
Portugiesische Verhältnisse ■ Vorwärts zur Festa do Avante am 4. 5. Und 6. September 2020. Avante heißt Vorwärts auf deutsch. Am Südufer des Tejo gegenüber der Metropole Lisboa geht am Wochenende die 44. Auflage des traditionsreichen Politik-, Kultur- und Musikspektakels über die Bühnen. Diese Jahr sind es nur drei statt wie sonst üblich zwölf Auftrittsorte. – Trotz allgemeiner Corona-Panik in Lousitanen sind über 50 Bands zu sehen und zu hören. 2019 standen noch 130 Acts auf dem 3 Tages Programm.
Aus Lisboa berichtet Martin Wachter
Das Festival der Portugiesischen KommunistInnen wird normalerweise an drei Tagen von über einer halben Million Gäste besucht – auf der 30 Hektar große Quinta im Eigentum der Partei. 2020 erlaubt die Generaldirektion für Gesundheit DGS maximal 16.563 Besucherinnen bei strikter Einhaltung von zahlreichen Sicherheitsmaßnahmen.
Wikipedia schreibt: Die „Festa“ ist mit jährlich über 500.000 Besuchern eine der größten kulturellen Veranstaltungen Portugals
Traditionell wird das Fest am Freitagnachmittag durch eine kurze Rede des Parteivorsitzenden der PCP eröffnet, und am Sonntagnachmittag mit einer längeren PCP-Veranstaltung beendet. Die Partei nutzt vor allem den Sonntagnachmittag traditionell als öffentliche Parteiveranstaltung auf der größten Bühne des Geländes (Palco 25 de Abril). Die jährliche „Festa“ bietet eine kaum überschaubare Anzahl an Programmpunkten. In einer umfassenden Festival-Illustrierten werden alle Programmpunkte und -orte aufgeführt. Das Programm der „Festa“ beinhaltet Konzerte auf verschiedenen großen und kleineren Bühnen, offen oder überdacht.
Die Bandbreite reicht von klassischer Musik über Jazz, Blues und Weltmusik bis zu Punk, Ska, Metal, Hip-Hop und allen Spielarten des Pop/Rock und elektronischer Tanzmusik. Es gibt auch Fado, Folklore und volkstümliche Musik. Darüber hinaus gibt es in verschiedenen Zelten Ausstellungen, Lesungen, Workshops, Theater, Kino und Tanz (sowohl Tanzkunst als auch Folklore).
Über das ganze 300.000 Quadratmeter große Gelände sind Themenpavillons verteilt. So stellt jede regionale PCP-Organisation ihre Heimatregion gastronomisch und kulturell vor. Es gibt Pavillons zu Themen wie Frauenrechte, Zukunftstechnologien, Migration, Jugend oder Internationalismus. Auch befreundete internationale Parteien und Organisationen stellen ihre Länder gastronomisch und kulturell vor.
Es gibt Gesundheitsstationen, Telefonzellen, Bankautomaten, Informationsstände, Gepäckaufbewahrungen und Campingplätze, weiters eine Buchmesse, eine CD-, Schallplatten- und DVD-Börse, Weinproben, Imbissstände, thematische Bars und Restaurants, Kunsthandwerkszelte, Diskussionsforen, Kleinkunst- und Sportveranstaltungen (Leichtathletikläufe, Fallschirmspringen, Radrennen, Fußballturniere u. a.).
Ein typisches Merkmal dieses Festivals ist das immer wieder zu hörende instrumentale Lied A Carvalhesa. Dieses geht auf eine 1932 erstmals von Kurt Schindler festgehaltene Volksweise aus Trás-os-Montes zurück. Das Lied wird vor dem ersten Abendkonzert der „Festa“ an der Hauptbühne abgespielt und stellt einen ersten Höhepunkt dar. Es wird seit dem Wahlkampf 1985 auf jeder „Festa“ gespielt und erklingt immer wieder an verschiedenen Stellen des Geländes. Eine Mehrzahl von vorwiegend jungen Festivalbesuchern fängt dann stets einen hüpfenden, ausgelassenen Kreistanz an. Das Lied gilt als „Hymne“ der Festa do Avante!.
