
Epidemische-Aufklärung ■ Friedrich Engels & Karl Marx haben lang vor Covid-19 aufgeschrieben, dass es Seuchen und Epidemien gibt die aber meistens von den Herrschenden ignoriert wurden. „Erst, wenn Seuchen nicht nur Arbeiter, sondern auch die Bourgeoisie treffen, reagiert sie und verlegt die Wohngebiete der Ärmsten”.
Dieser Kommentar ist erschienen in der UHUDLA Ausgabe 113 @-1 Jahrgang 29 / 2020
Dieses Zitat stammt von Friedrich Engels. Der nachfolgende Textauszug ist aus den Karl Marx / Friedrich Engels – Werken entnommen. Dietz Verlag, Berlin, Band 18.
Die moderne Naturwissenschaft hat nachgewiesen, dass die sogenannten »schlechten Viertel«, in denen die Arbeiter zusammengedrängt sind, die Brutstätten aller jener Seuchen bilden, die von Zeit zu Zeit unsre Städte heimsuchen. Cholera, Typhus und typhoide Fieber, Blattern (Pocken, jW) und andre verheerende Krankheiten verbreiten in der verpesteten Luft und dem vergifteten Wasser dieser Arbeiterviertel ihre Keime; sie sterben dort fast nie aus, entwickeln sich, sobald die Umstände es gestatten, zu epidemischen Seuchen und dringen dann auch über ihre Brutstätten hinaus in die luftigeren und gesunderen, von den Herren Kapitalisten bewohnten Stadtteile.
Die Kapitalistenherrschaft kann nicht ungestraft sich das Vergnügen erlauben, epidemische Krankheiten unter der Arbeiterklasse zu erzeugen; die Folgen fallen auf sie selbst zurück, und der Würgeengel Diphterie wütet unter den Kapitalisten ebenso rücksichtslos wie unter den Arbeitern
Sobald Epidemie, heute Pandemie einmal wissenschaftlich festgestellt war, entbrannten die menschenfreundlichen Bourgeois (Im Jahre 2020: Kapitalisten und deren PolitikerInnen, Anmerkung der Redaktion) edlem Wetteifer für die Gesundheit ihrer Arbeiter. Gesellschaften wurden gestiftet, Bücher geschrieben, Vorschläge entworfen, Gesetze debattiert und dekretiert, um die Quellen der immer wiederkehrenden Seuchen zu verstopfen.
Die Wohnungsverhältnisse der Arbeiter wurden untersucht und Versuche gemacht, den schreiendsten Übelständen abzuhelfen. Namentlich in England, wo die meisten großen Städte bestanden und daher das Feuer den Großbürgern am heftigsten auf die Nägel brannte, wurde eine große Tätigkeit entwickelt; Regierungskommissionen wurden ernannt, um die Gesundheitsverhältnisse der arbeitenden Klasse zu untersuchen; ihre Berichte, durch Genauigkeit, Vollständigkeit und Unparteilichkeit vor allen kontinentalen Quellen sich rühmlich auszeichnend, lieferten die Grundlagen zu neuen, mehr oder weniger scharf eingreifenden Gesetzen.
So unvollkommen diese Gesetze auch sind, so übertreffen sie doch unendlich alles, was bisher auf dem Kontinent in dieser Richtung geschehn. Und trotzdem erzeugt die kapitalistische Gesellschaftsordnung die Missstände, um deren Kur (Genesung) es sich handelt, immer wieder mit solcher Notwendigkeit, dass selbst in England die Kur kaum einen einzigen Schritt vorgerückt ist. (…)
In der »Lage der arbeitenden Klasse in England« gab ich (Friedrich Engels) eine Schilderung von Manchester, wie es 1843 und 1844 aussah. Seitdem sind durch Eisenbahnen, die mitten durch die Stadt gehn, durch Anlegung neuer Straßen, durch Errichtung von großen öffentlichen und Privatgebäuden manche der schlimmsten, dort beschriebenen Distrikte durchbrochen, bloßgelegt und verbessert worden, andre ganz beseitigt; obwohl noch viele – abgesehn von der seither schärfer gewordenen gesundheitspolizeilichen Aufsicht – in demselben oder gar in schlimmerem baulichen Zustand sich befinden als damals.
Dafür aber sind, dank der enormen Ausdehnung der Stadt, deren Bevölkerung seitdem um mehr als die Hälfte gewachsen, Bezirke, die damals noch luftig und reinlich waren, jetzt ebenso verbaut, ebenso schmutzig und überfüllt mit Menschen wie damals die verrufensten Stadtteile
Hier nur ein Beispiel: In meinem Buch schilderte ich eine in der Talsohle des Flusses Medlock gelegene Häusergruppe, die unter dem Namen Klein-Irland (Little Ireland) schon seit Jahren den Schandfleck von Manchester gebildet hatte. Klein-Irland ist lange verschwunden; an seiner Stelle erhebt sich jetzt, auf hohem Unterbau ein Bahnhof; die Bourgeoisie wies prunkend auf die glückliche, endgültige Beseitigung von Klein-Irland hin wie auf einen großen Triumph.
Nun erfolgte im verflossenen Sommer eine gewaltige Überschwemmung, wie denn überhaupt die eingedämmten Flüsse in unsern großen Städten aus leicht erklärlichen Ursachen von Jahr zu Jahr größere Überschwemmungen veranlassen. Da findet sich denn, dass Klein-Irland keineswegs beseitigt, sondern bloß von der Südseite von Oxford Road nach der Nordseite verlegt ist und noch immer floriert. (…)
Ein schlagendes Exempel, wie die Bourgeoisie die Wohnungsfrage in der Praxis löst. Die Brutstätten der Seuchen, die infamsten Höhlen und Löcher, worin die kapitalistische Produktionsweise unsre Arbeiter Nacht für Nacht einsperrt, sie werden nicht beseitigt, sie werden nur – verlegt
Dieselbe ökonomische Notwendigkeit, die sie am ersten Ort erzeugte, erzeugt sie auch am zweiten. Und solange die kapitalistische Produktionsweise besteht, solange ist es Torheit, die Wohnungsfrage oder irgendeine andre das Geschick der Arbeiter betreffende gesellschaftliche Frage einzeln lösen zu wollen.
Die Lösung liegt aber in der Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise, in der Aneignung aller Lebens- und Arbeitsmittel durch die Arbeiterklasse selbst.
Marx und Engels zur Wohnungsfrage:
Referat von Franz Stephan Parteder am Karl-Marx-Kongress am 5. Mai 2018 in Graz.
UHUDLA-Hinweis:
Veröffentlicht wurde der oben lesbare Aufsatz von Friedrich Engels & Karl Marx in der „Junge Welt”, linke Tageszeitung in Deutschland am 4. April 2020.