Gegenrevolutionäre Offensive auf die Agrarreform

© Martin Leo

50 Jahre Nelkenrevolution ■ Die UHUDLA edition und LDFL startet eine „Jubiläumsartikel” Serie und ein wissenschaftlich,  historisches Buchprpojekt über „Die Auseinandersetzungen um die portugiesische Agrarreform 1976 bis 1985. Zur Restaurierung vorrevolutionärer Macht- und Eigentumsverhältnisse am Beispiel der Kooperativen der Agrarreformzone”. Teil XXVII.

Von Martin Leo

8.1 Entwicklungstendenzen und Erfolge des Kollektivsektors vor der massiven Reprivatisierung 1980.

Resultat der auch nach 1985 zu einer weiteren Dezimierung des Kooperativsektors führenden Auseinandersetzungen war nach Vester / Barros unter anderem, dass sich das „Leitthema Entwicklung” der Agrarreform zum „Leitthema Überleben und Restabilisieren”1 verschoben hatte.

Spätestens nach den massiven Reprivatisierungen 1980 hatten der Agrarreform die Voraussetzungen gefehlt, die Erwartungen, die 1975 mit ihr verbunden worden waren, vollständig zu erfüllen.

Fortschritte im Sinne einer Annäherung an die formulierten wirtschaftlichen und sozialen Ziele mussten ohne die finanzielle, technische und wissenschaftliche Hilfe des Staats, ja sogar gegen seinen Widerstand erkämpft werden.

Von der Revolution konzipiert als Instrument des sozialistischen Aufbaus, sah sich die Agrarreform von der Gegenrevolution reduziert auf eine sozialistische Insel in einem kapitalistischen Meer. Angesichts der Realität veränderter Machtverhältnisse definierte sich der Agrarreformsektor neu als Bestandteil eines pluralistischen gemischten Wirtschaftssystems in der Hoffnung, durch gute Produktionsergebnisse nicht nur seine Existenzberechtigung unter Beweis zu stellen, sondern auch seine Fähigkeit zu Konkurrenz und Überlegenheit zu demonstrieren.

Die Arbeit selbst wurde daher von den Kooperanten als eine Form der politischen Aktion und des  revolutionären Kampfes begriffen

Hätten die Gegner der sozialistischen Agrarreform den neuen Sektor tatsächlich ausschließlich und ohne ideologische Voreingenommenheit an seiner ökonomischen Effizienz gemessen, hätte diese Kampfstrategie der Kooperativenbewegung das Ende der Reprivatisierung herbeiführen können. Die Bereitschaft zum ökonomischen Wettbewerb war aber auf der „Gegenseite” wenig entwickelt. In der Praxis war den Kollektivgütern keine Atempause gegönnt worden.

Auch die Phasen relativer Stabilisierung zwischen den Jahren 1976 und 1978 und 1981 und 1985 waren begleitet von Landrückgaben und finanziellen Strangulierungsversuchen. Es gab keine hinreichend langen Perioden, die stabile Bedingungen geboten und dem Sektor den unzweideutigen Nachweis seiner Potenzen erlaubt hätten. Erkennbar wurden auf diese Art und Weise lediglich die Tendenzen seiner Entwicklung.
Das Urteil über die Kollektivbetriebe musste sich zudem auf Informationen und Daten stützen, die fast ausschließlich von den UCP‘s selbst stammten. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Kon-frontation mit Regierung und Staatsapparat den Kollektivsektor nicht dazu ermunterte, „ungünstige” Informationen ungeschminkt preiszugeben. Andererseits gab es UCP‘s, denen es wirtschaftlich so gut ging, dass sie das „ganze Ausmaß ihres Erfolgs” lieber für sich behielten.2

Die UCP‘s schufen sich ihre eigenen Koordinierungs-, Repräsentations- und Hilfsstrukturen wie die Distrikts- und Kreissekretariate3, die auch Produktionsziffern sammelten und sie für die seit 1976/77 jährlich stattfindenden Agrarreformkonferenzen aufbereiteten. Der Bericht der II. Agrarreformkonferenz vom Oktober 1977 beruhte auf Daten, die im September bei 401 UCP‘s, die 85 Prozent der Gesamtfläche des Kollektivsektors einnahmen, erhoben worden waren.4

Auch die Berichte der folgenden Jahre konnten keinen vollständigen Überblick vermitteln, aber sich auf repräsentative Umfrageergebnisse stützen. Amtliche Erhebungsergebnisse über die Kooperativen existierten kaum.5 Das war zum einen Folge des Misstrauens der UCP‘s gegenüber den Dienststellen des MAP, die Kenntnisse über Schwierigkeiten gegen die Betriebe nutzen konnten, zum anderen war es Ausdruck des Desinteresses offizieller Stellen.6

Die Agrarreform führte in Portugal erstmals Planungsprinzipien ein, die nicht nur auf Betriebsebene verbindliche Produktionsziele festlegten, sondern auf der Ebene der ZIRA insgesamt. Diese Planungslinien wurden auf den Agrarreformkonferenzen und den Treffen der Frühjahrskulturen und der Herbst- / Winterkulturen beschlossen.

