Der Schwarzkappler „Rambo”

HaltestelleDas ist eine Beschwerde an die Wiener Linien und deshalb auch die sachliche Argumentation. Die „verschärfte Variante” erfolgt demnächst im UHUDLA und auf selbiger Homepage. Leider bleibt es mir nicht erspart in meiner mehr als 30jährigen journalistischen Laufbahn in eigener Sache zu veröffentlichen. Das ist quasi die erste Reportage in „Ichform”.
Von Martin Wachter. Alle Fotos: Mario Lang

Mittwoch 16. März 2016. Es ist halb 9 Uhr morgens. Ich verlasse die Wohnung. Es regnet und schneit gleichzeitig. Die Temperatur ist im niedrigen Minus-Bereich. Ich habe einen Rucksack mit Klamotten und eine Umhängetasche dabei, weil ich für fünf Tage ins Südburgenland fahren will. Mein rechtes Auge ist an solchen zwielichtigen Tagen geschlossen, das bessere mit so um die 15 Prozent Sehunvermögen tut sich dann etwas leichter und ich stolpere nicht ganz orientierungslos durchs Leben. Ich stelle mich in der Trafik auf der Wiedner Hauptstraße 75 an und kaufe um 8.39 Uhr zehn „Pensionistenfahrscheine” um 14 Euro (siehe Beilage). Kurz danach erreiche ich die Straßenbahn in der Johann-Straußgasse. Ich frage welche Linie es ist, weil ich es vorher nicht sehen konnte. „Linie 62” höre ich und eine nette Dame macht mir den „Behindertensitz” frei. „Heute nehm ich den gerne an”, antworte ich höflich. Setz mich hin und putze meine beschlagenen Brillengläser. Danach krame ich in meiner Geldbörse nach den erstandenen Fahrscheinen für die Wiener Linien. Da hat die Straßenbahn die Station Laurenzgasse schon verlassen. In fahrenden Straßenbahnzügen ist es mir nur sehr schwer möglich, den Fahrschein zu entwerten. Ich greife oft an den Haltegriffen und Stangen vorbei, weil mir das räumliche Sehen sehr schwer fällt.

„Das interessiert mich nicht – Bist ein Schwarzfahrer”

Jetzt sitze ich ja gegenüber dem Entwerter. In der Station Kliebergasse rennt mich ein „Fahrscheinkontrolle!“ schreiender junger Mann um und stößt mich gegen die Seitenwand der Bim. Zwei Frauen äußern mit den Worten: „So geht das nicht”, ihren Unmut. Der vermeintliche Kontrollor poltert: „Das geht sie gar nichts an, des is a Schwarzfahrer” – und er schubst mich immer wieder gegen die Wand.  Am Matzleinsdorferplatz ersuche ich um einen Ausstieg. Eine der Frauen steigt mit aus und gibt mir den Rat die Polizei zu rufen. „Ich werd das schon klären sage ich, denn ich habe einen „Blindenausweis” mit eingetragener 90-prozentiger Blindheit.“  (siehe Anhang). Ich suche in den vielen Taschen meiner Jacke nach dem Reise- und Behindertenpass. „Das interessiert mich nicht – Bist ein Schwarzfahrer”, wütet der Kontrolleur. Er weigert sich konsequent mir seinen Kontrollorausweis der Wiener Linien zu zeigen. Ich hatte auch keine Lust mich mit eventuell griesgrämigen Polizisten zu unterhalten und nötige Protokolle anfertigen zu lassen. Außerdem hatte ich nicht viel Zeit, wollte den Bus ins Burgenland nicht verpassen. Zwei Stunden Wartezeit war mir auch zu lange und wegen der Kälte drohte für mich Lungenentzündungsgefahr.

FischerDer nichteingeschlagene Weg die Polizei zu rufen war mein Fehler. Die nette Dame bedrängte mich eine Anzeige wegen „Tätlichkeit” durch den Kontrollor zu erstatten, abgesichert mit ihrer Zeugenaussage. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön für alle Menschen die Zivilcourage beweisen und mit anständigen Gerechtigkeitssinn agieren. Nun, mir wurde die Angelegenheit zu peinlich. Leider war auch kein zweiter Kontrollor anwesend, mit dem eventuell auf eine vernünftige Art und Weise zu reden möglich gewesen wäre.

Ich wollte die Station verlassen und der„Sheriff von den FavoritnerGetthoJungs” schrie: „Das ist ein Fluchtversuch, das kostet jetzt 3.000 Euro. Dann drückte er mich wieder an die Wand des Durchgangs zum Matzleinsdorferplatz. Der gute Mann zückte sein Mobiltelefon und auf der Stelle machte er die Mitteilung: „Personalfeststellung Wiener Linien Matzleinsdorfer Platz. Gut sie kommen in fünf Minuten”, Telefon zu. Nach seinen Drohungen, dass das jetzt richtig teuer für mich wird, entgegnete ich zu letzten Mal: „Da is mein Reisepass und hier mein Behindertenpass. Er würdigte dem offiziellen Behindertenpass keine Aufmerksamkeit. „Willst mich für blöd verkaufen – Sowas kann ein jeder haben”.

