Fair well, lieber Reinhart Pitsch …

Peter Zakravsky

Peter Zakravsky ■ Erinnerungssplitter an Reinhard Pitsch (*1954 – 2022).

Reinhard Pitschs Tod am 20. Februar 2022, ließ Erinnerungen zurückkehren, die unter anderen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen als bedeutende politische Auseinandersetzung in die Geschichte eingehen hätte können.

Es sind Erinnerungen über die Folgen des Gerichtsprozesses für den Täter und die beiden Mittäter der Entführung und Lösegelderpressung des Industriellen Walter Palmers im Herbst 1977Reinhard Pitschs Ableben gibt mir Gelegenheit, meine Erinnerungssplitter an ihn damit zu verbinden, mich gegen eine falsche durchaus denunziatorische, in der Sache rufschädigende Behauptung der Politikwissenschaftlerin Irene Bandhauer-Schöffmann in einer ihrer zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen zur Wehr zu setzen.

Eine so grob missachtete Sorgfalt bei einem politisch heiklen, sensiblen und wissenschaftliche Thema darf auf keinem Fall abgewendet werden

In dem 2009 erschienenen Aufsatz, Erzählungen über Terrorismus in Österreich: die Palmers-Entführung (1977) in den Erinnerungen der Beteiligten. BIOS – Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, 22(2), 232-254, schreibt sie, auf ein Zitat von mir über Gabriele Rollnik aus meinen großen Beitrag im spectrum der Tageszeitung Die Presse vom 15. September 2007: Dass auch das damalige Umfeld der Mithelfer an der Palmers-Entführung durch die hegemonialen Narrative über die dominanten deutschen Frauen geprägt wurde, zeigt die Reaktion eines ehemaligen Aktivisten der linken Szene Wiens auf Gabriele Rollniks Auftreten im Dokumentarfilm „Keine Insel“. Peter Zakravsky, der wie die an der Palmers-Entführung beteiligten Studenten Mitglied der APG (arbeitsgruppe politische gefangene) war, unterzog Rollniks Darstellungsweise in der Wochenendbeilage der Tageszeitung „Die Presse“ einer harschen Kritik.

Also: Ich wurde nie durch die hegemonialen Narrative über die dominanten deutschen Frauen geprägt. Der Auftritt der längst aus dem RAF-Milieu ausgestiegenen Gabriele Rollnik in dem 2007 erstmals präsentierten Film „Keine Insel” spielt sich genauso ab, wie ich beschrieben habe. Das ist keine hegemoniale Erzählung sondern ich benenne das Spießerinnengehabe einer Ausgestiegenen, die beim Publikum einen harmlosen Eindruck erwecken will. Geschenkt. Was  mich wirklich gestört hat, und mir stets als grob fahrlässige Verdrehung meines politischen Lebenswerks erscheinen musste, ist der Passus, Peter Zakravsky, der wie die an der Palmers-Entführung beteiligten Studenten Mitglied der APG war… Namentliche Nennung und dann die infame Unterstellung, ich sei Mitglied des APG – fälschlich in großen Blockbuchstaben geschrieben – gewesen.  Nichts ist falscher und hätte damals zu meiner sofortigen Verhaftung geführt.

Meine Studentenwohnung in der Keinergasse im 3. Wiener Gemeindebezirk wurde stapomäßig überwacht, zum Glück muss man gegenüber einer solch infamen, rufschädigenden Formulierung Bandhauer-Schöffmanns hervorheben. Sie hätte mich befragen müssen, vorher, bevor sie eine derartige Diffamierung zu Papier brachte, wo es nun auf ewig im Netz nachlesbar bleibt. Warum sie das unterlassen hat, ist mir schleierhaft. Grob missachtete wissenschaftliche Sorgfalt bei einem so heiklen Thema! Mehr noch, eine besonders perfide Art, denn als Mitglied des APG benannt zu werden, dürfte in Österreich nicht gerade als karrierefördernd gelten.

Der Tod des Reinhard Pitsch ist nicht spurlos an mir vorbei gegangen und  brachte mich zu der Überzeugung, Widerspruch einlegen zu müssen

Eine weitere Bemerkung dazu: Bandhauer-Schöffmann hat sich, einem sich mir nicht erschließenden, dubiosen Erkenntnisinteresse folgend, wie keine zweite durch die Prozessakten der Palmers-Entführung gewühlt. Ihr hätte auffallen müssen, dass ich darin nicht vorkomme, es umgekehrt aber keinen noch so kleinen MitläuferInnen der arbeitsgruppe politische gefangene/arbeitskreis politische prozesse (apg) gibt, die nicht in diesen Akten vorkommen. Ich war studentischer Vertreter der Freien Österreichischen Jugend FÖJ mit intensivem Kontakt zu dem damaligen Repräsentanten dieser Organisation, Kurt Langbein, so wie ich über jeden Verdacht der Sympathie zur RAF, zum bewaffneten Kampf generell, erhaben. Ja, ich war Mandatar der Linken Liste, das habe ich nie in Abrede gestellt, aber die Sammelbewegung Linke Liste war nie eine Vorfeldorganisation der RAF, ganz im Gegensatz zum apg, wie Reinhard Pitsch in zahlreichen Interviews immer wieder betont hat.

