Die Wut im Bauch zum Beben gebracht

© Benjamin Rizy

Helmut Rizy Ein „Live-Bericht” über den 22. Jänner 1969. Zwei Tage zuvor – es war ein Montag gewesen – hatten wir vor dem Amerikahaus, das damals im Heinrichshof gegenüber der Oper beheimatet war, gegen den Vietnamkrieg, zugleich aber auch für die Anerkennung Nordvietnams durch die österreichische Regierung – analog zu Schweden – demonstriert, als unerwartet Teilnehmer einer anderen Kundgebung zu uns stießen.

Von weitem hatten wir die Parolen ›Der Henker wohnt im Imperial‹ und ›Schah an den Galgen‹ gehört.

Nun erfuhren wir, dass sich einige hundert Studenten nach einer Diskussionsveranstaltung im Audimax der Universität spontan dazu entschlossen hatten, zum Hotel zu marschieren, in dem gerade wieder einmal der Schah des Iran abgestiegen war, um seinen physischen Gesundheitszustand beim Prominentenarzt Prof. Fellinger überprüfen zu lassen.

Die Studenten hatten sich nicht durch die strikte Aufforderung der Polizei, die unangemeldete Demonstration unverzüglich zu beenden, aufhalten lassen und waren, als sie auf der Höhe des Volksgartens an der Wiener Ringstraße erstmals auf eine massive Polizeisperre stießen, in der Mehrzahl durch diesen ausgewichen. Manche der Demonstrierenden hatten allerdings schon dort die Fäuste der Polizisten massiv zu spüren bekommen

Inzwischen hatte die Polizei den Ring von der Opernkreuzung in Richtung Imperial durch einen Kordon hermetisch abgeriegelt und damit den Verkehr völlig zum Erliegen gebracht. Auch Fußgänger durften nur nach eingehender Perlustrierung die Sperre passieren. Und um das Hotel herum war ein weiterer massiver Polizeikordon aufgezogen worden.

Auf dem Schwarzenbergplatz, wohin ein Teil der Demonstranten weitergezogen war, kam es schließlich zu den ersten Prügelorgien der Polizei. Wahllos und unterschiedslos wurde auf männliche und weibliche Personen eingeschlagen, wenn diese der polizeilichen Vorstellung von Demonstranten entsprachen. Nicht ganz wahllos, denn die Polizisten erhielten aus einem Auto von einem Mann in Zivil Anweisungen, wen sie sich herausgreifen sollten. Eine Studentin musste von der Rettung abtransportiert werden, nachdem sie von einem Polizisten durch Tritte mit den Stiefeln schwer verletzt worden war.

An der Schlägerei beteiligten sich zudem eine Reihe ›Jubelperser‹, Angehörige der berüchtigten SAVAK, der Geheimpolizei des Schah-Regimes, die mit der österreichischen Polizei eng zusammenarbeitete und anlässlich des Schah-Besuchs in Wien durch ein Kontingent aus Westdeutschland verstärkt worden war.

Noch in der Nacht wurde im Audimax seitens der Demonstranten Bilanz gezogen. Zwölf Kollegen waren verhaftet worden und es wurde entschieden, eine Abordnung zur Polizei zu schicken, um dieser auszurichten, dass das Audimax so lange besetzt bliebe, bis jene freigelassen würden. Es wurde Geld für die verletzte Kollegin gesammelt, da diese die Transportkosten für die Rettung selbst hatte bezahlen müssen. Und schließlich wurde der Beschluss gefasst, am darauffolgenden Mittwoch erneut gegen den Besuch des Schahs in Wien zu demonstrieren.

Als ich an diesem Abend vor der Universität eintraf, wurde dort eingehend der Überfall von SAVAK-Schlägern auf iranische Studenten in der vergangenen Nacht erörtert. Nach einem Teach-in, die meisten der Teilnehmer hatten schon den Heimweg angetreten und nur noch einige Gruppen standen weiterdiskutierend vor dem Neuen Institutsgebäude, waren vier Autos auf den Gehsteig geprescht; etwa zwanzig Männer waren – mit Eisenstangen, Stahlketten und Holzknüppeln bewaffnet – herausgesprungen und hatten sogleich begonnen, auf iranische Studenten einzuprügeln; schließlich aber auch auf deren österreichische Kollegen, die sich ihnen entgegenstellten. Bevor der Schlägertrupp wieder abfuhr, waren noch zwei der iranischen Studenten in die Autos gezerrt worden. Einen von ihnen warf man am Ring schwer verletzt aus dem fahrenden Wagen, vom anderen fehlte jede Spur und man nahm an, dass er in die iranische Botschaft verschleppt worden sei.