Da war mir klar, der Typ ist sogar für einen Schwarzkappler zu blöd. Meine lakonische Bemerkung, dass „er mich nicht für blöd verkaufen solle, weil ich nur blind bin”, verpuffte im Nirwana. Nachdem er mir um 8.50 Uhr einen Strafzettel verpasst hatte, wiederholte er sein PolizeirufRitual und bestellte die „Ordnungshüter” ab. Er betonte, dass er mir einen großen Gefallen gemacht hat. Nur da war schon eine Viertel Stunde um und die Polizei war noch nicht da. Der Kontrollor hat nie mit jemanden am Telefon gesprochen. Das war eben seine Bedrohungsmasche. Einen Ausweis der Wiener Linien seinerseits hat er trotz mehrmaliger Aufforderung nicht vorgezeigt. „Das geht dich nix an” – mehr hatte er dazu nicht zu sagen.
Was ist, wenn sich mehrere „Halodris” Strafzettelblöcke teilen? So wäre auch die Provisionssumme eine größere. (Ich würde gerne die paar Fragen am Ende des Schreibens an die Wiener Linien beantwortet wissen).

Im Burgenland lasse ich mir das „Kleingedruckte” des Strafzettels vorlesen: „…in der offenen Forderung ausgewiesenen Betrag innerhalb von drei Werktagen einzuzahlen, anderenfalls wird die Forderung erhöht”.

Na prack, die Wiener Linien haben eine eigene Gesetzgebung.

Ist schon seltsam, dass die Wiener Linien so agieren wie es ihnen eben passt. Normalerweise gibt es in halbwegs zivilisierten demokratischen Staaten eine mindestens 14 Werktage Einspruchsfrist. Bleibt mir nix anderse übrig als rasch zu handeln.
Ich rufe am Freitag, den 18. März vom Burgenland aus die Rechtsabteilung der Wiener Linien an. Ich bekam eine Verbindung zu einem sehr höflichen Mann. Nachdem ich ihm kurz den Sachverhalt vom Mittwoch erklärt habe, wollte er die Nummer des Kontrollors der Wiener Linien wissen, weil wie er meinte,  dass solche Vorfälle intern geprüft werden sollten. Leider konnte ich die Nummer nicht durchgeben, weil ich zu diesem Zeitpunkt allein war und für mich logischerweise die geforderte Nummer „nicht ersichtlich” war, ich konnte sie nicht lesen. „Sie brauchen sich bei mir nicht zu entschuldigen, denn ich sage ihnen, ich komme am Montag und dann, werden wir ja sehen wie ernst die Wiener Linien ihren Service- und Beschwerdebereich ihrer Kunden nehmen“, erwiderte ich dem Mann von der Rechtsabteilung.

Montag 21. März, so um 10 Uhr vormittags. Ich fahre in Begleitung von meinem Freund Mario nach Wien-Erdberg ins Kundenzentrum der Wiener Linien. An der Rezeption will ich mich vorstellen. Der nette Herr von der Rechtsabteilung könnte ja für mich eine Nachricht deponiert haben…: „Guten Tag, mein Name ist Martin Wach… „Ziagns a Numma und woatns dort”, fällt mir der Rezeptionist ohne eine Miene zu verziehen ins Wort. Wir kommen schnell dran, und bei der „Sachbearbeiterin” werden wir auch gleich ruck-zuck erledigt: „Schreiben’s eine Beschwerde und danach werden wir unsere weitere Vorgangsweise beurteilen.“ Besondere Aufmerksamkeit hat mein Behindertenpass auch bei der jungen Dame nicht erweckt.

Ja, da war ich sauer, so richtig sauer.

Ich knallte ihr meinen Presseausweis vor die Nase und ersuchte um eine Vorsprache „höheren Orts”. „Ich werde mit meiner Chefin sprechen – Nehmen sie draußen Platz“. Nach einer Viertel-Stunde erhielt ich ein Schreiben ausgehändigt. Darin wird mir mitgeteilt, dass ich zwar ein Schwarzfahrer bin, mir die Wiener Linien gnadenhalber nach „Überprüfungsergebnis im konkreten Fall von einer Bestrafung Abstand nehmen”.

Danke, danke liebe Wiener Linien.
Ich weiss noch immer nicht, ob ich nach diesen demütigenden Erlebnissen lachen oder weinen soll!!!