Nach dieser ausführlichen Information nun die politische und mediale Ausgangslage im Corona Jahr 2020.
Die Option, die „Festa 2020” in Zeiten einer Pandemie durchzuführen, wurde nach breiter und umfassender Diskussion im Mai vom Zentralkomitee beschlossen
Die oberste Parteiinstanz der portugiesischen KommunistInnen hat mit den Abhaltungsbeschluss auch entschieden, dass sie mit der DGS „Generaldirektion für Gesundheit“ Informationen austauscht und dauerhaft zusammenarbeiten würde. Die DGS hat fünf Tage vor der „Festa” ihre Stellungnahme veröffentlicht, in der die Maßnahmen festgelegt sind, die die PCP ergreifen muss, damit die Veranstaltung sicher stattfinden kann. Dazu gehören Isolationsräume, eine bestimmte Kapazität für jeden Raum, Sitzgelegenheiten und die obligatorische Verwendung einer Maske. Es wurde auch auf Konsum von Alkohol abgeraten, dessen Verkauf ab 20 Uhr verboten sein wird.
Die maximale Kapazität von „gleichzeitig nur 16.563 Personen“ auf dem Veranstaltungsgelände verursachte ein Problem mit den Tickets. Die PCP wollte nicht verlautbaren, wie viele Eintrittskarten im Vorverkauf bereits ausgegeben wurden. Die Partei räumte jedoch ein, dass die Anzahl der verkauften Tickets höher sein würde als die von DGS festgelegte Anzahl. Jaja, Solidarität und Unterstützung sind Fremdwörter für die meisten Behörden, Parteien und Medien von Portugal.
Eine politische und mediale Hetze gegen die Kommunistische Partei wie in Zeiten der Salazar Diktatur. Allen „pandemieveränstigten Menschen, VerschwörungstheoretikerInnen, Covidioten und CoronaschwurblerInnen” ins Stammbuch: In Lousitanien sind gegenwärtig alle Kummerln die „Nazis” wie beispielsweise die zigtausend Anti Corona DemonstrantInnen in der Bundesrepublik Deutschland. In der Medienberichterstattung und Polit-Kommentaren wird statt Nazis halt Kommunisten verwendet. Die „Kommunisten sind Mörder, weil sie die Festa do Avante veranstalten”, sind da nichteinmal die schlimmsten Meldungen von Medienberichterstattern und parteipolitischen Personal. Es gab mehrere Avante-Verbotsdiskussionen der Parteien im Parlament. Alle sieben Parteien gegen das Wahlbündnis CDU, die PCP und die Ökologisch Grünen PEV, welche mit 12 Abgeordneten im 230 Mandate zählenden Lissabonner Parlament vertreten sind. Letztendlich musste der konservative Portugiesische Präsident Marcelo Rebelo de Sousa ein Machtwort für die Abhaltung der kulturellen- politischen Großveranstaltung sprechen. Ein Wermutstropfen in der scheinheiligen Parlamentsdebatte. Das Staatsoberhaupt und viele politische Würdenträger und Spitzenfunktionäre waren im Mai bei einem Fado-Konzert mit 2.100 (normalerweise bis 10.000) BesucherInnen in einer mit Dach geschlossenen Stierkampfarena am Campo Pequeno, ohne Mund-Nasenschutz. Dagegen war der Wastl Kurzische Besuch ins Kleinen Walsertal ein Lärcherlschas.
