Servus Rock ´n´ Rollstuhl

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Noch einmal Sigi Maron ■ „Höflich, vornehm und dezent, wie ich es immer tue. Allerdings unter Einschluss eines gewissen ordinären Wortschatzes…“ Letzte Grüße aus dem „Rock ’n‘ Rollstuhl“. Letzte Grüße an Fans und an die Leserinnen und Leser des UHUDLA. Sigi Maron in eigenen Worten vor Comeback-Konzert und vor Veröffentlichung seines letzten Buches “Schmelzwasser”.

Von Karl Weidinger erschinen in der UHUDLA Ausgabr 106/2017

The Rocksteady Allstars grooven sich ein. Die beiden erwachsenen Töchter Karin und Nina werden später begeistert im Halbdunkel der Bühnenflanke Stück für Stück mitsingen. Enkel Luca verwaltet den Merchandising-Stand, wo bereits zur Halbzeit die Bücher ausgehen.  Ist das jetzt ein Interviewtermin mit dem Sigi oder doch ein Ausflug zur Großfamilie Maron?

Jedenfalls wird es mein letztes Tonprotokoll mit dem Künstler im „Rock ’n‘ Rollstuhl“ (Eigendefinition) sein. „Man kann von einem Comeback sprechen. I hob ja net freiwillig aufgehört zu spielen. Ich habe mich zurückziehen müssen, weil ich ein Aneurysma in der Aorta gehabt habe. Und, weil ich mit dem ganzen Körper singe, hätte das jederzeit leicht platzen können.

2007 ist diese Ausdehnung in der Hauptschlagader so groß geworden, dass eine Operation am Herzen unumgänglich war. Bei mir war es schon 9 Zentimeter und das ist schon sehr groß“, sagte der streitbare Barde mit dem großen Kämpferherz und rückte sich in seinem vierrädrigen Gefährt(en), seinem Streitwagen, zurecht.

Oba i bin net an den Rollstuhl gefesselt

Außer mei Frau hot an Zorn auf mich und bindet mich an.“ Lachen auf beiden Seiten, das anfängliche Eis ist schnell geschmolzen. Wie immer bei Maron: eine herzliche Begegnung. “I bin immer a Live-Mensch gewesen. Und wenn ich irgendwas, was ich als kreativer Mensch mache, nicht auf die Bühne bringen kann, dann ist es für mich uninteressant.“

Sein wohl berühmtestes Stück entstand vor 35 Jahren, vor dem altehrwürdigen Radiokulturhaus, aber nicht auf der Bühne, sondern auf der Straße. Der Musikkollege Charly Kriechbaum hatte sich aus Protest vor dem ORF angekettet, Maron rollte solidarisch vorbei. Und es kam, wie es kommen musste:
„Damals hab i dringend Lulu müssen, aber weit & breit war kein Behindertenklo, wo i reinkönnen hätte, also hab ich mir gedacht: So schöne Stiegen, das muss der ORF sein – und hab dort hingepinkelt. Der Portier hat no gesagt: Loss rinnen, Oida. Gleichzeitig hat er aber die Polizei gerufen. Dann hats a bisserl an Wickel geb’n. Der Kieberer hat gesagt: A ned so fesch, wonnst do her schiffst. Und weil ich auch noch mitm Rollwagerl gegen die Einbahn gefahren bin, hat er amtshandeln müssen.“
Langer Rede kurzer Sinn: Die Vorführung beim Amtsarzt endete mit dem damals durchaus beliebten und populären Mittel der psychiatrischen Einweisung. Vorher bedachte der solcherart Beamtshandelte alle Beteiligten noch mit dem Götzzitat – dem sattsam bekannt gewordenen Refrain aus der Ballade von einer harten Woche.  „Ein zeitloses Lied, das jeder für sich selbst benützen kann. Wenn es einem schlecht geht, geht man zu de Fenster hin und überlegt sich, wen man alles auf seine Oarschloch-Liste setzt und schreit ausse: Leckts mi am Oarsch!“

Sigi Maron greift zur 12saitigen Gitarre. Ein Glissando ertönt. Ein Klang von Frühling. Enkel Luca bringt eine Flasche Mineralwasser: Vöslauer. Weil der Barde in der Nähe von Baden lebt? Wurscht, warum Reggae jetzt? Maron erklärt: „Nachdem i a künstliche Aorta kriagt hob, sind gleichzeitig die Becken-Aterien erneuert worden. Es waren ein paar Komplikationen, und i bin längere Zeit auf der Intensivstation gelegen. Da is mir der Jesus in Gestalt von Che Guevara erschienen und auch der Bob Marley. Der hat zu mir gesagt, Oida, i siach: es geht da net guat. Owa i bitt di: geh net übern Jordan, bleib no a Weil do… Weu du hast no nie an gscheitn Reggae gmocht. Stimmt und deswegen mach i jetzt:

Rocksteady, Reggae und Ska

Immerhin hat Sigi Maron mit 72 Lenzen an Lebensjahren am Buckl den anderen „Salonkommunisten“ Helmut Zenker deutlich an Jahren überlebt, der mit 57 seinen Abgang machte. Damals, für die ORF-Kasperliade „Tohuwabohu“ setzte man sich zusammen – und mit dem Thema auseinander. Es entstand eine Rolle als „Der Schef“, im Waffenmantel namens Trenchcoat und mobil im Rollwagerl. David gegen Goliath. „Wer a Moral hat, kann kein Kapitalist sein, wer Kapitalist ist, kann keine Moral haben.“
Auch lustig, als Sigfrid A. H. Maron bezeichnete sich der Liedermacher in seinem letzten Buch “Schmelzwasser”, das Cover wie immer gestaltet von Tochter Nina. Ein kurioser Parforce-Ritt durch alle Genres. Alles reingeschaufelt, was irgendwie rausmusste, könnte man sagen. Und Maron nickt dazu. “Auch Kochrezepte in allen Lebenslagen”.

