die einzige proletarierin in der studentInnen WG

el awadalla

El Awadalla 1968 kaufte mein vater den ersten fernsehapparat.er hatte gerade seine vielen überstunden ausgezahlt gekriegt – und so konnte das teure stück angeschafft werden. nachdem die riesige dachantenne endlich justiert war, versammlte sich die ganze familie in der küche zum ersten gemeinsamen fernsehen.

es kam die „zeit im bild“ mit einem bericht aus paris von den dortigen demonstraionen. mein stockterrischer großvater winkte freundlich dem sprecher zu, meinte, im wirtshaus hätten sie immer ganz was anderes im glurrkasten und er verstand nicht, was da gerade gezeigt wurde.

ich habe es auch nicht verstanden. aber das bild dieser pariser demos begleitet mich bis heute

vielleicht, weil es das erste war, das bei uns daheim in der küche zu sehen war, vielleicht auch, weil es bis heute immer wieder gezeigt wird.

ich war damals zwölf, daheim in nickelsdorf burgenland – und somit soweit weg von 68er-themen und -aktionen, so weit man nur weg sein konnte. erst als ich fünf jahre später nach wien zog, lernte ich leute kennen, die sich als 68erInnen verstanden. für mich waren das damals alte leute, um oder über dreißig, die von meinem leben als lehrmädchen keine ahnung hatten. ich zog in eine wohngemeinschaft, war dort das gehätschelte kind, nicht, weil ich mit abstand die jüngste war, sonders auch, weil ich weit und breit die einzige proletin war. alles, was ich sagte, war äußerst gewichtig und wurde ganze abende lang analysiert. natürlich besaß die wg auch eine mao-bibel, die ich unbedingt lesen musste. heute weiß ich noch, dass ich der wg verkündete, den satz „gibt es keine armee, gibt es nichts für das volk“, nicht zu verstehen. mehrere abende lang versuchte die gesamte wglerInnen, mir diesen satz zu erklären, doch dann kann am 11. september 1973 der putsch in chile und die wg spaltete sich politisch in anhängerInnen und gegnerInnen des gerade umgebrachten Präsidenten salvador allende.

in gestalt eines kleintransportunternehmens trat zur selben zeit die mühlkommune in mein leben. sie bezeichneten die gesamte 68er-bewegung als heinzelmännchentum und luden mich zu sich ein, was mir große bewunderung vieler leute einbrachte, weil alle die mühlkommune kennenlernen wollten. doch mir wurde dort augenblicklich klar, dass mir deren lebensweise überhaupt nicht gefiel.

el awadalla jahrgang 1956. dialekt- und krimiautorin, literaturaktivistin, zwölf jahre präsidentin der öda (österreichische dialektautor-Innen und -archive). nach jahrzehnten in wien immer noch burgenländerin.

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