
Atypisch Beschäftigte ■ Neue Jobs braucht die Welt – Immer fahrbereit und frittieren im Akkord. Die Reservearmee auf dem Arbeitsmarkt rückt vor.
Von Karoly Gunczy-Tischler
Eine kleine, rein zufällige Bestandsaufnahme in fünf Teilbereichen, der neuen Tagelöhnerinnen und Lohnsklaven – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Essensradler im Lieferservice
Für ein besseres Trinkgeld ziehen Sklaven (fast ausschließlich männlich) ihre Bahnen durch die Stadt. Hier entsteht gerade eine ausgebeutete Klasse, die jeden Job zu den widrigsten Bedingungen annehmen muss. Mit den Lockdowns für Corona wurde hier ein „Markt“ erst geschaffen. Die entrechtete Reservearmee auf dem Arbeitsmarkt ist seither stetig im Wachsen.
Ganz gleich ob in Grün, Orange oder jetzt in Rosa. Lieferservice für Lieferando, Foodora (vorher Mjam) und Konsorten ist ein Knochenjob. Hauptsächlich wurden Syrer und Afghanen eingestellt. Geringfügig und (manchmal) mit Handgeld. Angemeldet für wenige Stunden machen sie oft 10 bis 11 Stunden Schicht ohne Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung. Für das elektrische Fahrrad werden monatlich etwa 150 Euro abgezogen. Im Krankheitsfall wartet keine Entgeltweiterzahlung. Um das normale Leben für Miete und Heizkosten hat sich der Sozialstaat zu kümmern. Manche Kollegen starten mit einem erheblichen Minus, bevor sie in die „Verdienstzone“ radeln.Viel Risiko mit “falschen” Bestellungen, auch erheblicher sozialer Brennstoff (“kannst net Lesen?”).
Die Akkord-Frittierer Innen
Nach mehreren Konkursen und Insolvenzen sind sie nun dazu verdammt, prekär zu hackeln. Der Alte und der Junge, beide arbeiten nur mehr gemeinsam im Team. Der Junge muss geringfügig gefügig bleiben, und der Alte kann nicht mehr „mit Turbo“ hackeln – wie gefordert in vielen Betrieben. Temporäre Aushilfe nennt sich das meist. Inzwischen wachsen so genannte “Geisterküchen” aus den stillgelegten Lokalen. Kein Gastbetrieb mit Servierpersonal mehr nötig.
Der immer fahrbereite Dienst holt das Essen in haufenweise Plastik noch servierwarm ab und radelt es zum hungrigen Gast, der sein Heim nicht mehr verlassen muss. Am Abend und zum Wochenende gibt es mehr Maut. Der umstrittene Nobelpreisträger Konrad Lorenz sprach von der „Verhausschweinung des Menschen“. Der Alte und der Junge bedienen mindestens fünf Frittierer gleichzeitig, wobei strikt darauf geachtet werden muss, dass die veganen Zwiebelringe nicht im Frittieröl für gebackenen Käse oder nichtvegane Fleischbällchen landen. Sonst bist du die Hacken los. Ersatz steht schon bereit.
Mietfratze, Leihgesicht fürs Filmgeschäft
Für eine Handvoll Euros gibt es Gesichter zu mieten. Es war im angesehenen ORF „im Zentrum“, als noch vor Publikum aufgezeichnet wurde. Eine Statistin des eingeblendeten Publikums fiel damals fast vom Sessel vor Ermüdung. Beruhigungspulver eingeworfen? Der natürliche Schlafrhythmus machte dem armen Müdigkeitsopfer knapp vor 23 Uhr zu schaffen. Die Regie wurde kreativ im Vorbeifilmen. Die gezeigte Kleindarstellerin war keine Freiwillige. Von den Komparsen-Agenturen zugekauft, für etwa 30 Euro Tagesgage ohne Spesen, auch knapp vor Mitternacht, ohne Zulage, versteht sich.
Wer einsam ist, nimmt jeden Job an, wird schon irgendwie gehen. Zuletzt bei der achtteiligen Co-Produktion „Kafka“ wurde zuerst einmal sechs Stunden auf nur einen kleinen Einsatz gewartet. Neun Stunden Drehtage am Stück hintereinander. Zermürbend wie ein Arzttermin in einer Ambulanz. Viele der Komparsen haben erhebliche Probleme mit der grassieren Einsamkeit und werden leicht soziophob. Dieser Job ist alles andere als ein Honiglecken, viel mehr psychische Totalherausforderung. Aber wenn du einen Job ablehnst, fliegst du aus der Kartei, das heißt Shadow-Ban. Verbannung in den Schatten, weil du keinen Job mehr angeboten bekommst. Normale SchauspielerInnen tun sich das längst nicht mehr an, wenn sie nicht müssen.
Green washing – drive by Ehrenamt
Immer mehr gesucht werden BeifahrerInnen für „Aushilfstätigkeit“ bei der Leerung von den Altkleider-Sammelstellen in den zahlreichen Containern überall. Eine dreckige, sehr unhygienische Tätigkeit. Das muss man mögen. Wer sich als brauchbar erweist, steigt auf zum Gewandschlichter. Das ist weniger grauslich, weil die unverwertbaren Altkleider schon ausgeschieden wurden. Der verwertbare Bestand wird nämlich desinfiziert, industriell gewaschen und hygienisch getrocknet.
Auch heftig die ehrenamtliche Tätigkeit in den boomenden Sozialmärkten. „Verderbliche Güter auf dem Gemüsesektor“ sind es hier, die Übelkeit und Ekel verbreiten. Tagtäglich muss zuerst das verschimmelte, angefaulte Obst aussortiert werden. Der natürliche Feind ist der Gefrierbrand, weil die innen verfaulten Früchte nicht so leicht zu erkennen sind. Auch Mausefallen ausleeren gehört zur Job-descripton. Aber es ist gar kein Job. Ehrenamt und Zivildienende halten sich die Waage. Selbstverständlich muss alles in der Biotonne entsorgt werden, weil sonst spielts Granada bei den Vorgesetzten. Da ist immer viel Politik im Spiel. Um medienwirksam „Green washing“ zu betreiben und sich lautstark auf die Nachhaltigkeit (auf dem Rücken der Ehrenamtlichen) zu berufen.
Lesepatin für das „Bildungs-System”
Kurz vor Schulschluss gab es einen Empfang im Wiener Rathaus. “Die Stadt Wien dankt den Lesepaten/Lesepatinnen”. Die gastronomische Berufsschule servierte Kaffee und Kuchen im Akkord, unbezahlt. Alfons Haider führte (garantiert nicht gratis) durchs Festprogramm im Festsaal. Fünf politische Reden wurden hintereinander geschwungen: Wie wichtig doch der Erwerb des Leseverständnisses doch nicht wäre. „Ja, uns brauchst es eh nicht zu sagen“, war die Antwort im Raunen der Geladenen, kaum wer unter 60 Jahren an Alter.
Nach den fünf Festreden wurde der Festssal wieder geleert. Viele sprachen intern von einer „Entlastung der halben Klasse in den Volksschulen“. Dass das Bildungssystem versagt, ist sicher nur ein Gerücht. Glücklich ist, wer die Schule mit Bildung verlässt. Der kann am Ende seines Lebens wieder gratis, aber nicht umsonst, anheuern.
Nichtberücksichtigt sind in diesen Berichten die massiven Förderungen der Schickeria und Nobelszene, die mit Geldern der COFAG für kritiklose Unterstützung und bereitmachende Gefügigkeit richtiggehend zugeschmissen wurden. Das sind wieder andere Geschichten.