Lousitanien steuert Backbord

avante
„Vorwärts”, die Wochenzeitung der KP Portugals

Portugiesische Verhältnisse ■ Nach der Wahl ist vor der Wahl. Nicht nur in Österreich, auch in Portugal muss bis spätestens Oktober 2019 ein Parlament gewählt werden. Da ist eine EU-Wahl Einschätzung über die politischen Zu- und Umstände im südwestlichsten EU-Land an der Atlanikküste angebracht. Portugal gilt vorallem den SozialdemokratInnen als Hoffnungsträger für die europäische „Linke“.

Von Martin Wachter aus Lisboa

Portugals politisches Ruder ist auf Kurs Backbord ausgerichtet. Backbord, ist die linke Seite eines Wasser-, Luft- oder Raumfahrzeugs. In der Seefahrer- und Entdeckernation am Ende des europäischen Kontinents ist ein Linkskurs nichts Außergewöhnliches.

Die sozialdemokratischen Bäume der Partida Socialista PS wachsen am Westrand der iberischen Halbinsel noch nicht in den Himmel. Für die Regierungspartei von Antonio Costa gab es mit 33,38 Prozent Stimmenanteil und neun von 21 EU-Parlaments Sitzen ein wenig Bewegung nach oben – Wahl 2014: 31,48 Prozent und acht Mandaten. Stimmenmäßig wurden bei der vorletzten Wahl 1.034.249 gezählt und am 26. Mai 2019 votierten 1,106.300 Menschen für die sozialistischen Sozialdemokraten.

Eine lebendige Demokratie und flexible WählerInnen

Bemerkenswert ist die Veränderung des rechts / links EU-Wahl Mandatsverhältnisses in Portugal. 2014 auf konservativer Seite 9 und linksorientiert 12 ParlamentskollegInnen. 2019 bekennen sich 7 MandatarInnen zur Europäischen Volkspartei und zur rechten Gemeinschaft. Auf der linken Seite 14 ParlamentarInnen, davon zählen 9 zur Sozialdemokratischen Fraktion, 1 Sitz landet bei Grün und 2 CDU und 2 vom Bloco de Esquerda BE Linksblock – diese 4 Mandate werden der Europäischen Linkspartei zugeordnet. Der Linksblock steigerte sich von 4,56 Prozent auf 9,82 Prozent.

Lobenswert ist der von staatswegen einfache Zugang von etwas mehr als 20 registrierten politischen Parteien an Urnengängen. Diese Parteien können von Wahl zu Wahl verschiedene Allianzen mit zwei oder mehreren Partnern bilden. In Portugal haben alle anerkannten Parteien wenn diese es wollen, einen Fixplatz auf dem Stimmzettel. Keine Unterstützungserklärungen sind nötig, schon gar nicht wie in Österreich mit persönlicher Unterzeichnungspflicht auf zuständigen Gemeindeämtern und Magistraten.

Bei der EU-Wahl 2019 standen 17 Listen zur Auswahl. Bei der Nationalratswahl 2015 gab es 15 Angebote für das portugiesische Wahlvolk. Interessant ist auch, dass ungültige Stimmen (Nullos) und leere Stimmzettel (Brancos) im Wahlergebnis berücksichtigt werden. Die Nullos erreichten 2,68 Prozent und die WeißwählerInnen erzielten 4,25 Prozent, 9,72 Prozent Stimmen der elf Parteien die kein Mandat erreichten, sind in Summe 16,65 Prozent WählerInnen, die keine Vertretung im EU Parlament haben. Wenn sich der Anteil der „Stimmlosen” weiter vergrößert, bekommt der Polit-Thriller „Die Stadt der Sehenden” des Literaturnobelpreisträgers Jose Saramago, zu Lebzeiten MitgPT-EU-Wahllied der Kommunisten und Widerstandskämpfer gegen die portugiesische Salazar Diktatur, einen real existierenden Hintergrund.

Besorgniserregend und zunehmend ein demokratisches Problem ist der Rückgang der Wahlbeteiligung. Von den 10,777.754 Stimmberechtigten nahmen nur 30,57 Prozent aktiv an der Wahl teil. 1,43 Millionen im Ausland lebende PortugiesInnen durften diesesmal offiziell mitstimmen, doch nur 0,96 Prozent, insgesamt 13.723 Personen haben ihrem Recht auf Wahl ausgeübt.

Tierische Wahlüberraschung von 1,72 auf 5,08 und: ein Mandat

Durch den unkomplizierten Wahlzugang der Parteien gibt es immer wieder politische Überraschungen in Portugallien. „Die PAN wurde am 13. Januar 2011 als Partido pelos Animais e pela Natureza (PAN; „Partei für die Tiere und die Natur“) registriert. Im September 2014 nahm sie den heutigen Namen Pessoas – Animais – Natureza (PAN; Menschen – Tiere – Natur) an”, ist in der Enzyklopädie Wikipedia jetzt noch unter „Kleinpartei” zu lesen. Der Aufsieg der Tierschutz-, Pazifistischen- und Grünpartei ist beachtlich. Beim ersten EU-Wahlantritt gab es magere 1,72 Prozent, fünf Jahre später 5,08 Prozent. Das freut die Grünen im EU-Parlament mit einem zusätzlichen Mandat aus Portugal.

