Graz auf neuen Wegen


Antrittsrede von Elke
Kahr ■ Die mit Mehrheit von den BewohnerInnen der steirischen Landeshauptstadt gewählte Kommunistin will als Bürgermeisterin der Stadt Graz ein
neues Kapitel in der Politik öffnen.

Mit den Stimmen von KPÖ, Grünen und SPÖ wurde Elke Kahr am 17. November 2021 zur Bürgermeisterin von Graz gewählt. Sie ist die erste Frau und die erste Kommunistin in dieser Funktion

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann, sehr geehrte Ehrengäste, liebe Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat, liebe ZuhörerInnen

Heute ist ein besonderer Tag für Graz. Das spüren wahrscheinlich wir alle in diesem Saal, unabhängig davon, wie wir zu den großen Veränderungen stehen, die durch das Wahlergebnis vom 26. September möglich gemacht worden sind.

Mit ihren Stimmen haben die Wählerinnen und Wähler eine Entscheidung getroffen, die viele überrascht hat. Das war ein Akt der Demokratie. Dazu gehört nämlich untrennbar auch der Wechsel. Die Gewinner von heute sollten deshalb immer daran denken, dass ihre Arbeit am Ende dieser Periode von der Bevölkerung beurteilt werden wird.

In einem demokratischen Gemeinwesen gibt es jede Funktion, auch die der Bürgermeisterin, nur auf Zeit. Und das ist gut so

Deshalb stelle ich an den Beginn meiner Rede die Feststellung, dass Siegfried Nagl in seinen 18 Jahren als Bürgermeister viel für unsere Stadt geleistet hat. Nach der Amokfahrt im Juni 2015 war sein Beitrag für den Zusammenhalt der Menschen und für die Beruhigung der Lage sehr wichtig. Damals ist es auf jedes Wort und auf jede Geste angekommen. Allein für seine Umsicht in diesen Stunden gebührt ihm unser Dank. Ich denke auch an seinen Vorgänger Alfred Stingl, für den Menschenrechte und Soziales Leitsterne des Handelns waren und sind, ich denke an die verstorbene Stadträtin Dagmar Grage und – das sei mir gestattet – an Ernest Kaltenegger, von dem ich viel gelernt habe, seit ich 1993 zum ersten Mal in den Gemeinderat gewählt worden bin.

Und ich denke an die vielen Bediensteten im Magistrat und im Haus Graz. Sie sind es nämlich, die dafür sorgen, dass unsere Stadt funktioniert. Ohne sie geht nichts. PolitikerInnen kommen und gehen. Die städtischen Bediensteten und alle MitarbeiterInnen in unseren Beteiligungen und der Holding, sind es die für die Stabilität sorgen. In den 16 Jahren als Stadträtin habe ich immer das Gespräch mit ihnen gesucht und es ist mir wichtig, dass wir ihnen seitens der Politik die Wertschätzung entgegenbringen, die ihnen auch gebührt.

In den Tagen und Stunden vor der heutigen Wahl ist mir sehr viel durch den Kopf gegangen. Wer hätte das gedacht, dass ich die erste Frau im Bürgermeisteramt meiner Heimat-und Lieblingsstadt werden würde, noch dazu als Mitglied der KPÖ, noch dazu als Tochter eines Schlossers, wer hätte das gedacht, als ich in der Nähe der Triestersiedlung aufwuchs, dort, wo es damals noch Baracken gegeben hat?
Ich jedenfalls nicht.

Und ich habe an die riesige Verantwortung gedacht, die wir alle in diesem Saal haben. Wir – KPÖ, Grüne und SPÖ – wollen einen neuen Weg für Graz gehen – in einer Zeit, in der sehr vieles unsicher geworden ist. Niemand weiß, wie sich die Coronakrise weiter entwickeln wird. Wir alle fühlen aber, dass die Politik nicht nur Maßnahmen setzten muss, die notwendig und vernünftig sind und nur deshalb, weil sie das sind, mitgetragen werden. Sie hat vor allem die Aufgabe, die Menschen zusammenzuführen und niemanden, ich wiederhole: niemanden aus unserer Gemeinschaft auszugrenzen. Ich weiß, dass das nicht leicht ist, weil die Leidenschaften sehr hoch gehen und auch weil da und dort Zündler am Werk sind. Aber: Wir alle sind Graz. Das gilt auch in diesem Zusammenhang.

