
50 Jahre Nelkenrevolution ■ Die UHUDLA edition und LDFL startet eine „Jubiläumsartikel” Serie und ein wissenschaftlich, historisches Buchprpojekt über „Die Auseinandersetzungen um die portugiesische Agrarreform 1976 bis 1985. Zur Restaurierung vorrevolutionärer Macht- und Eigentumsverhältnisse am Beispiel der Kooperativen der Agrarreformzone”. Teil V
Von Martin Leo
2.3 Die Besitzverhältnisse in der portugiesischen Landwirtschaft vor der Revolution
Hinsichtlich der Struktur des Grundbesitzes „zerfiel” Portugal 1968, zum Zeitpunkt der letzten vor 1974 durchgeführten Erhebung des Nationalen Statistischen Instituts (INE) in zwei Teile: den stark durch Klein- und Kleinstbesitz geprägten Norden und den durch eine starke und noch zunehmende Eigentumskonzentration54 gekennzeichneten Süden.
Von den 810.000 im kontinentalen Portugal gezählten Landwirtschaftsbetrieben verfügten 9.200 Betriebe (1,1% der Gesamtzahl) über zusammen 2,5 Millionen Hektar bei einer Gesamtfläche von fünf Millionen Hektar. Auf 480.000 Betriebe (59%) entfielen dagegen nur 7% der Gesamtfläche.55 Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich hier nur um die Betriebsstruktur, nicht aber um die Eigentumsstruktur handelte. Großer Grundbesitz teilte sich besonders im Norden oft in kleine Pachtbetriebe auf.
Der Hinweis auf die Tatsache, dass die Betriebe unter 5 ha Größe (das sind 670.120 oder 81% der Gesamtzahl) nur über 18% und damit über weniger landwirtschaftliche Nutzfläche verfügten als die 488 Betriebe über 1.000 Hektar, veranschaulicht die Bodenkonzentration auf andere Weise.56 Dreihunderttausend Betriebe umfassten nicht einmal einen Hektar.57
Im Norden und im Zentrum waren 87% der Gesamtzahl der Betriebe angesiedelt. Sie verteilten sich damit auf nur 34% der landwirtschaftlichen Nutzfläche58; folglich befanden sich 13% der Betriebe in den südlichen Distrikten und vereinnahmten eine weitaus größere Fläche. Hier wirtschafteten 96% aller über 500 ha großen Betriebe.59 Etwa 37% wurden als Pachtbetriebe beziehungsweise in einer gemischten Form (Pacht und Eigentum) geführt.60
War schon bei den Kleinbetrieben bis vier oder fünf Hektar generell der Anteil des Eigenverbrauchs an der Gesamtproduktion recht hoch61, wodurch oft kaum noch Mittel für notwendige Investitionen erwirtschaftet werden konnten, so wurden die Pächter noch zusätzlich durch unsichere Pachtverhältnisse (oft fehlte ein schriftlicher Vertrag und die Pacht wurde noch häufig in Naturalien bezahlt) belastet und an Modernisierungen oder Verbesserungen gehindert.62 Hinzu kam, dass zu niedrige Aufkaufpreise keinen Anreiz für Produktionssteigerungen darstellten und zu geringe Kapitalausstattung diese auch nicht ermöglichten.63
Während vor allem im Norden das Land trotz des hier ebenfalls durchaus vorhandenen Großgrundbesitzes extrem parzelliert war, war Kennzeichen des Südens die extreme Konzentration, die extrem ungleiche Aufteilung des Bodens vor allem in der Provinz Alentejo
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hatten im Norden Subsistenzbetriebe überwogen, während sich im Süden Großgrundbesitz und technologisch allerdings rückständige kapitalistische Betriebe herausgebildet hatten.64 Betrachtet man den Grad der Verwendung von Lohnarbeit als einen Indikator für die Entwicklung kapitalistischer Beziehungen in der Landwirtschaft65, dann bestätigte der Zensusbericht von 1970 eine Zunahme des Gewichts kapitalistischer Produktionsverhältnisse:
Bei seit 1940 rapide gesunkener Anzahl der „patrões” (Lohnarbeiter beschäftigende Gutsbesitzer, Bauern oder Pächter) entfielen trotz ebenfalls verringerter Anzahl der Lohnarbeiter 1970 auf jeden „patrão” 26 Lohnarbeiter gegenüber drei Lohnarbeitern 1940.66 Im Süden erreichte die Proletarisierung aber noch ein weitaus höheres Ausmaß. Dort entsprach das Verhältnis „patrão” / Lohnarbeiter 1:50 bis 85.67 Die Zahl der Kleinbauern und Kleinpächter hatte landesweit stark zugenommen.68 Lohnarbeiter stellten 1970 im Norden aber nur ein Drittel der landwirtschaftlich aktiven Bevölkerung, während ihr Anteil in den südlichen Gebieten des Großgrundbesitzes die 70% überstieg.69 In der südportugiesischen Landwirtschaft waren 1970 197.350 Landarbeiter beschäftigt.70
Der Polarisierung der Besitzverhältnisse im Alentejo – nach Barreto handelte es sich um die stärkste Bodenkonzentration des gesamten europäischen Mittelmeeraums71 – entsprach eine Sozialstruktur, in der die Industrie- und Landarbeiter mit achtzig Prozent die größte Gruppe darstellten, gefolgt von den selbständigen Bauern (13%), den städtischen Mittelschichten (5%) und den „patroes“ (2%).72 In den südlichen Distrikten Beja, Évora, Portalegre, Setúbal, Santarém und Castelo Branco besaßen die tausend über 500 ha großen Betriebe so viel Boden wie die restlichen 166.000 Betriebseinheiten zusammen.73 Die Statistik des Jahres 1968 wies für die Region „Süden und Südliches Zentrum“ 6353 Betriebe (3,2% der Gesamtzahl) über 50 ha aus, die gemeinsam über mehr als zwei Millionen Hektar bzw. 72,3% der landwirtschaftlichen Nutzfläche verfügten, während auf die Betriebe unter vier Hektar (68,7%) 6,3% der Fläche entfielen.74
Von der Weltbank beschrieben als ein Gebiet des „großen Grundbesitzes, absentistischer Eigentümer, landloser Arbeiter und extensiver Farmbetriebe”75, umfasste die Latifundienregion etwa 52% der kultivierbaren und 45% der kultivierten Fläche des Landes; sie erbrachte aber nur 29% des nationalen Agrarprodukts und nur 19% des BIP.76
In dieser dünnbesiedelten Region (36 Einwohner/qkm gegenüber 93 Einwohnern/qkm im Landesdurchschnitt) lebten ca.1,3 Millionen Menschen, d.h. rund 16% der Landesbewohner.77 Das Gewicht der Region war in einigen Bereichen der Landwirtschaftsproduktion erheblich: Sie erreichte bei Reis einen Anteil von 79%, bei Kork 94%, bei Hafer und Gerste 71%, bei Weizen 68% und Olivenöl 61%.78
Zum Inhaltsverzeichnis des Buches.
[…] Agrarreformen Teil III 2.2 Die Bedeutung der portugiesischen Landwirtschaft vor 1974 Teil IV 2.3 Die Besitzverhältnisse in der portugiesischen Landwirtschaft vor der Revolution Teil V 2.4 Die Rolle der Latifundien in der Region Alentejo/Ribatejo Teil VI 2.5 Die […]