
Manfred Ray ■ Von der „Studentenrevolte“ zu neuen sozialen Bewegungen.
Als politisch interessierter Schüler in Westberlin nahm ich die 68er Ära zunächst als „Studentenrevolte“ gegen die verkrusteten Verhältnisse an den Universitäten wahr. Der Tod des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 durch eine Polizeikugel führte zu einer gesellschaftlichen Politisierung, weit über die Studentenbewegung hinaus.
In dieser Zeit entstanden in Westberlin Basisgruppen, so auch im Stadtteil Friedenau, wo ich erstmals den Schriftsteller Günter Grass traf
In Basisgruppen, an der Freie Universität, aber auch im 1967 gegründeten Republikanischen Club wurden Demonstrationen gegen den Krieg der USA in Vietnam organisiert, gab es Veranstaltungen über Kolonialismus und nationale Befreiungsbewegungen. Neben der Debatte um Notstandsgesetze und Große Koalition von CDU und SPD rückte auch die Adenauer-Ära in den Focus. Lange tabuisiert wurde nun öffentlich, wie ehemalige Nazieliten in Westdeutschland Karriere machten – in Polizei, Geheimdiensten, Justiz und Wirtschaft, bis in höchste Regierungsämter.
Als Reaktion auf die Große Koalition entstand die Außerparlamentarische Opposition (APO), die vor allem von den Zeitungen des Axel-Springer-Konzerns mit einer beispiellosen Kampagne bekämpft wurde. Die Schüsse auf das Symbol der Studentenbewegung, Rudi Dutschke am 11. im April 1968 durch einen aufgehetzten Neonazi mit den Worten „Du dreckiges Kommunistenschwein“, führten zu einer Radikalisierung eines Teils der APO.
Nicht wenige der damaligen Protagonisten traten den „Langen Marsch“ durch die Institutionen an, machten Karriere, viele in der SPD. Während die einen ihrer Überzeugung treu blieben, distanzierten sich andere. Manche „Altachtundsechziger“, die die Leitmedien gern als Experten der damaligen Ereignisse präsentieren, mutierten zu offenen Gegnern ihrer einstigen Überzeugung.
Die 68er Ära bewirkte in weiten Teilen der jüngeren Generation eine Rebellion gegen das „Establishment“, ein Auflehnen gegen die Bevormundung durch bornierte Autoritäten und verstaubte Traditionen. Daraus entstanden emanzipatorische Bewegungen, wie die Friedens-, Anti-Atom-, und Frauenbewegung, die bis heute nachwirken. Obwohl sie sich von vielen Gründungsideen inzwischen weit entfernt haben, entsprangen letztendlich auch die Grünen diesen neuen sozialen Bewegungen, wie sie später genannt wurden.
Manfred Rey, lebte 35 Jahre, bis 1990 im Westteil Berlins, danach in Potsdam. Rey arbeitet als freier Journalist.