
Inge Karazman-Morawetz ■ Die 68er-Bewegung ist für mich die Speerspitze einer Stimmung, aus den bleiernen Zeiten des Autoritarismus auszubrechen, die in der Gesellschaft schon zu schwelen begann.
Ihr folgten in den 1970ern all diese grundlegenden Reformen im Familienrecht, Kindschaftsrecht, auch Strafrecht, die uns heute selbstverständlich erscheinen: Abschaffung des Familienoberhaupts, Gleichstellung der Frau, Verbot des Züchtigungsrechts u.a.m..
Auf den allgemeinsten Nenner gebracht lautet die Botschaft der 68er: Anerkennung des Individuums und seiner Selbstbestimmtheit. Am Beispiel des Wandels der Erziehungsziele von Eltern, die regelmäßig seit den 1950ern in großen Studien erfragt wurden, läßt sich erkennen, wie sich diese Botschaft in der Bevölkerung ausbreitete. Bis 1973/74 war für die Mehrheit (!) „Gehorsam“ das oberste Erziehungsziel. Ab dann überwiegt die Akzeptanz, dass Kinder selbstständige Wesen mit eigenen Bedürfnissen sind. Für mich als Soziologin eine beeindruckende stille Revolution, die die Beziehungen zwischen Menschen verändert haben wird.
Inge Karazman-Morawetz (Jahrgang 1955) ist Mitgründerin der Firma für Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement IBG. Die Soziologin arbeitet seit 30 Jahren an Studien mit Schwerpunkt der Wirtschafts- und Rechtssoziologie. Langjährige Mitarbeiterin am Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie.