Für Recht und Gerechtigkeit

Buchpräsentation Innsbruck: Im Vordergrund Kohlenberger, Schlosser.

Stimmen für Menschlichkeit Die Plattform So sind wir nicht SSWN gibt es nun drei Jahre Es gibt weder einen Grund diesen Geburtstag großartig zu feiern, noch unsere Aktivitäten einzuschränken heisst es in einem Tätigkeitsbericht der Innsbrucker Initiative.

Die ersten SSWN Forderungen in einem offenen Brief an den damaligen Kanzler Sebastian Kurz und den immer noch amtierenden Vize Werner Kogler sind nach drei Jahren leider noch immer in keinem Punkt erfüllt.

Obwohl es eigentlich nichts zu feiern gibt, haben die AktivistInnen ein Geburtstagsgeschenk erhalten: Die Zusage von Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin an der WU Wien, ihr Buch „Das Fluchtparadox“ in Innsbruck zu präsentieren. Das Buch wurde in der Kategorie Geistes-/Sozial-/Kulturwissenschaft als Wissenschaftsbuch des Jahres 2023 ausgezeichnet.

Zwei weitere Literaturhinweise:
„So schaffen wir das“: Othmar Karas, Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments, und Judith Kohlenberger zeigen gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Politik und Wissenschaft, wie sich Zuwanderung und Flucht in einer modernen, den Menschenrechten verpflichteten Demokratie organisieren lassen.
„Die Insel“: In der Ö1-Sendung Kontext wurde das Buch von Franziska Grillmeier vorgestellt, in dem sie ein erschütterndes Bild der Menschenrechtsverletzungen an den Rändern der Europäischen Union zeichnet. Zitat aus der Sendung: „Es handle sich um keine bloße Aushebelung von Recht mehr, vielmehr habe längst eine Verrechtlichung des Unrechts stattgefunden“.

Die Einigung zwischen ÖVP und FPÖ in Niederösterreich macht viele Menschen in Österreich sehr betroffen

Obwohl sich die FPÖ zuletzt noch weiter radikalisiert hat, insbesondere beim Thema Migration, wird sie von der ÖVP wieder salonfähig gemacht. Vergessen sind die desaströse Performance früherer ÖVP-FPÖ-Koalitionen (auf Bundesebene) und die menschenverachtenden Aussagen von LR Gottfried Waldhäusl, der zwar der künftigen Landesregierung nicht mehr angehören, aber zum 2. Landtagspräsidenten gemacht wurde. Othmar Karas (ÖVP): „Landbauer und Waldhäusl übertrumpfen einander mit Gedankengut, das mit dem Menschenbild der ÖVP unvereinbar ist“ (Der Standard, 18.03.2023).
Etwa 500 Menschen sind am 23.03.2023 – trotz der frühen Morgenstunde – zur Protestkundgebung vor dem Landhaus in St. Pölten gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ gekommen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat bei der Angelobung der Landeshauptfrau eine unübliche Grundsatzrede gehalten, in der er die Koalition der ÖVP mit der FPÖ scharf kritisiert hat.

Nun noch ein Schwenk zu einer aufbauenderen Geschichte, die zeigt, dass beharrlicher Druck von unten etwas bewirken kann. In der E-Mail von WeMove Europe wird erzählt, wie es durch unnachgiebiges Engagement über drei Jahre hinweg gelungen ist, die EU-Kommission zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland und andere europäische Länder zu bewegen, die nun – um einer allfälligen Klage zu entkommen – ihre Verstöße gegen die Asylgesetze beenden müssen.

Ein weiteres Newsletter von SSWN widmet sich einmal mehr einem der schrecklichsten Themen im Zusammenhang mit Flucht – den Pushbacks.

Diese menschenrechtswidrigen, illegalen Praktiken gehören weiterhin an allen EU-Außengrenzen zum Alltag’

Seit Jahren wird Kroatien dafür kritisiert, Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten illegal vom Landesinneren nach Bosnien zurückzuzwingen, ja geradezu zurückzutreiben. Recherchen von Lighthouse Reports, dem ORF, dem Spiegel und den kroatischen Medien legen jetzt nahe, dass die Pushbacks System haben und von ganz weit oben abgenickt sein könnten.

Der ORF hat am 06.04.2023 ausführlich darüber berichtet, u.a. durch Gespräche mit dem an den Recherchen beteiligten Redakteur Bernt Koschuh: In diesem Zusammenhang sind die brandaktuellen Recherchen, die SOS Balkanroute am 05.04.2023 veröffentlicht hat, umso brisanter: In einer Presseaussendung haben Petar Rosandić und sein Team aufgedeckt, dass im Flüchtlingscamp Lipa, in welches Österreichs Regierung mindestens 800.000 Euro und die oberösterreichische Landesregierung separat nochmal 300.000 Euro unter dem Deckmantel der „Hilfe vor Ort“ investierte, ein Abschiebezentrum mit Gefängniseinheiten gebaut wird.

Beim Auftritt der Migrationsforscherin Judith Kohlenberger am 30.03.2023 füllten 110 Menschen den wunderschönen Saal der Stadtbibliothek Innsbruck. Diese hatte gemeinsam mit SO SIND WIR NICHT zur Präsentation von Kohlenbergers „Das Fluchtparadox“ geladen.
Im Gespräch mit Moderator Hannes Schlosser (SSWN) legte Frau Kohlenberger präzise eine Reihe der Paradoxa offen, die sie in ihrem Buch beschrieben hat. Zum Beispiel das „Asylparadox“: Weil in den EU-Ländern ein Asylantrag nur möglich ist, wenn man sich bereits in einem Land befindet, muss man zunächst die Grenze dieses Landes überqueren. Flüchtende müssen also „Recht brechen“, um zu ihrem Recht zu gelangen. Die Verwendung des Begriffs „illegal“ in Zusammenhang mit Migration ist also paradox, der Akt des „illegalen“ Grenzübertritts liegt im Fehlen legaler, sicherer Fluchtwege (Resettlement, Botschaftsasyl etc.) begründet.

Im zweiten Teil des Abends entwickelte sich dank reger Beteiligung eine inhaltsreiche und vielfältige Diskussion mit dem Publikum. Ein Fazit des Abends: Rechtspopulistische Politik (Stichwort Niederösterreich) erfordert mehr denn je Gegenstimmen aus der Bevölkerung im Sinne von Menschlichkeit, Recht und Gerechtigkeit und einer pragmatischen Politik im Einwanderungsland Österreich.

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