Wie überwinden wir den Pflegenotstand, wie können wir Verbesserungen im Gesundheitswesen erleichtern? Wer wird die Kosten der Krise zahlen? Wastun wir, damit die Teuerung die Kluft zwischen Arm und Reich nicht noch größer macht? Wie können wir auf der Ebene der Stadt wirksame Maßnahmen gegen die Inflation setzen?

Ist der Frieden für unsere Zeit wirklich gesichert? Sollte uns die Häufung von Konflikten in vielen Teilen der Welt und auch in Europa nicht aufrütteln und dazu bringen, mehr für Frieden und Entwicklung zu tun?

Wie geht es in der Klimakrise weiter? Finden wir in unserer Stadt Möglichkeiten für einen wirksamen Klimaschutz und gegen die Verschwendung von Ressourcen?

Das sind Fragen, die einem durch den Kopf gehen. Wir versuchen, in unserem Arbeitsprogramm (zum Download finden Sie hier) Antworten darauf zu geben.

Aber das genügt nicht. Wir dürfen auf keinen Menschen vergessen. Ohne zu wissen, wie die Mehrheit der Bevölkerung Tag für Tag lebt, ohne dass wir mit vielen Schicksalen mitfühlen, ohne Empathie wird es nicht gehen.

Ich könnte viele Beispiele aus meinen Sprechstunden aufzählen, die das beweisen. Und um diesen Kontakt nicht zu verlieren, werde ich auch in meiner neuen Funktion Sprechstunden abhalten.

Wenn jemand fragt, was jetzt in Graz anders wird, dann ist meine Antwort: Unser Blick auf viele Fragen wird nicht ein Blick von oben sein, sondern auch ein Blick von unten. Wer mächtig ist, braucht keine Hilfe, das brauchen andere, die nicht im Rampenlicht stehen.

Graz ist eine Stadt der Wissenschaft, eine Stadt der Kultur, eine Stadt der Industrie und des Gewerbes. Unsere Innenstadt und Schloss Eggenberg gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Graz ist Menschenrechtsstadt. Das sind Stärken, die wir in den nächsten Jahren ausbauen und besonders schützen möchten.

Wir wollen aber auch dem profitgetriebenen Baugeschehen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten Grenzen setzen. Deshalb ist die Revision des Flächenwidmungsplanes eine Aufgabe, die für uns Vorrang hat.

Wichtig für Graz ist auch die wirtschaftliche Entwicklung. Dazu werden wir das Gespräch mit allen suchen – die der Wirtschaftskammer ebenso, wie mit der Arbeiterkammer und der Gewerkschaft. Klimaschutz und Innovation können und sollen der wirtschaftliche Motor unserer Stadt als Standort sein. Besonderes Augenmerk möchten wir auf Kleine und mittlere Betriebe legen, die einerseits durch die Pandemie und andererseits durch die Globalisierung in Bedrängnis geraten. Es ist auch notwendig, stets auf die Stimme der Zivilgesellschaft und der Bevölkerung zu hören. Bürgerinitiativen und Basisorganisationen wissen oft sehr gut was zu tun ist und deren Einbindung ist für uns von großer Bedeutung.

Mit unserer gemeinsamen Koalitionsvereinbarung öffnen wir in Graz ein neues Kapitel. Unsere Parteien wurden von Menschen gegründet, die sich gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung gestellt haben und in der Tradition des Antifaschismus, der ArbeiterInnenbewegung, der Friedensbewegung, der Frauen-und der Umweltbewegung stehen. In ihrer Geschichte konnten sie vieles erreichen –für die arbeitenden Menschen, für die Gleichberechtigung und für unsere Umwelt.

Jetzt wollen wir an die besten Traditionen unserer Bewegungen anknüpfen, mit dem Ziel, Graz freundlicher, sozialer, ökologischer und demokratischer zu machen. Die Menschen, die in unserer Stadt leben und arbeiten – jung und alt, hier geboren oder zugezogen –leben und lieben unterschiedlich, haben verschiedene Talente, Neigungen, Berufe und Hobbys. Als Stadtregierung werden wir gemeinsam mit der Grazer Bevölkerung dafür eintreten, diese Vielfalt zu vereinen, indem wir Solidarität und Zusammenhalt leben.

Das ist unser Versprechen. Wir wollen damit auch ein Zeichen der Hoffnung in unsicheren Zeiten geben.