Das übelste an der Sache war, dass ein schwarzer Opel der Staatspolizei und zwei Streifenwagen in Nähe der Prügelszene gestanden waren, die Beamten aber nicht eingriffen, obwohl sie alles sehen und die Schreie der Geprügelten hören mussten. Ein iranischer Student, der den Autos des Schlägertrupps nachlief und zwei dastehende Polizisten zum Einschreiten aufforderte, erhielt die Antwort: »Uns geht das nichts an. Wir haben nichts gesehen.«

Deshalb war dann auch das erste Ziel der Demonstration das Innenministerium in der Herrengasse, wo eine Delegation Minister Soronics eine Protestresolution gegen das Treiben der SAVAK in Wien überreichen sollte. Dieser hatte schon zuvor zugeben müssen, dass eines der in der vergangenen Nacht beim Überfall verwendeten Autos der iranischen Botschaft gehörte. Zugleich hatte er aber bestritten, dass es sich beim Schlägertrupp um Angehörige der SAVAK gehandelt habe – mit der Begründung: Die persische Botschaft habe ihm versichert, dass es keine SAVAK-Agenten in Wien gebe.

Dabei waren einige der berüchtigtsten von ihnen auch dem Namen nach stadtbekannt. Ebrahim Radi etwa – er war der Lenker jenes weißen BMW gewesen, der bei der Demonstration am Montag vor der Oper in die Menge gefahren war und einige Demonstranten verletzt hatte, ohne dass ihn deswegen einer der Dutzenden danebenstehenden Polizeibeamten zur Verantwortung gezogen hätte. Der Innenminister und die Polizei billigten ganz offensichtlich das Treiben der SAVAK in Wien.

Was allerdings unsere Demonstration betraf, so erklärte Innenminister Franz Soronics diese für ›illegal‹ und er kündigte an, dass er ›scharf durchzugreifen gedenke‹. Und das tat er dann auch. Ursprünglich hatte die Polizei die Demonstration genehmigt, doch die Fortsetzung durch die Herrengasse war nun nicht mehr möglich, da diese durch ein starkes Polizeiaufgebot abgeriegelt worden war. Auf vielen Umwegen erreichte der Zug aber doch die Oper, immer wieder von Polizisten – mittlerweile hatten sie ihre Uniformkappen gegen Stahlhelme getauscht – bedrängt. Sofern sie ihrer habhaft wurden, verprügelten bzw. verhafteten sie Demonstranten. Unter den Inhaftierten war auch ein Arbeiter, der nach seiner Festnahme erklärte, er habe nicht vorgehabt, an der Demonstration teilzunehmen, sei aber durch die Ausschreitungen der Polizei so in Wut geraten, dass er sich ihr angeschlossen habe.

In den Gassen der Innenstadt hallten einmal von da, einmal von dort die Sprechchöre ›Schah – Mörder, SAVAK raus‹; und dazwischen mischte sich gelegentlich auch ein ›Ho – Ho – Holaubek‹. Es war schon seltsam, wie mühelos aus dem Skandieren eines Namens, mit dem in den vergangenen Monaten immer wieder der Held Vietnams geehrt worden war, nun eine Anklage des Wiener Polizeipräsidenten wurde – jenes Mannes übrigens, der zum meistzitierten Ordnungshüter avancierte, als er zwei Jahre später einen aus Stein ausgebrochenen Geiselnehmer mit dem Hinweis ›I bin’s, dei Präsident‹ zur Aufgabe bewog.