Überhaupt Schreiben: Für fünf Bier und zwei Pizzen ersann das Duo Fritz Nussböck und Sigi Maron für den Produzenten Mischa Krausz einen Songcontest-Beitrag, den Stella Jones in Dublin trällerte. An mehr Zusammenarbeit mit der Hitmaschinerie war man nicht interessiert. In Marons Worten: „Für Ö3 foahr i net nach Dublin. Ausserdem dearf des niemand wissen, weil das unterm Pseudonym stattfand.“ Nussböck & Maron verübten weitere Textanschläge in ihrer Schreibtischtäterei. „Einmal hat der an Brocken hingeworfen, dann der andere. Letztendlich san tolle Nummern raus gekommen.“ Texte für Ambros singt Waits, Ambros singt Dylan – aber immer, wie gesagt, unter Falschnamen.

Kann man sich der Musikindustrie andienen, ohne sich ihr auszuliefern oder gar an die Brust zu schmeissen? Maron kennt die globale Musik-Maschinerie nur zu gut, war er doch für Jahrzehnte als Computermensch beschäftigt, bevor er abserviert wurde. „Bei den Konjunkturpaketen, die derzeit grassieren, würds mi net wundern, würden die jetzt zum Staat sagen: wir brauchen 10 Milliarden. Aber durch das Internet haben die Musiker die Produktionsbedingungen wieder selbst in die Hand genommen.“ – Wie auch der Liedermacher und Nichtterrorist Sigi Maron, der alle seine Songs gratis als mp3 auf seiner Homepage http://www.maron.at hergibt.
Andere Baustelle: 1975 begann die Bespitzelung durch die Staatspolizei. „I bin ka Terrorist, nur a genauer Beobachter“, sagt Maron. „Auf die Stapo wird sowieso gschissen! Vor Jahren hat er Akteneinsicht erhalten und in den 30 Seiten ist gestanden: Konzert wurde besucht, hat Bundeskanzler beschimpft… „Aber das ist Schnee von gestern.
Des san oarme Narren. Wenn die Stapo nix anderes zu tuan hot, als Leute wie uns zu bespitzeln, und die Rechten – fang ma bei der FPÖ an – können machen, was sie wollen, ohne dass es einen Aufstand gibt oder die Polizei hart durchgreift – des is eahna Job, net den Maron bespitzeln, was konn der scho tuan? Aber i muass sogn, der Maron is a Hund und wenn i net rechtzeitig die Kinderlähmung kriagt hätt’, warat i wahrscheinlich Terrorist wordn“, scherzt der Barde, der mit vollem Namen Siegfried Alois Helmut Maron heißt, und wird schnell wieder ernst.

„Ich fürchte mich vor der Entwicklung nach Rechts. Es gibt in den demokratischen Parteien immer noch Leute, die mit aller Kraft dagegen ankämpfen. Diese Entwicklung, die weltweit zu beobachten ist, will ich meinen Kindern und Enkelkindern nicht antun.“ Aber erzeugen schwache Demokraten wieder starke Faschisten?
„Die Frage ist: Wie schwach sind unsere Demokratien wirklich? Erst wenn die Arbeitslosenrate auf 15% geht, dann spielt’s Granada. Auch, wenn ich vieles nicht akzeptiere oder für falsch halte, so ist es trotz der Armut in unserem Land noch so, dass vieles sozial abgefedert ist, und jeder mit Weh und Ach grod no so über die Runden kommt. Erst wenn des vorbei is,

dann geht’s blitzartig nach rechts. …

Der Liedermacher nimmt einen Schluck Vöslauer. „Solange wir diese Entwicklung stoppen können, dass die Wirtschaft immer schlechter und schlechter wird, solange werden die Rechten net überhand nehmen.“ Was wird bleiben? Es war sein 7. Album “Unterm Regenbogen”, produziert von Konstantin Wecker in München. Der Titel “Geh no net furt” wird in der Soundmill Vienna von Mischa Krausz neu arrangiert aufgenommen und ein Nummer-Eins-Hit. Über zehn Wochen verweilt der berührende Song – eine eindringliche Bitte an einen selbstmordgefährdeten Menschen – in der Hitparade auf Ö3.
„Das ist denen passiert, das Lied ist gehört worden und hat sich dann als Eigenläufer entpuppt. Aber dafür haben sie gnadenlos nachher nix mehr von mir gespielt, wurscht wos!“ Das einfühlsame Lied mit dem kraftvollen Text verschafft Gänsehaut. Das wird bleiben. Reisende soll man nicht aufhalten. Kann man auch gar nicht. Das “Geh no net furt” hat er nie live gespielt, eine Ballade, seine Ballade. Der „Rock n‘ Rollstuhl“ wird jetzt leer bleiben. Aber die Songs und Lieder von Sigi Maron werden bleiben. Im Gegensatz zu ihm – für immer.
INFO: www. maron.at:
20 Tonträger, samt mp3-Versionen frei zu downloaden, alle Texte nachlesbar

Ein Gedanke zu “Servus Rock ´n´ Rollstuhl

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