Ich bin keine Pessimistin und habe Zeit meines Lebens immer wieder Auswege aus schwierigen Situationen gesucht und meistens auch gefunden. Deshalb gehe ich gemeinsam mit Judith Schwentner und Michael Ehmann auch diese Herausforderung, die bisher größte, mit Optimismus an.

Dabei halte ich es für sehr wichtig, dass es über unsere Koalition hinaus positive Zeichen dafür gibt, dass auch andere Parteien in ihren Bereichen Verantwortung übernehmen wollen. Unsere Stadtregierung besteht aus sieben Personen, nicht nur aus den vier StadträtInnen, die unsere Vereinbarung unterschrieben haben. Die drei StadträtInnen von ÖVP und FPÖ haben wichtige Verantwortungsbereiche übernommen.

Wir alle haben Erfahrungen im Berufsleben gesammelt, bevor wir politische Funktionen übernommen haben und das ist wichtig. In der Pandemie, die wir jetzt alle durchmachen müssen, hat sich besonders deutlich gezeigt: Bei solchen Fragen muss die gesamte Politik an einem Strang ziehen. Ein Hin und Her oder der Versuch, sich auf Kosten der anderen Vorteile zu verschaffen, sind sehr gefährlich. Wir müssen stets das Gemeinwohl im Auge haben. 

Wenn wir zusammenarbeiten, wenn wir in wichtigen Fragen die Unterstützung von Land und Bund erhalten, wenn wir wichtige Vorhaben im Rathaus gemeinsam mit der Bevölkerung angehen, dann können wir aber viel erreichen.

Für mich ist dabei besonders wichtig, was wir in unserer Vereinbarung festgehalten haben: „Die neue Stadtregierung will Solidarität fördern und vorleben und wird auf der Seite jener Menschen stehen, die es sich nicht richten können. Wir wollen sicherstellen, dass Zusammenhalt und Teilhabe am Leben der Stadt für alle Grazerinnen und Grazer möglich sind.“ Unsere Stadt muss für alle eine gute Heimat sein. Daran wollen wir gemeinsam arbeiten und ich werde meine ganze Kraft dafür auch einsetzen.

Ein Gedanke zu “Graz auf neuen Wegen

  1. Ich bin 50 Jahre alt, komme aus Ligist – Weststeiermark, bin der einzige in meiner 200 köpfigen Verwandtschaft, der nicht mehr katholisch, aber dafür geschieden ist… Ich bin eine person non grata, zumal meine Lebensgefährtin sehr intelligent, evangelisch und auch geschieden ist. Mein Vater, der mich misshandelt und missbraucht hat, ist vor einigen Monaten an Bauspeicheldrüsenkrebs gestorben, ich würde weder über seine Erkrankung noch von seinem Ableben verständigt. Als Kind musste ich ihm versprechen, ihn im Alter zu versorgen und zu pflegen. Da ich vor 15 Jahren zu meiner großen Liebe nach Moosbrunn geflüchtet bin, verständlicherweise oder ‚Gott sei Dank, hat er fürsorglich sein erspartes Geld noch rechtzeitig unter meinen neidigen Brüdern aufgeteilt, die zwar selber alle Spitzenjobs haben, mir mit meinem Notstand trotzdem keinen Euro Erbteil zugestehen. Meine Mutter schreit am Telefon, dass es das Schlimmste, was ich der Familie angetan habe, ist, mich von meiner Exfrau getrennt zu haben. Schon als ich das erste Mal aus der Kirche austreten wollte,
    weint meine Mutter durchgängig 3 Tage, worauf mich mein Vater anflehte, den Austritt rückgängig zu machen, da Mutter ansonsten zu sterben drohe. Ich könnte seitenweise weiterschreiben oder vielleicht sogar ein Buch schreiben, jedenfalls ist die Steiermark für mich seit einiger Zeit tabu, schon wenn ich einen Steireranzug sehe oder den Schützenhöfer reden höre, kotze ich mich an und beginne innerlich zu zittern.

    Nach dieser langen Erklärung nun aber zu meinem eigentlichen Kommentar dazu: Der einzige positive Impuls aus der Steiermark, der mich sogar ein wenig mit Stolz erfüllt, ist die KPÖ und speziell Frau Kahr in Graz, was für eine positive Entwicklung, mein Herz und meine Seele jubeln!! Toll, weiter so, bitte lasst euch nicht unterkriegen!

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