
Lutz Holzinger ■ Eine vertane Gelegenheiten und die Deutungshoheit der Historie. Das Jahr 2008 beschert eine schier unendliche Kette von Jubiläen, die ebenso unnütz wie Denkmäler sind.
Als viel berufene Meilensteine der Entwicklung unseres Landes verdienen sie jedoch heitere bis kritische Aufmerksamkeit.
Dass die Deutungshoheit in der Bearbeitung von historischen Fakten kein Lärcherlschaß ist, kann man den Bemühungen von Michael Fleischhacker, Chefredakteur der „Presse“ ablesen, die 68-er Bewegung anzupatzen.
1968 – Experimente zur Überwindung der antiautoritären Gesellschaft
Nach der Machtübernahme durch die Nazis zeigten die politischen Lager, anlässlich der Volksabstimmung über den „Anschluss“ im April 1938, ihr vaterländisches Gesicht. Freudige Zustimmung erntete Hitler etwa von Karl Renner, seltsamerweise Staatskanzler der Ersten und der Zweiten Republik, oder der heimischen Bischofskonferenz der katholischen Kirche.
Als einzige Partei verurteilte die KPÖ noch in der Nacht des Einmarsches die Auslöschung Österreichs; gleichzeitig bekannte sie sich zum Wiedererstehen das Landes als eigenständiger Staat. Den Worten ließen die Kommunistinnen und Kommunisten Taten folgen, wie ihre führende Rolle im österreichischen Widerstand und die hohe Zahl von Todesopfern aus ihren Reihen beweist.
Je länger desto gravierender wurde das lähmende Klima im Land; es herrschte eine bleierne Zeit, die eine Veränderung der Welt herausforderte. Und dann kam 1968! – In Österreich handelte es sich um kein politisch explosives Ereignis, sondern eine von kulturellen und politischen Phänomenen vorbereitete Bewegung von Menschen, die verschiedene Möglichkeiten, anders zu leben, praktisch erproben wollten.
Die entsprechenden Initiativen waren antiautoritär angelegt und richteten sich gegen das Establishment. Sie betrafen das Sexualleben, die Kindererziehung, die Überwindung der Kleinfamilie, die Humanisierung der Arbeitswelt. Weitere Themen waren der Konsum- und Medienterror. 1968 war hierzulande kein Akt der Alleinunterhaltung durch Personen wie Robert Schindel oder Aktionen wie die „Uniferkelei“, wie die Leitmedien zu suggerieren trachten, sondern ein breites Experimentierfeld zur Überwindung der antiautoritären Gesellschaft.
Die ungekürzte Version ist nachzulesen:
Vertane Gelegenheiten
Das Elend der 68er Bewegung
Erschienen in der UHUDLA Ausgabe 87/2008
Lutz Holzinger (1944-2014) begann seine journalistische Laufbahn im ORF und »Neues Forum«. Er war 17 Jahre für die KPÖ-Tageszeitung »Volksstimme« tätig. 1971 gehörte er mit Autoren wie Gustav Ernst zu den Gründern des Arbeitskreises österreichischer Literaturproduzenten, der sich für realistische Literatur stark machte. Der promovierte Germanist und Buchautor arbeitete nach dem Ende der Tageszeitung „Volksstimme” und der Wochenzeitung „Salto” ab 1992 als freier Journalist. Er war über Jahrzehnte Chefredakteur des UHUDLA.
[…] Das Elend der 68-er Generation […]