Die Abschlusskundgebung bei der Oper war kurz und es schien als habe die Polizei nur auf das offizielle Ende gewartet, um die Ankündigung des Innenministers handgreiflich in die Tat umzusetzen. Denn nun begannen die Polizisten mit brutaler Gewalt gegen die Demonstranten vorzugehen – offiziell um die Opernkreuzung für den Verkehr zu räumen. Warum allerdings Demonstranten bis in die Opernpassage – wo sie gewiss kein Verkehrshindernis mehr darstellten – verfolgt und dort verprügelt wurden, konnte hinterher niemand erklären.

Den weiteren Verlauf bekam ich nicht mit, denn ich rannte zum Konzerthaus: Ich hatte eine Karte für das Jimi Hendrix-Konzert. Der Gitarrist verfügte zu jenem Zeitpunkt noch nicht über die Berühmtheit, die er Monate später in Woodstock mit seiner Interpretation der US-Hymne ›The Star-Spangled Banner‹ als Anklage gegen den Vietnamkrieg erlangte, ich freute ich mich auf sein Konzert und wollte es mir unter keinen Umständen entgehen lassen

Ziemlich abgehetzt erreichte ich gerade noch rechtzeitig meinen Platz; der angestaute Zorn über das Vorgehen der Polizei war allerdings noch kein bisschen abgeklungen, als Jimi Hendrix mit seiner Band die Bühne betrat.

Keine drei Monate zuvor hatte er mit dieser – ›Jimi Hendrix Experience‹ – das Album ›Electric Ladyland‹ herausgebracht, dessen Songs nun klarerweise das Programm bestimmten – in einer Lautstärke, die man im großen Konzerthaussaal bis dahin wohl noch selten erlebt hatte. Hendrix Gitarre dröhnte unter seinen Schlägen, die Bässe brachten den Saal zum Beben, machten die Musik auch physisch spürbar, pflanzten sie sich doch über den Boden und die Sitze fort, drangen zum Bauch, in dem noch immer die Wut festsaß, mischte sich dort mit dieser, wurde zum Katalysator, wodurch ›Voodoo Chile‹ oder ›All Along The Watchtower‹ eine ganz neue Dimension erhielten und damit zu einem unvergleichlichen Erlebnis wurden.

Veröffentlicht: Aus dem Bilanzbuch des zwanzigsten Jahrhunderts, Linkes Wort am Volksstimmefest 2008

Nachbemerkungen:

  1. Immerhin ging die Brutalität der Polizei in Wien nicht so weit wie die in Berlin eineinhalb Jahre zuvor, wo bei einer Anti-Schah-Demonstration der Student Benno Ohnesorg vom Kriminalobermeister Karl-Heinz Kuras erschossen worden war.
  2. Das gute Verhältnis der Staatspolizei zum iranischen Geheimdienst endete übrigens nicht mit dem Sturz des Schahs. Als 1989 der Generalsekretär der Demokratischen Partei Kurdistans Iran, Abdul Rahman Ghassemlou, von iranischen Beamten in Wien erschossen wurde, machte es das Vorgehen der Polizei möglich, dass die Mörder entkommen und Österreich ungehindert verlassen konnten. Iranerinnen und Iraner, die in ihre Heimat zurückkehrten und dort der Geheimpolizei, die von den Ayatollahs in VEVAK umgetauft worden war, in die Hände fielen, wurden vielfach mit detaillierten Berichten der österreichischen Staatspolizei über ihre politischen Aktivitäten in unserem Land konfrontiert.
  3. Ich höre noch immer gern Jimi Hendrix’ ›Electric Ladyland‹.

Helmut Rizy (Jahrgang 1943) ist ein österreichischer Schriftsteller. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in OÖ Bad Leonfelden. Er studierte Germanistik und Philosophie in Wien. Nebenbei arbeitete er als Journalist ((Oberösterreichische Nachrichten, Neues Österreich). Von 1965 bis 1968 hielt sich Rizy in Israel auf. Danach war er als Redakteur bei verschiedenen Zeitungen tätig, u. a. bei der kommunistischen Tageszeitung „Volksstimme”. Über mehrere Jahre organisierte er die Lesungen „Linkes Wort am Volksstimmefest” Er lebt mit der Schriftstellerin Judith Gruber-Rizy in Wien und Oberösterreich.

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