
Ende einer Ära im Kabelwerk ■ Das Projekt Werk X schloss mit Nobelpreisträgerin Jelinek und einer fetten Buchdoku über 256 Seiten – eine Rezension oder doch ein Nachruf?
Die prächtige Dokumentation führt über 256 Seiten. Der Prachtband spielt alle Stücke (wieder), die in der fast zehnjährigen Intendanz für Sehen und Aufsehen gesorgt hatten. Doch es ist auch ein Nachruf.
Das Werk X von Ali M. Abdullah und Harald Posch im ehemaligen Meidlinger Kabelwerk ist zugesperrt, geschlossen, abgedreht, finalisiert. Umstritten ging es zuende, wie so oft vorher.
Schon der Beginn 2014 war kontrovers. „Nach Meidling“ hieß der Slogan. Das Finale im Sommer 2023 bestand aus vier Elfriede-Jelinek-Inszenierungen. “Kein Theater, ich will ein anderes Theater”, hieß es bei ihr. Damit endete das herzhafte Engagement der beiden Regisseure mitsamt einer eindrucksvollen Aufbauarbeit, vorerst.
Leuchtturmprojekte & Gentrifizierung
Vom gewonnenen Wettbewerb Drama X zur Garage X am Petersplatz und schließlich zum Werk X in Meidling führte der erfolgreiche Weg. Es war ein Werk in Progress. 2009 ergab es sich, das Erbe von Dieter Haspel und Christine Bauer im Ensembletheater anzutreten. Das war die Geburtsstunde von Garage X, ein kulturelles Labor für die ganze Stadt. Das blieb auch der Kulturpolitik nicht verborgen und zur Belohnung gab es das „Theater am Arsch der Welt“ (laut Eigendefinition). Mit allen Verwerfungen und Mühen der peripheren Ebene.
Vorgestellt hatten sie es sich leichter. In der Innenstadt erreichten sie ein 20.000er Publikum. Am zentral gelegenen Ort ist der Theaterbesuch unkomplizierter. Immer gab es Laufkundschaft, die hereinschneite. Die Bobos und -Innen gingen nachher noch was trinken. In Meidling funktionierte das anders, nicht so selbstverständlich. „Es muss schon einen guten Grund geben, damit der bequeme Theatermensch in die U6 einsteigt und in der Tscherttegasse bei uns wieder aussteigt“, sagt Abdullah.
Posch ergänzt: „Das Kabelwerk war wenig etabliert. Wir haben hier wirklich Aufbauarbeit geleistet.” Noch immer gibt es kaum Gastronomie ringsum. Nur die Foodora-Boten bringen Essen auf Rädern ins gentrifizierte Gebiet.
Leuchtturmprojekt war die Fortschreibung der “Proletenpassion 2015ff”. Christine Eder und die Musikerin Gustav adaptierten die ArbeiterInnen-Revue neu. Das Stück von Heinz R. Unger und den Schmetterlingen wurde etwa 50 Mal abgespielt und tourte durch Österreich. Ab dann ging es richtig los. Die Inszenierungen konnten das Publikumsinteresse halten, waren oft ausverkauft. Dann kam der Einbruch durch Corona mit den umstrittenen Lockdowns. Ästhetisch ging es immer um literaturbasiertes wie popkulturelles Theater mit vielen guten und großen Namen. Doch dann kam das Aus.
Aus per Email und SMS
Ende 2021 sagte Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler: “Bewerbt euch wieder, macht euch keine Sorgen.” Das taten sie – und wurden knappest darüber informiert, dass die Stadt Wien sich gegen einen weiteren gemeinsamen Weg entschieden hatte. „Man hat uns offenbar in eine Bewerbung gehetzt, obwohl man von Anfang an wusste, dass man uns nicht mehr verlängern wollte“, so die ehemaligen Intendanten über die Vorgangsweise.
Neue Gesichter müssen her, weiblich mit deutschem Kulturmigrationshintergrund. Ab Herbst 2023 wird Esther Holland-Merten den Laden übernehmen. Bis jetzt leitete sie das Performance-Programm im WUK. Was wird bleiben? Die Liebe zum Buchstaben X wird bleiben. Die beiden Leiter, die diese Spielstätte kultiviert (aber auch gentrifiziert) haben, Ali M. Abdullah und Harald Posch, nehmen jetzt Auszeit bei ihren eigenen Familien. Die “Theaterfamilie” wird wieder von ihnen hören und sehen.
kawei
Der Autor Karl Weidinger, Jahrgang 1962, ist Stadtflaneur mit 15 veröffentlichten Büchern, 7 zum Blättern und 8 zum Horchen