
Britannien : Portugal ■ Jänner 1890 – ein Ultimatum aus England Das Datum gehört zu den wichtigsten in der Geschichte Portugals als Kolonialmacht mitsamt allen Folgen und dennoch ist das Datum nahezu verschwunden aus dem allgemeinen Bewusstsein.
Von Henrietta Bilawer
Europa zu Ende des 19. Jahrhunderts: Die Herrscherhäuser haben Afrika erobert, unter sich aufgeteilt und kolonisiert.
Doch noch immer sind weite Gebiete des Kontinents unerforscht, auch wenn sie formal Kolonialbesitz des einen oder anderen Staates sind.
Portugal beherrscht die Kolonien Angola und Mosambik
Beide Länder im südlichen Afrika grenzen an Ozeane, ersteres liegt am Atlantik, das andere am Indischen Ozean. Zwischen den Grenzen im Landesinneren erstreckte sich ein breiter Streifen unerschlossenen Landes, das sich noch keine Nation angeeignet hatte.
Die portugiesischen Kolonialherren beschlossen, das Gebiet ihrem Hoheitsgebiet einzuverschreiben und die beiden Kolonien wie durch einen breiten Korridor miteinander zu verbinden.
Kartographen fertigten eine Landkarte mit dem neuen Gebilde an. Die gesamte von Portugal beanspruchte Zone wurde zur besseren Erkennbarkeit in der Farbe Rosa eingefärbt. Der Maler Carlos Reis hat 1903 die als ʽmapa cor-de-rosa ʼberühmt gewordene Glorifizierung des Imperiums in Öl gemalt. Die Darstellung des afrikanischen Traums hängt heute im Lissabonner ʽMuseu Militarʼ.
Der Plan missfiel allerdings den britischen Kolonialisten im benachbarten damaligen Rhodesien. Staatsgründer Cecil Rhodes besaß seit 1888 eine Konzession zur Ausbeutung von Erzvorkommen im fraglichen Gebiet. Viele Europäer hatten sich inzwischen angesiedelt, doch die britische Krone wollte die lukrative Erde für sich alleine. Gegen portugiesische und auch gegen deutsche Ansprüche erklärte England den Landstrich zum Protektorat und stellte – heute vor 132 Jahren – ein Ultimatum: Sollte Portugal die ʽmapa cor-de-rosaʼ durchsetzen wollen, gebe es Krieg. Die portugiesische Krone gab ihre Pläne auf.
Dieser Rückzug, den Historiker als „das spektakulärste Desaster der portugiesischen Diplomatie“ bezeichnen, wird in vielen zeitgenössischen Quellen mit „offensichtlicher militärischer Unterlegenheit gegenüber den Engländern“ begründet. In Mutterland der rosigen Landkartenträume reagierte das Volk mit großer Entrüstung. Wut auf den König und die von ihm bestellten Minister machte sich breit.
Der Volkszorn mischte sich mit einer Art Nationaltrauer
Henrique Lopes de Mendonça, Marineoffizier, später Direktor der Akademie der Wissenschaften und Gründer des portugiesischen Schriftsteller-Verbandes, dichtete 1890 ein Protestlied gegen die Monarchie und England mit den Worten „an die Waffen, fürs Vaterland kämpfen, gegen die Kanonen marschieren, marschieren“.
Alfredo Keil, Sohn des aus Hamburg eingewanderten Hofschneiders des portugiesischen Königs, schrieb die Melodie dazu – Das Lied ʽA Portuguesaʼ ist seit 1911 die Nationalhymne des Landes. Und die diplomatische Niederlage in dem Gebietsstreit zwischen der portugiesischen und der britischen Krone ist der Urgrund für manch abfällige Äußerung gegen Engländer in Portugal, wie man sie noch heute hören kann.