Darum ging es dem apg ja, die Linke Liste zu unterwandern, mir das politische Leben schwer zu machen, mich ununterbrochen unter Solidaritätsdruck mit den Gefangenen der RAF zu setzten. Ja, ich war auch Mitorganisator der Russelinitiative gegen die Repression in der BRD, aber diese Initiative kümmerte sich keineswegs hauptsächlich um die Haftbedingungen der Gefangenen der RAF. Womit wir uns im Detail beschäftigt haben, kann ich im Einzelnen jetzt nicht feststellen, denn ich habe das gesamte Material vor einiger Zeit der Wien-Bibliothek vermacht, was ich im Übrigen als Mitglied des APG  nicht machen hätte können, denn dann wäre auch meine Wohnung durchsucht und alles, was ich nicht vorher entsorgt hätte, beschlagnahmt worden. Eine solche Untersuchung fand bei mir aus den genannten Gründen nicht statt, daher konnte ich das Konvolut sichern, Jahrzehnte lang aufbewahren und weitergeben, z. B. das ominöse Flugblatt, GEGEN FOLTER UND VERNICHTUNGSHAFT, das Reinhard Pitsch am 8. Mai 1977 vor der Uni-Wien verteilte.

Mir hat die Unterstellung eines Naheverhältnisses zum apg durch diese Wissenschaftlerin draußen in der Welt der Normalos sicher geschadet

Aber das scheint die Schreiberin nicht zu bekümmern, sonst hätte sie sich wenigstens bei mir entschuldigt. Ich habe mit dem Pitsch meine Sträuße ausgefochten, ich habe natürlich gespürt, da ist etwas im Werden, das mir total gegen den Strich geht. Studentische Mitarbeiter vom Institut für Politikwissenschaft und anderen Instituten, rotteten sich rund um den Reinhard zusammen, um die Wiener RAF-Gefangene Waldtraut Book im Gefängnis zu besuchen, damit nicht wenig Risiko auf sich nehmend. So auch ein Thomas Gratt und Othmar Keplinger, die ich im Zuge des Wahlkampfes der LILI als durchaus sympathische junge Männer kennen gelernt hatte. Sehr unangenehm stieß mir auf, dass man mit all denen nach ihrem Umschwenken in Richtung bewaffneter Kampf nicht mehr vernünftig reden und auch nicht mehr Politik machen konnte. Mir zerfiel das Projekt LILI allmählich in der Hand wie modrige Pilze, um eine berühmte Metapher Hugo von Hofmannsthals zu benützen.

Der Hase und der Igel, so bewegten wir uns, der Reinhard und ich, durch den Irrgarten studentischer Politik in den Monaten Mai bis November 1977, dann war er verhaftet und ich hockte angewidert und tief deprimiert vor den Trümmern der LILI. Ich habe sie so geliebt, die LILI! Fair well, lieber Reinhart Pitsch, du würdest lachen, wenn du wüsstest, dass mich eine Wissenschaftlerin in einer ihrer Publikationen mir nix dir nix zum Mitglied in deinem hanebüchenen apg gemacht hat.

Entführung von  Walter M. Palmers

Bei dieaer Aktion ging es um die Entführung des  Textilindustriellen Walter Michael Palmers am 9. November 1977 in Wien. Dahinter steckte die bundesdeutsche extremistische Terrororganisation Bewegung 2. Juni. Nach Zahlung eines Lösegeldes von 30,5 Millionen österreichischen Schilling am 13. November 1977 wurde Walter Palmers wieder freigelassen. Drei Studenten unterstützten die Terroristen bei der Vorbereitung und Durchführung der Tat, die nach dem Plan der Täter allein der Geldbeschaffung dienen und nicht als terroristische Aktion wahrgenommen werden sollten.

Peter Zakravsky, geboren 1952 in Wien, studierte Politikwissenschaften, Philosophie und Publizistik an der Universität Wien. Nach erfolgreich abgeschlossenem Doktoratstudium 1979 arbeitete er für das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes. Es folgten lehrreiche Jahre des Reisens als Repräsentant des Suhrkamp Verlags. Seit 2007 ist er u.a. als freischaffender Journalist für Die Presse tätig. Im Oktober 2020 ist sein Buch Verwundungen nach 20 Jahren Verlagssuche erschienen.

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