Im September 1978 wurden von den Distriktssekretariaten und Vereinigungen der UCP‘s erste Kriterien für die Auswahl von weiteren Produktionslinien festgelegt.7 Dem waren ein außergewöhnlich gutes Landwirtschaftsjähr (1976) und ein außergewöhnlich schlechtes Jahr (1977) vorausgegangen. 1976/77 hatte sich die eingesäte Fläche gegenüber 1974 durch die Einbeziehung von Brachland um 180% (von 94.500 ha auf 265.000 ha) erweitert (Trockenfeldbau +168%, Bewässerungskulturen +125 %, Futterwiesenflächen +7900%).8

Hatten die Agrarier 1974 nur 90.000 Tonnen Getreide produziert, so steigerten die UCP/CA‘s den Ertrag auf 240.000 t 1975/ 76.9

Die Zahl der Dauerarbeitsplätze hatte bis 1976/77 gegenüber 1974 um 307% gesteigert werden können (Männer +243%, Frauen +616%), die der Saisonarbeitsplätze um 79% (Männer +23%, Frauen +145%).10 Das bedeutete, dass weitere 33.000 Männer und Frauen als „permanentes” arbeiten konnten und 17.200 Saisonarbeitsplätze neugeschaffen worden waren. Die „permanentes” belegten nun 61,3% aller Arbeitsplätze (1974:51,15%), die „eventuais” nur noch 38,6% (1974: 48,85%).11

Das Jahr 1977 war dagegen gekennzeichnet von tiefen Einbrüchen in die Getreideproduktion. Die Aussaatfläche für Getreide war um fast 22% kleiner als im Vorjahr; die Produktion aber war um 54,1% gesunken.12

Hatte die Ernte 1976 den Anhängern der Agrarreform noch Trümpfe in die Hand gespielt, so verhielt es sich nun umgekehrt: Der Rückgang 1977 galt den Gegnern der Reform als Beweis des Versagens der Kollektiveinheiten. Dabei hielten sie die Rekordernte 1976 hauptsächlich dem Klima zugute, das ihrer Ansicht nach schon „für sich allein”13 das gute Ergebnis erklärt hatte. Wenn von ihnen außerdem auf die Ausdehnung der Saatfläche hingewiesen wurde, dann ließen sie doch unerwähnt, dass gerade diese vorübergehende Ausweitung der kultivierten Fläche auch auf „unrentable“ Böden einzig der von den UCP‘s eingeführten neuen ökonomischen Logik und damit der Agrarreform zuzuschreiben war.14

Die Ursachen des Ernte“desasters“15 1977 lokalisierte man jedoch im Gegensatz zur im ersten Fall bevorzugten Betrachtungsweise weniger beim Wetter als bei menschlichen Faktoren, sprich: bei der Agrarreform.16

Für die Protagonisten der Agrarreform waren die bedeutenden Produktionserhöhungen in erster Linie Folge der tiefen ökonomischen und sozialen Transformationen, die die enorme Ausweitung kultivierter Flächen ermöglicht hatten.17

Die positiven Auswirkungen des günstigen Klimas wurden jedoch keineswegs übersehen.18 Wenn die Anhänger der Reform den Misserfolg 1977 auch überwiegend auf das außerordentlich schlechte Wetter zurückgeführt hatten, so gingen doch auch sie von einem Zusammenwirken klimatischer und menschlicher Faktoren aus. Diese wurden auch konkret benannt:

Viele UCP‘s hatten vor der Frage gestanden, ob sie Felder aussäen sollten, die sie als „reservas“ verlieren konnten

Andere Betriebe mussten wegen gekürzter oder gekündigter Kredite ihre Tätigkeit einschränken, wieder andere erhielten Saatgut, Kunstdünger und Ausrüstungen erst mit großen Verspätungen, die sie nicht zu verantworten hatten.19

Von den Kritikern kaum beachtet wurde auch, dass sich bei nahezu gleich großer kultivierter Gesamtfläche der Anteil des Getreideanbaus von 81,9% 1976 auf 65,6% reduziert hatte zugunsten größerer Flächenanteile von Bewässerungskulturen und Futterwiesen.20 Hier hatte sich eine beginnende Umstellung auf andere Kulturen bemerkbar gemacht. Pro tausend Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche wurde 1978 und 1979 wieder bedeutend mehr Getreide produziert als 1977, wenn die alten Rekordwerte auch erst 1980 noch einmal übertroffen werden konnten21. Außerordentlich bedeutsam, aber weniger spektakulär waren die Erfolge, die der Kollektivsektor vor 1980, dem „Jahr der endgültigen Wende”22, auf anderen Gebieten erzielte.

