
Meidlinger Pracht-Boulevard ■ Die Straßenszene in der Steinbauergasse, der verlängerten Arbeitergasse, hat sich in eine lebensfrohe Lokalszone entwickelt. Gastro am Asphalt, Gentrifizierung inklusive. Aktuell hat die Gasse 152 Adressen, darunter etliche neue Lokale aufzuweisen.
Lokalaugenschein von Karl Weidinger UHUDLA Ausgabe 116 @-3 / 2021
„Zdravo“. Coole Socke und großer Checker geben sich hier ein Stelldichein. Lieblingsbier ist das Heineken mit „Jega“ (Jägermeister), quasi ein Herrengedeck.
Aperol-Sprizz oder Kaputschino in den Lounge-Cafes
Handy ist auf Standby, W-Lan freigeschaltet. Die lauen Sommermonate von Mai bis Oktober verlängern die Saison dank Bodenversiegleung und Klimaerwärmung mitten in der Vorstadt. Hat auch was Positives, wenn man/frau länger in der mit künstlicher Vegetation begrünten Laube sitzen kann. Und auch wichtig: Auto immer in Sichtweite. Und vor der Einkehr wird gerne promeniert. Auf und ab gefahren und sich unter großer Anteilnahme gut sichtbar eingeparkt. Der Verbrennungsmotor wird hier noch ein Zeiterl länger modern sein, das scheint gewiss.
Vom Gürtel bis zum Kreisverkehr der Aßmayergasse über den Knoten Längenfeldgasse. Die Steinbauergasse gehört seit 1907 zu Untermeidling; samt dem frisch revitalisiertem Steinbauerpark mit umkämpfter Tiefgarage unterhalb des Meidlinger Untergrundes. Der Steinbauerpark wurde nach Fertigstellung der viergeschossigen Tiefgarage Ende 2003 neu eröffnet. Mehr als elftausend Quadratmeter konsumationsfreie Zone gegenüber der Hans-Mandl-Berufsschule für Industrie, Finanzen & Transport. Der Zubau zur hoch frequenten Ausbildungsstätte muss jetzt natürlich „Campus“ heißen. Hier ist auch der Sitz der Berufsschule für Lebensmittel, Touristik und Zahntechnik. Und natürlich die Berufsschule für das Gastgewerbe, bis vor die Zeit der Lockdowns noch überaus wichtig. Auch das Wahllokal für den großen Bezirkssprengel tagt hier, wenn wieder mal Wahlen nötig sind. Gegenüber im Steinbauerpark hat das Dosenbier die absolute Mehrheit.
Die Shisha-Pfeife ist in Opposition. Besonders einprägsam für Verweilende ist die zwölf mal acht Meter große, von einer Pergola überdachte, zweiteilige Holzsitztribüne auf dem zentralen Aufenthaltsplatz. Hier wird auch fleißig die benachbarte Neue Mittelschule geschwänzt oder die paar freien Stunden erheblich ausgeweitet.
Als Gestaltungselement stellt eine mehrgeschossige Holztribüne einen Angelpunkt dar: rundherum sind drei Ballspielfelder mit Trinkbrunnen und Holzbande sowie der Container der Parkbetreuung gruppiert. Ein Oval soll das spontane Spiel der Kinder fördern. Und das neue Wahrzeichen der grünen Mitregierung: Coole Spots: Sprühnebelanlagen für heiße Tage. Den Rest des Jahres bleibt die Wasservergeudung abgestellt.
Der Boulevard Steinbauergasse ist eine Allee für alle
Mit gezählten 92 Bäumen, größtenteils Eichen, Linden und Kastanien, auf etwa einem Dreiviertel Kilometer Länge.mDie Autobuslinie 59A befördert die Einpendler. Das Kebab-Lokal hat großzügig renoviert. Der Laden brummt wie der Autobus. SchülerInnen im Einzugsgebiet. Großformatige Glasportale lassen sich leicht verschieben und öffnen die Gaststätte zur befahrenen Straßenseite hin.
Und noch was Neues, eigentlich Altes: die dazugehörende Gentrifizierung. Konsumismus regiert. Rund um die Apotheke hat sich ein Ärztezentrum etabliert. 125 Jahre sind seit der Gründung der Apotheke zum Heiligen Paulus anno 1895 vergangen. Ein Familienbetrieb seit Beginn an, mitten im Herzen des 12. Hiebs auf Nummer 15 im Dienste der Gesundheit und auch der Mehrsprachlichkeit. Auch auf der Straße tut sich Einiges. Mit dem Cafe Blueberry fing es an, das Adonis, das Uno Momento und andere Lounge-Cafes sind danach dazu gekommen. Sperrstunde ist nach Mitternacht, der Freibereich schließt um 23 Uhr. Hier darf noch hemmungslos dem Laster gefrönt werden.
Mitte der 1990er Jahre entstand hier eine (Straßen)Szene, die immer lebendiger und großformatiger geworden ist. Seit dem Rauchverbot boomt der Freibereich, früher Schanigarten genannt. Heute sagt man „Lounge“ dazu. Gemütliche Atmosphäre und tolles Ambiente. Angeboten werden Frühstück-, Mittag-, oder Abendessen mit zeitgemäßer Küche, mediterran, weltoffen und geschmackssicher. Weiter stadtauswärts gibt man sich traditioneller. Der Homolje Grill liefert inzwischen auch aus. Spareribs und Cevapcici sind der Renner, aber auch Grillplatte für die ganze Familie: viel und heiß und gut. Hausmannskost auf die Balkanart.
Während sportlicher Großereigneisse wird Public Viewing gezeigt. Lokalheros sind die Fußball-Nationalmannschaft von Kroatien aber auch der Tennisstar Novak Djokovic. Die Szene ist ex-jugoslawisch geprägt. Die nächste Generation der Secondos, bereits in Österreich geboren, fährt nicht mehr so oft auf Heimaturlaub wie vergleichsweise die türkische Belegschaft, einen Bezirk weiter, über dem Gürtel in Magareten.
Jedenfalls ist es das Beste aus zwei Welten. Straßenszene mit Boulevardisierung. Die Aneigung und Eroberung des Lebensraumes im schattigen Gastgarten. Ein Kaffee und/oder ein Pivo geht immer. „Zdravo!“