Einen Haken hat das portugiesische Wahlsystem doch. Für ein Grundmandat sind um die 4,5 Prozent Stimmenanteil für 21 EU-Sitze Voraussetzung. Wegen der gezählten ungültigen und weissen Stimmzetteln liegt die Latte für den Einzug ins EU-Parlament für Kleinparteien noch höher. Makaber ist die Tatsache, dass von den elf gescheiterten Parteien mindestens sechs Gruppierungen mehr oder weniger die gleichen linken politischen Zielsetzungen hätten. Sie konnten sich aber im Vorfeld der EU-Wahl nicht auf eine Allianz mit Mandatsaussicht einigen, quasi wie in Österreich. Nur in Österreich ist der Stimmzettel meistens Linksparteien frei.

Die politische extreme Rechte und die rechtspopulistischen Schreihälse machen in Portugal keine Meter. Die rechtsrechte Nationale Erneuerungspartei PNR hat treffsicher wie immer die halbe Prozentmarke knapp verfehlt, 16.165 Stimmen und 0,49 Prozent. In der größten Oppositionspartei, den „schwarzen” oder jetzt „türkisen” portugiesichen Sozialdemokraten PSD (6 Mandate) und deren BündnispartnerInnen des Centro Democratico e Social – Partido Popular CDS-PP (1 Sitz) gibt es auch nicht wenige Rechte. Die ProtagonistInnen beider Parteien träumen von der Nachahmung der Politik von Margaret Thatcher. Ihre Regierungspolitik in den Jahren 2011 bis 2015 und der aufgezwungene Sparkurs der EU haben das Land am Atlanik fast ruiniert und nahe an den Abgrund manövriert.

Mit rostigen Flügeln ist die CDU hart am Absturz vorbeigeschrammt

Mitten in der Krise und durch die verfehlte Politik der konservativen PSD / CDS-PP Regierung konnten Portugals KommunistInnen 2014 ihr bestes EU-Wahlergebnis erreichen. Einem Stimmenanteil von 416.925 Stimmen mit 12,68 Prozent und 3 Mandaten stehen fünf Jahre danach nur noch 228.152 Vots und 6,88 Prozent gegenüber. Weil 2019 fünf Sitze nicht durch Grundmandate erzielt werden konnten, gab es ein Mandat als Draufgabe. Die CDU sitzt jetzt mit einem Mann und einer Frau im 751 köpfigen EU-Parlament in Brüssel und Strassburg.

Die Coligação Democrática Unitária CDU, ein Zusammenschluss von Kommunistischer Partei und der Partido Ecologista „os Verdes“ PEV, ökologische Partei der Grünen, hat ihr schlechtestes EU-Wahlergebnis eingefahren. Das Parteienbündnis hat einen ambitionierten und engagierten Wahlkampf abgeliefert. Die Interessen des Volkes und des Landes, die eigenständige Entwicklung und Souveränität Portugals standen im Vordergrund der Kampagne. Bei hunderten Wahlveranstaltungen wurde die Bevormundung durch die EU und das ökonomische Diktat in Form der Euro Geldpolitik angeprangert. Der Kampf für ein sozial gerechtes und solidarisches Europa der Arbeitenden und der Völker hat nicht gefehlt.

Unterschätzt dürften die CDU-WahlstrategInnen die Sensibilität des Wahlvolkes haben. Ist noch nicht lange her, da stimmten die KP Parlamentsabgeordneten gegen den von der PAN eingereichten Gesetzesvorschag zum Verbot des Stierkampfes. Begründung: Der Stierkampf gehört zur portugiesischen Tradition. 2019 ist diese Art der Rechtfertigung für Tierquälerei sicher nicht zeitgemäss sondern absurd. Der Mandatsgewinn und der mehrprozentige Stimmenzuwachs der Tierschutzpartei PAN dürfte auch von kommunistischen Stimmen genährt sein.

Seit ein paar Jahren drückt sich die kommunistische Parteiführung vor einem anstehenden Generationswechsel an der Spitze. KP Chef Jeronimo de Sousa leistet jahraus jahrein mit mindestens fünf Auftritten in der Woche innerhalb und ausserhalb der Partei ein enormes Arbeitspensum. In Wahlkampfzeiten kann es schon vorkommen, dass der 72jährige Mann mehrere Male am Tag ans Rednerpult muss und viele Gespräche mit Menschen erledigt.

Auf alle Fälle ist die Regenerationszeit für PolitikerInnen und Parteien kurz. In Portugal steht der merkbare und bescheidene Erfolg bezüglich der Lebendqualitäts Verbesserung für den ärmeren Teil der Bevölkerung auf dem Spiel. Ob die Politik der sozialistischen Regierung, unterstützt vom Linksblock BE, der CDU und der PAN, weiteren Bestand hat, entscheiden die Wählerinnen und Wähler demnächst.

Kommentar verfassen