Damals brach eine nie gekannte Welle des Patriotismus aus: Die Portugiesen formierten sich und bekannten sich kollektiv zu ihren Interessen, da die Obrigkeit diese offenbar nicht zu vertreten wusste. Rasch entstanden Freizeitvereine, Verbände von Handwerkern, Händlern, Künstlern und die Freiwillige Feuerwehr. Richter, Angehörige des Klerus, Stadtverordnete, Eisenbahnangestellte, Militärs, aber auch Fabrikarbeiter, Journalisten und Lehrer – alle schufen ihre Standes-Organisation und traten bei zahlreichen Manifestationen mit Vereinsfahne oder Emblem auf. Andere waren an ihrer jeweiligen Berufskleidung zu erkennen oder führten allegorisch geschmückte Wagen. So zogen sie durch Straßen, vereinten sich zu Volksfesten. Eine Folge der diplomatischen Niederlage war also die Schaffung von Interessen-Verbänden als Sprachrohr und Vertretung der gesellschaftlichen Gruppen.
Neben der organisierten Präsenz bildeten sich aber auch anarchistische Formen der Meinungs-Bekundung. Der Gegenpol der patriotischen Demonstrationen von 1890 war, was die Reiseschriftstellerin Maria de Rattazzi in ihrer ironischen Betrachtung der portugiesischen Oberschicht ʽPortugal a vol d´oiseauxʼ (Portugal aus der Vogelperspektive) als „die einzig wirklich nationale Demonstration“ bezeichnete: „Der Karneval“. Das Treiben befremdete die Öffentlichkeit, denn es war ohne jede Ordnung anarchistisch und für viele Betrachter vulgär.
Der Karneval zeigte das Volk so, wie sowohl Monarchisten als auch Republikaner es verabscheuten: „Gewalttätig und pervers“, so Rattazzi. Wer sich an scheinbar unumstößliche Maximen des Handelns hielt, sich so benahm, „wie er erzogen war“, musste im Karneval mitansehen, wie Männer sich als Frauen kleideten und sich generell ziemlich obszön benahmen.
In Lissabon flüchteten die Stadtsoldaten vor den Karnevalisten
In Lissabon kam es soweit, dass Stadtsoldaten vor den Karnevalisten in die Carmo-Kaserne flüchten mussten. Chronisten schrieben entsetzt, es habe „kaum einen Bürger in der ʽBaixaʼ gegeben, dessen Hut am Ende des Tages nicht verbeult gewesen wäre“. Zwar habe es auch bei den Umzügen der Patrioten immer ein paar Durchgeknallte und Provokateure gegeben, im Karneval aber „hatten diese Narrenfreiheit und schienen ganz und gar nicht schüchtern“.
Der Dichter Abílio Guerra Junqueiro hatte vorgeschlagen, 1890 keinen Karneval zu feiern, sondern „statt Tagen voller Spott und Farce, Heiterkeit und Ungezwungenheit“, drei Tage in „Sack und Asche“ zu gehen und „Europa ein Volk zeigen, das beleidigt und vergewaltigt in seinen Rechten sich in seinem Schmerz und Stolz vereinigt, während der übrige Kontinent sich im Reiche von Ulk und Hohn versammelt“. Rasch geplante Historien-Märsche scheiterten dann an der Bürokratie.
So beherrschte auch am Karnevalsdienstag nach dem schmachvollen Rückzug hinter Englands Forderungen Jubel, Trubel und Heiterkeit Portugals Straßen, und zwar heftig. Allein in Lissabons Unterstadt kamen über dreißig Personen ins Hospital. Auf den Flaniermeilen des Bürgertums gab es gesittete Umzüge mit Phantasiefiguren und Kostümen. Von geschmückten Wagen wurden Bonbons in die Menge geworfen.
Der Kehraus folgte am Aschermittwoch: Das Volk zog zum städtischen Gericht, wo die besonders Übermütigen vom Vortag dem Richter vorgeführt wurden. Mit ihren lädierten Masken wurden sie zum traurigen Ziel der Spötter.
Und so hat ein Tel der karnevalistischen Bräuche in Portugal einen kolonial-historischen Hintergrund.
• Die Bilder zeigen eine zeitgenössische Karikatur zur Vormachtstellung der britischen Krone auf dem gesamten afrikanischen Kontinent, die ʽmapa cor-de-rosaʼ mit den Ambitionen Portugals, seine Kolonien Angola und Mosambik zu verbinden, und ein paar Aufnahmen aus dem Karneval jener Zeit (Abb. Aus der ʽHemeroteca de Lisboaʼ)