Klimakatastrophe & Kernschmelze

SPÖ-Politik in Österreich und Europa ■ Verzeihung, vom journalistischen Standpunkt sollten keine billigen, blöden oder bösen Anspielungen bezüglich von Namen gemacht werden. Aber der ältesten und rebellischsten Strassenzeitung Österreichs ist manchemal nix „heilig” genug.

KlimakatastrofeÜber Sozialdemokratie und Rechtsentwicklung schreibt in der UHUDLA Ausgabe 92 / 2010 der damalige UHUDLA Chefredakteur Lutz Holzinger in Dritter „Sackgasse” Weg folgendes:

„Politischer Polsprung in der EU – Die Resultate der jüngsten Wahlen zum Europa-Parlament wurden zumeist lakonisch hingenommen. Dass das Abschneiden von Konservativen und Rechtsextremen ein Ergebnis tektonischer Verwerfungen der politischen Landschaft in Europa ausdrückt, wurde kaum zu Kenntnis genommen”.

Bildlich illustriert wurde das doppelseitige Essay mit dem SPÖ EU-Wahlkampfplakat aus dem Jahr 1995 (siehe Bild oben). Bildtext: „Die „selbsternannten Hoffnungsträger“ der europäischen Sozialdemokratie Viktor Klima, Anthony Blair und Gerhard Schröder (im Bild von l. nach r.) sind längst auf dem Müllhaufen der europäischen Politiker-Geschichte gelandet. 2010 schaut „New Labour“ ganz schön alt aus”.

Was aus der österreichischen Sozialdemokratie geworden ist, können alle Interressierten bei Robert Krotzer nachlesen. Der Grazer Stadtrat hat diese Analyse am 26. August auf seiner Facebook Seite veröffentlicht. Also bereits ein Monat vor den SPÖ-Chaostagen mit und über Ex-Kanzler Christian Kern:

Eine Randnotiz zur Krise der Sozialdemokratie

Dass die SPÖ gerade jetzt, wo sie von der „Bürde“ der „Regierungsverantwortung“ befreit ist, in eine tiefe (Vertrauens-)Krise stürzt, mag nur bei oberflächlicher Betrachtung überraschen. Dahinter steht nämlich eine viel weitreichendere Entwicklung: Die maßgeblichen Kapital-Kreise und die große Industrie brauchen die „Sozialdemokratie“ (jedenfalls gegenwärtig) nicht mehr als Stütze ihrer Herrschaft.

Die Vertreter des österreichischen Kapitals sind in den vergangenen Jahren auf eine rabiatere Gangart beim Abbau jahrzehntelang erkämpfter sozialer und demokratischer Rechte umgeschwenkt. Die ökonomischen Eliten sehen in der „macronisierten“ Sebastian Kurz-ÖVP mit einer rechtsum getrimmten FPÖ an ihrer Seite die perfekte Erfüllungsgehilfin für einen Komplett-Umbau der Zweiten Republik und den geplanten Abriss des Sozialstaats. So soll das Werk der Wolfgang Schüssel-ÖVP vervollständigt werden. Eine Entwicklung, die parallel dazu in vielen EU-Staaten zu betrachten ist, in denen sozialdemokratische Parteien zum Teil schon weitgehend aufgerieben wurden.
Das Kapital drängt auf die uneingeschränkte Herrschaft und will auch auf jene Brotkrümel nicht länger verzichten, die in den Jahrzehnten der sogenannten „Sozialpartnerschaft“ an die arbeitenden Menschen, die wohlgemerkt den gesamten Reichtum schaffen, abgefallen sind.

Dazu bedient man sich ungeniert des Ressentiments und zeigt mit dem Finger auf Minderheiten, während man mit der anderen Hand der Mehrheit der Bevölkerung die hart erkämpften sozialen Errungenschaften aus der Tasche zieht. Die Medienlandschaft steht artig Gewehr bei Fuß, unterstützt sowohl rechte Verknappungsdiskurse wie rassistische aufgeladene Scheindiskussionen und inszeniert Konzern-Kanzler Kurz als vermeintlichen Messias. Wohlgemerkt einen jungen Mann, der sein ganzes bisheriges und mehr als gut dotiertes Erwerbsleben im wohlbehüteten Stall der „Volkspartei“ verbracht hat, während er der arbeitenden Bevölkerung im Auftrag von Industriellenvereinigung und den Spitzen der Wirtschaftskammer den 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche diktiert.

