
Bobo-Schmäh ■ Aus Remise wird Markthalle. Gentrifizierung in Zwölften Hieb. Gemma ins „Gleisl“ statt ins Beisl. Auch Meidling muß „Bobostan” werden.
Von Karl Weidinger
Aufblühen im Gleis//Garten. Alles auf Schiene für Straßenfutter (Streetfood). Auch in Meidling sind die Zeichen der Zeit nicht zu übersehen. Der Meidlinger Markt hat Hightech-Einrichtungen mit hydraulischer Überdachung, dass Stadtplaner- und GebietsbetreuerInnen mit den Ohren schlackern.
Nach dem Naschmarkt, dem Donaukanal, der Sargfabrik, dem Museumsquartier ist sogar der Arbeiterbezirk Meidling an der Reihe. Wien wächst – und das beharrlich. Also braucht es auch Platz dafür. Bühne frei für Gentrifizierung zum mit der Zunge schnalzen.
Craft-Bier ist der neue Boboschmäh – Meidling bleibt lieber zurückhaltend und wartet noch ab
Nach dem veganen Energyshake und dem fair getradeten Caffee Latte als „Starter“ kommt vor den Ökolakto-Cocktails das spezielle Hopfenderivat (Gebräu wäre zuviel der Ehre) auf das Stehpult, Tische sind out (zu gemütlich, sonst bleiben die Leute zu lang). Den gegenüber gelegenen Bildungscampus des AMS in der guten alten Eichenstraße wird es freuen. 700 Plätze in der neuen Halle, 300 draußen. Indoor/Outdoor, wie es jetzt heißen muss. Tausend neue Leute, die sich hier einfinden sollen. So viele wie im Museumsquartier mit Radverbot, aber gratis W-Lan.
Vormals Wüste, befand sich hier eine Remise mit Gstätten. Die Gleiswüste ist wie in der Meidlinger Hauptstraße entsorgt und endgelagert. Jetzt lockt der neu eröffnete „Gleis//Garten“ (Bobo-Schreibweise) ins dicht verbaute Ensemble der neuen Wohnsilos. Eine Markthalle mit Standeln. Die ehemalige Konsum-Zentrale nebenan kennen nicht mehr viele. Nach der Liquidierung wurde Spar daraus. Aber nicht hier an Ort und Stelle. Nun veranstalten die ausgelagerten Freundschaftsbetriebe haufenweise Zwangsschulungen für das AMS-Klientel. Out-gesorced. Sämtliche Hundertschaften von Firmennamen, die das hier rund um die Uhr abhalten, erinnern an künstliche Intelligenz. Alle haben was mit „Job“ und „Creativ“ und „Work“ im Namen, alle diese Bestandteile kunterbunt zusammen gewürfelt, aufgepeppt mit den Ziffern 2 („to“) und 4 („for“) darin enthalten.
Von der Remise mit angeschlossener Gstättn zur gentrifizierten Markthalle mit Essens-Standln
Die Remise der Badner Bahn (eigentlich Wiener Lokalbahn Baden) war ein Flaggschiff, hatte hier einen hochfrequenten Betriebsknotenpunkt. Das Hauptquartier ist jetzt in Inzersdorf beheimatet. „Konsumfreie Zone“ heißt es, aber das kann nicht stimmen. Denn in der „Foodhall“ – also Essenshalle – werden Speisen aus aller Welt angeboten. Die richtige Bezeichnung wäre „nicht konsumpflichtige Zone“, denn man muss den Standlern nicht unbedingt alles abkaufen. Aber das Nahrungsangebot aus dem integrierten Nahversorger Billa in der Wohnhausanlage ist eher nicht so gern gesehen. Ein Geschäft will man schon machen. Das haben Stadtplanung und Gebietsbetreuung so vereinbart. Ulli Sima, die Stadträtin für Gentrifizierung und Projektentwicklung zeigt sich begeistert, wie bei allen diesen Leuchtturm-Projekten.
Die Gastro mitten in der ehemaligen Remise hätte bereits viel früher in Betrieb gehen sollen. Etliche Probleme mit dem historischen Gebäude verzögerten die Eröffnung 2023. So fand man Blei in der Beschichtung der Metallstreben. Die Revitalisierung der etwa 1.500 Quadratmeter großen Halle aus schönen Ziegeln und abgekärcherten Klinkerplatten wurde vom Immobilienkonzern Soravia umgesetzt. Ringsum dicht gedrängte Wohnsilos, die schnell in die Höhe gezogen wurden. Die AnrainerInnen dieser nun mit 800 Startwohnungen verbauten und aufgewerteten Ecke des 12. Bezirks gehören ebenso zur Zielgruppe des in den Stadtentwicklungsplänen als „Food-Court“ bezeichneten Areals. Wohl bekomm’s!
Die Palme im Topf, das Wahrzeichen der Gentrifizierung. Stopp-over zum Burgenländer-Flughafen
Der 6er, der 18er und der 62er ziehen ihre Kreise. Nächster Halt: Station Eichenstraße. Auch die gute alte Badner Bahn vor dem Gleis//Garten wurde umgebettet. „Gleisl“ wäre ein besserer Name, analog zum Wienerischen Beisl. Aber dazu passen die Topfpalmen im Inneren nicht so recht. Zuletzt inszenierte hier Paulus Manker „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus: Sechs Stunden, Essen und Trinken inklusive, bei über 30 Grad Celsius im Inneren.
800 neue Wohnungen sind seither – dicht an dicht – entstanden. Es ist eng verbaut wie am ebenfalls gentrifizierten Spittelberg, aber nicht ganz so kuschelig. Aus der Gstättn, pardon der Terrasse mit Hanglage, sind versiegelte Bodenplatten geworden, die den Bäumen bis an die Rinde gehen. Naturrasen Fehlanzeige und entsorgt. Dafür lässt sich auf der Einheitsfläche wunderbar barrierefrei mit der neuen viel gepriesenen E-Mobilität durch die Wohnmeile fetzen. Der Eingang zum Pflegeheim für betagte SeniorInnen wurde auch schon verlegt. Rollstühle stehen in der Sonne und laden zum Slalom für Jugendliche, die mit E-Rollern halsbrecherisch durchpfeilen.
Laut Stadtentwicklungsplan werden die Einheimischen kaum reichen für die Intensivnutzung des Konsumtempels. Neuzugang wird mit dem U-Bahnanschluss an den „Burgenländerflughafen“ Matzleinsdorferplatz dazu kommen (ab dem Jahr 2027). Das Kochen daheim ist vom Aussterben bedroht. Der Verpflegung am eigenen Herd wurde seit Corona der Krieg erklärt. Vorher schon war das Essen beim Ikea das Beste für Bobos. Auch das Riesenschnitzel vom XXXLutz ist eine eigene Dimension in Sachen Auswärtsessen. Nun naht die neue Generation. Essenslieferanten auf Elektroradeln schwirren lautlos durch und liefern und liefern und liefern – auch Essen aus dem Food-Court, dieser neuen gentrifizierten Markthalle mit ein paar komisch modernen Standeln, die ganz viel kosmopolitische Weltgewandtheit vorgaukeln.