Frankreich brennt – EUropa pennt

Facebook Seite von Martin Sonneborn

Macron en marche (dt.: Macron am Arsch), schreibt der Abgeordnete im EU Parlament auf seiner FB-Seite. Nach einem Überschuss im vergangenen Jahr 2022 wird den französischen Rentenkassen für 2023 ein Defizit von rund eine Milliarde Euro nach- (bzw. vorher-) gesagt, das sich bis 2030 auf rund 10 Mrd. erhöhen könnte.

Von Martin Sonneborn EU Parlamentsabgeordneter Die Partei BRD

Das ist natürlich noch längst keine ausgemachte Tatsache, sondern eine – stark umstrittene – Prognose der staatlichen Behörden. So oder so, hört man, sei das Rentensystem in Frankreich jedenfalls „dringend reformbedürftig“.Die aalglatten Antipathieträger um den „Präsidenten der Reichen“, „Handlanger der Eliten“ und notorischen Finanzdienste-Dienstleister Emmanuel Macron wissen sich offenbar nicht anders zu helfen, als neben einem landesweiten Generalstreik nun auch noch einen landesweiten Generalaufstand (mit zuletzt 3,5 Millionen Demonstranten) auszulösen, um diese lächerliche Summe aufzubringen.

Eine Milliarde im Jahr für Renten fehlen angeblich? Hm. Mal sehen, wo diese Geldsumme so herkommen könnte

In fünf französischen Großbanken fanden Razzien der Finanzstaatsanwaltschaft PNF statt: Es geht um die Verschleierung von Steuerhinterziehung und massiven Steuerbetrug, („SCHWERE STEUERHINTERZIEHUNG, VERSCHLEIERUNG VON SCHWERER STEUERHINTERZIEHUNG UND VERDACHT AUF GELDWÄSCHE IN VERBINDUNG MIT ERSCHWERTEM STEUERBETRUG“) – kurz: Cumcum-Geschäfte, die Frankreich mindestens 33 Milliarden Euro an entgangenen Steuereinnahmen gekostet haben.

Wenn wir uns nicht verrechnet haben, dann ist das das Dreißigfache des mutmaßlichen Rentendefizits. Das rechtliche Schlupfloch, das diesen Steuerbetrug überhaupt erst möglich macht, ist übrigens noch unverändert in Kraft, obwohl man seit (spätestens) 2018 um seine verbrecherische Verwendung weiß. Die französische Regierung hatte in fünf Jahren einfach keine Zeit, die Gesetzeslücke zu stopfen, sie war schließlich mit dem Entwurf der Rentenreform beschäftigt… Und hat sich damit 33 Milliarden entgleiten lassen, um ein Defizit von 1 Milliarde Euro zu beheben. Chapeau!

Als die neoliberale Konfettitüte Macron das Präsidentenamt übernahm, lag die französische Staatsverschuldung noch bei gut 2.000 Milliarden Euro. Seitdem ist sie um 1.000 Milliarden auf heute knapp 3.000 Milliarden angestiegen. Ein Drittel der gesamten Staatsschuld wurden also von einem ehemaligen Investmentbanker (Deutsche Bank: „Einer von uns!“) erzeugt, von dem vorzeiten das verwegene Gerücht ging, er verstünde was von Geld oder Wirtschaft oder so. Die für diese schwindelerregende Summe anfallenden Zinsen stellen heute mit respektablen 51 Milliarden Euro den zweitgrößen Posten des französichen Haushalts.

A propos Milliarden. In den letzten 20 Jahren hat sich das Vermögen der französischen Milliardäre verfünffacht

Die Summe stieg von 100 auf 544,5 Milliarden und verteilt sich auf die recht überschaubare Zahl von 42 Milliardären, die auch noch namentlich bekannt sind. Namentlich unbekannt sind die derzeit 16,7 Millionen Rentner, denen es im gleichen Zeitraum mittelprächtig gegangen sein dürfte, so lala, wie man in Deutschland sagt. Oxfam hat ausgerechnet, dass eine zwei prozentige Besteuerung des sich immerhin verfünffacht habenden Vermögens von 42 (Milliardären, nicht Rentnern) ganze 12 Milliarden Euro einbringen würde. Das 12fache des mutmaßlichen Rentenlochs.

Wenn die stabil von unten nach oben umverteilende französische Regierung nun ernsthaft glaubt, sich künftig keine Rentenzahlungen mehr leisten zu können, dann ist das ihr Problem. Jedenfalls glauben 93 Prozent der arbeitenden Franzosen und 80 Prozent der Gesamtbevölkerung nicht an diese Rentenreform. Und vielleicht glaubt auch der eine andere, dass eine von stetig steigenden Lebenshaltungskosten und stetig sinkender Kaufkraft gebeutelte Gesellschaft sich den Luxus von 42 Milliardären bald nicht mehr wird leisten können. Wer sich ernsthaft den vielsagenden Plan ausdenkt, das Leben mehrerer Millionen Menschen an den Werkbänken, Fließbändern und Kundendiensthotlines zu verschlechtern, nur weil er es nicht wagt, 42 Einzelpersonen zu besteuern, der hat sein gesellschaftsphilosophisches Koordinatensystem damit hinreichend offengelegt.

Womöglich wird den politischen Kadern an den französischen Eliteschmieden, aus denen ja auch ihr Präsident stammt, jenseits finanzwirtschaftlicher Rechenschieber nichts mehr über gesellschaftliche Werte beigebracht. Sonst verstünden sie vielleicht mehr vom menschlichen Sinn für Gerechtigkeit und der Bedeutung des sozialen Friedens. Im Namen seiner Studenten, Arbeiter und Rentner gibt der französische Staat jährlich 1 Milliarde Euro für private Beratungsleistungen aus, für die Schlipsträger von Accenture, BCG & Ernst & Young. Oder für das Haus McKinsey, dessen undurchsichtige Verbindungen zu Emmanuel Macron (Stichwort: illegale Wahlkampfunterstützung) gerade in zwei, Pardon: drei Untersuchungsverfahren unter die Lupe genommen werden.

2022 haben die 40 an der französischen Börse gelisteten Konzerne einen „Rekordgewinn“ von 172 Milliarden Euro gemacht

Das ist eine Steigerung von 34 Prozent gegenüber dem Vorjahr (128 Mrd.). Sie haben sich daher die Freiheit genommen, die „Rekordsumme“ von 80,1 Milliarden als Dividenden auszuzahlen. 80 Milliarden in einem Jahr. Parbleu, wenn das nicht ziemlich genau das 80fache dessen ist, was den FranzösInnen in der Rentenkasse fehlt.

Uns scheint hier eine ganze Menge „dringend reformbedürftig“ zu sein. Das Rentengesetz ist es nicht.

Martin Hans Sonneborn (geboren am 15. Mai 1965 in Göttingen) ist ein deutscher Satiriker, Journalist und Politiker. Bei der Europawahl 2014 wurde er als Spitzenkandidat der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die PARTEI), deren Bundesvorsitzender er ist, zum Mitglied des Europäischen Parlaments gewählt und zog 2019 erneut ins Parlament ein.

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