Sozialdemokratie hat ihre Schuldigkeit getan – sie kann gehen

Was hat das alles mit der SPÖ zu tun? Sie ist gewissermaßen ihrer Funktion beraubt, nachdem sie jahrzehntelang ihre Rolle als Erfüllungsgehilfin des kapitalistischen Systems gespielt hat. Die Sozialdemokratie hat ihre Schuldigkeit im Sinne der Eliten getan – sie kann gehen. Was in den Führungsetagen so gesehen wird, gilt – freilich aus ganz anderen Gründen – auch zu ebener Erde: ArbeiterInnen und Angestellte haben in den Jahrzehnten „sozialdemokratischer“ Kanzlerschaft seit der kapitalen „Alleinherrschaft” quasi eine Konterrevolution erlebt. Der Druck am Arbeitsplatz wurde härter, der Sozialstaat immer mehr zurückgebaut und die ökonomische Unsicherheit hat um sich gegriffen. Von der SPÖ wurden all diese Ereignisse bestenfalls schulterzuckend zur Kenntnis genommen, zumeist aber sogar noch befeuert.

Der Soziologe Klaus Dörre spricht angesichts dessen mit Blick auf die deutsche Sozialdemokratie gar von einer „Entproletarisierung“, da sich die Arbeiterschaft massenhaft abgewandt hat. Übrig geblieben ist im Fall der SPÖ ein Manager namens Christian Kern, dem gewissermaßen der „Betrieb“ abhandengekommen ist. Die Einkommenslücke zum vormaligen Kanzler-Gehalt lässt sich auf Parteikosten füllen, die Lücke hinsichtlich der Frage, welche Funktion die SPÖ heute hat, lässt sich nicht so einfach schließen.

Erneuerung der SPÖ ist eine vergebene Liebesmüh

Vergebene Liebesmüh‘ ist dabei die Illusion in eine „Erneuerung“ der Sozialdemokratie, die nicht nur aufgrund des wenig glaubwürdigen Personals kaum möglich scheint, sondern faktisch unmöglich ist, da das zugespitzte ökonomische Regime des weltumspannenden Kapitalismus keinen Spielraum für jene verwaschenen Kompromisse mehr lässt, von deren Erbe die hiessige Sozialdemokratie jahrzehntelang zehrte. Auf der anderen Seite sehen wir bei grünen und linken Kräften, dass sie in die Falle sogenannter „Kulturkämpfe“ getappt sind, sich ausschließlich auf liberale Freiheiten und gesellschaftliche Liberalisierung (durchaus kompatibel mit dem vorherrschenden Konzepten) fokussiert haben, während die soziale Frage völlig außer Acht gelassen wurde.

Soziale Interessen der Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten und das Eintreten für gesellschaftliche Minderheiten sind aus einer materialistischen Perspektive aber kein Entweder-Oder, sondern bedingen einander. Wo konsequent linke, marxistische und kommunistische Kräfte eine solche Interessensvertretung beibehalten oder entwickelt haben, ist hingegen auch gegenwärtig ein Erstarken fortschrittlicher Bewegungen mit einer glaubwürdigen und konsequenten Klassenpolitik von unten möglich.

Genau daran müssen wir in Österreich arbeiten, wenn wir zum kapitalistisch ausgerichteten Einheitsbrei eine gesellschaftliche Alternative schaffen wollen, die Hoffnung gibt und Solidarität organisiert.

In diesem Sinne:
„Bildet euch, denn wir brauchen all eure Klugheit,
bewegt euch, denn wir brauchen eure ganze Begeisterung, 
organisiert euch, denn wir brauchen eure ganze Kraft!“

(Antonio Gramsci)

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