten nicht länger das Schulgeld aufbringen konnten. Monatliche Ratenzahlungen werden nicht gewährt. Selbst wenn sie das Schulgeld zahlten, kam es immer wieder vor, dass Kinder vom Schulbesuch ausgeschlossen wurden, weil ihre Schuluniform nicht sauber war.
In Folge der Massenzwangsvertreibungen der Operation Murambatsvina 2005 wurde die Schulbildung von rund 222 000 Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen fünf bis 18 Jahren unterbrochen. Einige kehrten nie in eine Schule zurück. Sharon war 17, als die Operation Murambatsvina ihre Schulbildung abrupt beendete: „Ich zahlte das Schulgeld für meine jüngeren Brüder, die damals elf und fünf Jahre alt waren. Auch sie mussten mit der Schule aufhören. Ich schrieb sie zwar 2010 in einer Schule ein, kann mir aus dem Verkauf von Gemüse das Schulgeld nicht leisten.“
Als Reaktion darauf nahmen die BewohnerInnen der Garikai-Siedlungen die Bildung ihrer Kinder selbst in die Hand und errichteten Behelfsschulen vor Ort. Die Qualität dieser Schulen ist nicht vergleichbar mit jenen in den staatlichen Schulen. Sie sind mangelhaft ausgestattet, es fehlt an Unterrichtsmaterialien, ausgebildeten LehrerInnen und adäquater Ausstattung. Unter Plastikplanen oder Strohdächern übernehmen nichtausgebildete Freiwillige den Unterricht in überfüllten Klassen.
Für die Erziehungsberechtigten sind diese Schulen eine Notlösung. Sie wissen um deren Qualitätsmängel: „Es wird dort kaum was gelernt. Wir senden die Kinder in diese Schule, um die Zeit zu überbrücken. Es ist besser als nichts“, meinte eine junge Frau aus der Hopley-Siedlung gegenüber Amnesty International.
Ein Vorteil dieser Schulen liegt auch darin, dass das Schulgeld, das mit 30 Dollar für ein Quartal durchaus in einer vergleichbaren Größenordnung wie für eine staatliche Schule liegt, in Raten bezahlt werden kann.
Falls Kinder aus den informellen Siedlungen eine staatliche Schule besuchen, schneiden sie dort deutlich schlechter als ihre MitschülerInnen ab. Dies liegt an den zahlreichen Auszeiten der betroffenen Kinder. Auch sind die häuslichen Umstände, das Leben unter den Plastikplanen, nicht geeignet, das Lernen der Kinder und Jugendlichen zu fördern.
Viele Schülerinnen und Schüler ha–ben kaum Zeit für die Hausarbeiten, da sie nach der Schule Geld für den Unterhalt verdienen. Dies ist in zahlreichen Familien der Fall, die in Folge der AIDS-Epidemie ohne Eltern leben. In Haushalten mit Großeltern und ohne Erwachsene müssen Jugendliche die Rolle des Haushaltsvorstands übernehmen.
Wegen der Armut zu Hause werden Kinder aus informellen Garikai-Siedlungen in den staatlichen Schulen stigmatisiert und diskriminiert. Sie werden als „blöd“ und „schmutzig“ beschimpft. Da sie manchmal kein Wasser oder keine Seife zu Hause haben oder weite Wege auf schlammigen Wegen zur Schule zurücklegen müssen, kommen sie nicht gepflegt in adretten Uniformen in der Schule an. Angesichts der Beleidigungen entscheiden sich Kinder und Jugendliche gegen die Fortsetzung des Schulbesuchs.
„2005 musste meine ältere Schwester mit der Schule aufhören, und mein Vater konnte nicht länger seinen Job ausüben, weil er sich das Busticket nicht leisten konnte“, berichtete der heute 20-jährige David. „Ich hörte 2009 mit der Schule auf, weil meine Eltern die Prüfungsgebühren nicht zahlen konnten. Das waren zehn Dollar pro Fach, und ich hatte sieben Fächer. Ich fühle mich unzulänglich, weil ich meine Ausbildung nicht abgeschlossen habe.“
Oft droht Sexarbeit als Gelderwerb für Mädchen und junge Frauen
Auf Grund der fehlenden Schulbildung haben die Kinder und Jugendlichen schlechte Chancen für die Zukunft. Mädchen und Frauen sind vom Bildungsnotstand besonders betroffen. Unmittelbar nach den Massenvertreibungen sahen sich Mädchen und junge Frauen gezwungen, durch Sexarbeit Geld zu verdienen, um so die Familie zu unterstützen. Zahlreiche Mädchen und Frauen entschieden sich für eine Heirat um der Prostitution zu entgehen.
Eine Änderung des Bildungssystems ist kaum zu erwarten, da die Ministerien für Bildung und Kultur, für Soziales und Wohnen von Tsvangirais MDC-Partei besetzt sind, während die Bezirksverwaltungen dem von Mugabes ZANU-PF kontrollierten Ministerium für ländliche und städtische Entwicklung unterstellt sind, was einer ständigen gegenseitigen Blockade gleichkommt.
Sabine Vogler ist Sprecherin des Netzwerks Arbeit, Wirtschaft und soziale Rechte bei Amnesty International Österreich.
Amnesty International:
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