PS: Nach dem Besuch im Wiener Linien Kundenzentrum steige ich an der End- oder ersten Station in der Schlachthausgasse in den 18er. Kämpfe mich mit Rucksack und Umhängetasche und in voller Montur die Stufen des alten rotweißen 18er hinauf. Eine Frau klopft mir jovial mit dem Wort „Fahrscheinkontrolle” auf die Schulter. Ich stelle meinen Rucksack ab und reagiere ungehalten. Ich entwerte den Pensionistenfahrschein von 1,40 Euro. Die Frau Kontrolleurin, die sich auch nicht als Wiener-Linien-Beauftragte ausweist, sagt: „San’s net nervös, i bin ah erst eingstieg’n“.  Als ich am Hauptbahnhof die Tram verlasse, merkte ich zu spät, dass ich meinen Rucksack im 18er stehen gelassen hab. Ich hab ihm noch nachgewunken, dem davonfahrenden Rucksack und ihm eine „gute Fahrt” mit den Wiener Linien gewünscht.

Fragen an die Wiener Linien, die mich als Journalist interessieren:

1. Sind die Wiener-Linien-KontrollorInnen beim Konzern beschäftigt – oder werden sie über Zweitfirmen im Auftrag der Wiener Linien eingesetzt? Wenn beides zutrifft, wie viele sind von den Wiener-Linien wie viele von Fremdfirmen?

2. Arbeiten diese kontrollierenden Personen auf Provisionsbasis? Wenn ja, wieviel Prozent erhält eigenes Personal, wieviel Prozent erhalten die „Zugekauften”? Bei 100 Euro Strafe ist das ja eine sehr einfache Rechnung.

3. Erhalten die eingesetzten KontrollorInnen eine Einschulung über die Beförderungsbestimmungen der Wiener Linien?

4. Ist es rein theoretisch möglich, dass sich „Strafblöcke“ mehrere Personen „teilen” können? Eine normal übliche fortlaufende Nummer scheinen die Strafzettel nicht zu haben. Oder gibt es im System Zeitaufzeichnungen über die Ausstellungszeit der Strafzettel. Ich bin mir fast sicher, dass beschriebenes Kontrollorgan nicht legal arbeitet. Einfache Menschen protzen mit einem Ausweis und demonstrieren damit, wie geschildert, ihre Macht.

Ich ersuche um eine bestmögliche Beantwortung der Fragen. Ich könnte euch „unglaubliche” Geschichten über richtige und falsche „Schwarzkappler” der 1970er und 1980er Jahre erzählen. Da würde es euch die Sprache verschlagen. Ich habe damals viele Freunde bei den Wiener Linien gehabt und habe sehr viele Geschichten über diverse Institutionen und Einrichtungen der Wiener Stadtwerke in einer Tageszeitung und in Gewerkschaftszeitungen veröffentlicht.

AusweisZu meiner Person. Ich bin 63 Jahre alt, hab mir bei einem meiner vielen Berufen Anfang der 1970er Jahre als Ofensetzer und Fliesenleger eine Asbestvergiftung eingefangen. Diese bricht zum Glück erst 30 Jahre nach Vergiftung aus. Seit mehr als zehn Jahren verbringe ich deshalb eine beträchtliche Zeit am Meer in Portugals Süden. (Bemerkung am Rande: Die Lungenentzündung, die ich unbedingt vermeiden wollte hat mich dann doch erwischt. Bin  am 26. März 2016 krank in Portugal angekommen und habe bis zum 10. April Antibiotika nehmen müssen).

Als Albino-Geborener bin ich halbblind auf die Welt gekommen. Vor ein paar Jahren hab ich mir einen Behindertenpass ausstellen lassen. Darin wird mir eine „hochgradige Sehbehinderung von 90 Prozent“ ausgewiesen. Ich beziehe wegen meiner eklatanten Sehschwäche Pflegegeld der Stufe 3: Von der ÖBB hatte ich schon lange eine „Blindenkarte“. Ich habe bis zum heutigen Tag kein einziges Mal eine „persönliche Assistenz“ benötigt. Ich reise viel, wegen Krankheit und Beruf. Ich bin Journalist seit 1985, war Wiener Lokalredakteur der Tageszeitung Volksstimme. Ich bin jetzt das, was früher von den Wiener Linien als „alt und gebrechlich” benannt wurde. Damit kann ich leben, aber sicher nicht mit entwürdigender und demütigender Behandlung!

5 Gedanken zu “Der Schwarzkappler „Rambo”

  1. Anzeige erstatten und den zwar ausgehöhlten, unterwanderten Verwaltungsgerichtshof einschalten! Wird zwar nicht viel bringen da alle Institutionen auf Behinderung von Grundrechten ausgelegt wurden, auch der frühere Verwaltungssenat jetzt Verwaltungsgericht, aber zumindest Arbeit für diese! Mfg

  2. wunder, dass die noch auf „normale Art und Weise“ kontrollieren und nicht nur der Wegelagerei bei der U-Bahn frönen

  3. […] für Passagier- und Fahrgastrechte ■ Leserbrief zu “Schwarzkappler Rambo”. Jaja, selber auch bemerkt: „Die Wiener Lokalbahnen behalten sich vor, die drei Warteräume […]

Kommentar verfassen