Das Staatsoberhaupt musste auf Grund der Gesetzeslage handeln. Eigentumsrechtlich gehört und besitzt das 30 Hektar grosse Areal die PCP. Und weil es keinen gesetzlichen Ausnahmezustand gibt, können politische Veranstaltungen nicht einfach so mirnix dirnix verboten werden. Wenn schon Politiker und Medien die Kommunisten als „Mörderbande” und sich „politisch selbstzerstörerisch” diskreditieren, heißt das noch lange nicht, dass im Portugal 46 Jahre nach der Nelkenrevolution das Faustrecht gilt.
Die PCP lässt sich nicht kleinkriegen und organisiert über ihren nahestehenden Gewerkschaftverband CGTP IN und mit ihren gut organisierten Mitgliedern der Grundorganisationen landauf landab Widerstand gegen die verheerende Politik im Lande. Sie kämpft für die Rechte der Arbeitenden, der Frauen, Pensionisten und Jugendlichen. Portugal ist dem sozialen Abgrund nicht nur wegen Covid-19 ein Stückchen näher gekommen. Es vergeht kein Tag an dem nicht irgendwo gestreikt oder protestiert wird. Arbeitsniederlegungen von mehreren Tagen gab und gibt es in Spitälern, Konzernen, öffentlichen Einrichtungen und auch bei Lidl, Aldi (Hofer) und Co. De facto ist das ohnehin miserable Arbeitsrecht ausgesetzt. Menschenunwürdige Arbeit, Ausbeutung, Kurzarbeit und vorallem die horrend gestiegene Arbeitslosenzahl steigern Not im Lande.
Die staatlichen StatistikerInnen von INE veröffentlichten vor einer Woche katastrophale Zahlen und Fakten. 27 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung hat gegenwärtig weniger als 250 Euro Einkünfte im Monat. Weil im Internet und auf Facebook und so, immer die hohe Quote von 75 Prozent Arbeitslosengeld angeführt wird, ein paar klärende Fakten: Viele Arbeitslose verdienten nur den Brutto-Mindestlohn von 635 Euro, viele Beschäftigte sogar weniger. Da geht aber noch ein guter Hunderter an Abgaben weg, dann bleiben also so um die 500 Euro im Monat und davon sind 75 Prozent um die 375 Euro.
Kämpfen für Freiheit und Demokratie, für die Rechte der Werktätigen und für eine soziale und gerechte Gesellschaft: A LUTA CONTINUA – der Kampf geht weiter
Jerónimo de Sousa, der Chef der Kommunisten Portugals bringt es auf den Punkt: „Wir KommunistInnen lassen uns nicht einschüchtern und schon gar nicht an unserer politischen Arbeit für Portugal behindern. Wir haben Jahrzehnte gegen die Diktatur gekämpft und einen sehr großen Beitrag bei der siegreichen Nelkenrevolution am 25. April 1974 geleistet. Wir kämpfen Gestern, Heute und Morgen für Freiheit und Demokratie, für die Rechte der Werktätigen und für eine soziale und gerechte Gesellschaft in Portugal. A Luta Continua! Die PCP organisiert und veranstaltet die „Festa”, weil auch in Corona Zeiten Kultur, Freizeit und politisches Handeln möglich sein müssen”.
Morgen gehts in Richtung Lisboa. Ich werde es mir nicht nehmen lassen „live” über die „Festa do Avante” zu berichten. Angst habe ich keine, vorgeschriebene Maskenpflicht ist selbstverständlich, bin eh Lungenkrank und deswegen seit genau 15 Jahre in Portugal daheim. Wenn das kein Grund zum Feiern ist.
Übrigens, wie kommt die behördlich von der DSG genehmigte Gästezahl von 16.563 zustande: Pro Person!!! werden im Freien acht Quadratmeter und in den Hallen 20 Quadratmeter berechnet. Nach diesen Vorgaben würden zwei bis drei Menschen in einem U-Bahn Waggons mitfahren dürfen. In Bussen und Straßenbahnen gingen sich eventuell zwei Passagiere aus. Fliegen wäre danach ein elitäres Privatvergnügen und „hackeln“ in den Fabrikshallen eine überschaubare Anzahl von Werktätigen.