Zwischen 1976/77 und 1979/80 gelang die Ausdehnung der Futterwiesenflächen um 140%23, was nicht nur zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit beitrug, sondern auch entscheidend für die Viehzucht war: Der Viehbestand (Stück pro Hektar,) war bis 1979/80 gegenüber der Zeit vor den Besetzungen um 200% angewachsen.24

Dadurch erhielt die Viehzucht-Komponente (Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine) in der Produktionsstruktur der UCP‘s größeres Gewicht; es verbesserte sich das Verhältnis traditioneller Trockengetreidekulturen zu den übrigen Bereichen. Bereits die III.Agrarreformkonferenz 1979 hatte eine „entschiedene Hinwendung zu einer intensiven Viehwirtschaft”25 propagiert.

Nach Ansicht Hankes war die Verdopplung des Viehbestands um so beachtlicher, als die UCP‘s den Viehverkauf auch für die kurzfristige Überwindung finanzieller Schwierigkeiten hätten nutzen können26 (siehe Tabelle VIII oben).

Mit dem Anbau des ersten portugiesischen Tabaks, mit dem einige UCP‘s 1977/ 78 begonnen hatten27, war ein mutiger und erfolgversprechender Schritt in Richtung Produktionsdiversifizierung getan worden. Die Hektarerträge waren 1978/79 bereits höher als in Italien, Spanien und Griechenland.28

Noch 1979 entfielen auf die UCP‘s, die rund 18% der nationalen Landwirtschaftsfläche einnahmen, 42% der Weizen-, Hafer und Gersteproduktion sowie 32% der Ölpflanzen-, 36% der Reis-, 20% der Tomaten- und 100% der Tabakproduktion.29

Jüngst und Borowczak verweisen darauf, dass der portugiesischen Agrarreform im Gegensatz zu anderen Bodenreformen beträchtliche Produktionssteigerungen in allen Sparten gelungen waren.30 Die monetäre Arbeitsproduktivität31 verdreifachte sich bis 1978 auf 170 Contos. Das waren die höchsten in Portugal erreichten Rentabilitätswerte.32

Die Bodenproduktivität, die 1975 im Alentejo mit 2,5 cto./ha knapp 40% des nationalen Durchschnitts (6,9 cto./ha) erreichte, stieg bis 1985 kontinuierlich bis auf 30,7 cto./ha an.33

Zum Inhaltsverzeichnis des Buches.

Anmerkungen:
1 Vester / Barros, a.a.O., S.19
2 Auf diesen Umstand wies in einem 1988 in Lissabon mit dem Verfasser geführten Gespräch Ruí Almeida hin, bis 1987 Mitarbeiter der CRARA, einer Organisation, die die internationale Solidarität mit der Agrarreform organisiert.
3 Vgl. Murteira, Notas.. . , a.a.0., S.17 f.
4 Vgl. O Diário (27.6.1987)
5 Vgl. Jüngst / Jülich,a.a.O., S.142
6 Vgl. Barreto, a.a.O., S.236
7 Vgl. Silva, a.a.O., S.45; vgl. Murteira, Agricultura no Sul, a.a.O.
8 Vgl.Borowczak, a.a.O., S.187 f.
9 Vgl. Comissão (Hg.) , a.a.O., S. 41 f.
10 Vgl. Borowczak, a.a.O., S.188
11 1975/76 waren nach Angaben der UCP‘s 44.100 „permanentes” und 27.300 „Eventuais” beschäftigt gegenüber 11.100 „permanentes” und 10.600 „eventuais“ auf der gleichen Fläche vor 1974. Vgl. Comissão (Hg.), a.a.0., S.42
12 Vgl. Secretariados (Hg.),…,IX Conferência…., a.a.O., S.13
13 Balabanian, a.a.O., S.273
14 Vgl. Barreto, a.a.O., S.238 f.
15 Balabanian, a.a.O., S.268
16 Vgl. ebenda, S.273 f.
17 Vgl. Rosa, a.a.O., S.118
18 Vgl. Cunhal, Revolução…., a.a.O., S.99
19 Vgl. Rosa, a.a.O., S.119
20 Vgl. Secretariados (Hg.)…, IX Conferência. …, a.a.O., S.13 ff.
21 Vgl. ebenda, S.17
22 Borowczak, a.a.O., S.202
23 Vgl. Secretariados (Hg.), X Conferência…, a.a.O., S.15
24 Vgl. ebenda, S.20
25 Jüngst / Julich, a.a.O., S.158
26 Vgl. Hanke, a.a.O., S.98
27 Vgl. Borowczak, a.a.O., S. 201
28 Vgl. Secretariados (Hg.)…, IV Conferência…, a.a.O., S.15
29 Vgl. Murteira, Mercaclo Comum…, a.a.O., S.92
30 Vgl. Jüngst / Jülich, a.a.O., S.155; vgl. Borowczak, a.a.O., S.192
31 Geldwert der Produktion eines Arbeiters in einem Jahr.
32 Vgl. Silva, a.a.O., S.46
33 Vgl. Secretariados …(Hg.), XI Conferência…, a.a.O., S.29

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