Dieser Krieg ist nicht unser Krieg

© UGA UHUDLA Geheim Archiv *) Bildtext siehe unten.

Historischer Rückblick ■ Im Schlagschatten der USA ist die Europäische Union in einen Krieg eingetreten, den das Kiewer Regime seit 2014 gegen die abtrünnigen Gebiete im Donbass führt.

Eine Trilogie von Hannes Hofbauer. Teil I:

Dass diese langjährige militärische Auseinandersetzung unter dem Radar der Wahrnehmung im Westen blieb, ist der geopolitischen Interessenslage und der diese begleitenden Medien zuzuschreiben.

Eine Rechtfertigung für den Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine, wie er am 24. Februar den mehr als sieben Jahre schwärenden Bürgerkrieg internationalisierte, ist das allerdings in keinem Fall. Der von Moskau betriebene Völkerrechtsbruch ist zu verurteilen.

Gegen den Krieg! Noch vor wenigen Wochen hätte man unter dieser Losung zwischen Brüssel, Berlin und Wien eine Friedenspolitik verstanden und wäre für wirtschaftlichen und diplomatischen Austausch zur Stärkung internationaler Bande eingetreten. Seit dem 24. Februar ist das anders. Nun schreien die Spitzen der transatlantischen Welt, geradezu angetrieben von einer kriegsgeilen Journaille, nach mehr und mehr Waffen für die eine Kriegspartei, für die Ukraine. „Der Krieg der Ukraine ist auch unser Krieg“, tönt der EU-europäische Chefdiplomat Josep Borrell. Diesen Satz muss man sich nochmals durch den Kopf gehen lassen; er stellt klar: Die Europäische Union wähnt sich im Krieg mit Russland.

Bei Worten ist es nicht geblieben. Einzelne EU-Staaten – von den USA gar nicht zu reden – überbieten sich geradezu darin, Öl ins lodernde Feuer zu gießen. Ungeheure Mengen aus Altbeständen aller Waffengattungen finden ihren Weg in die Ukraine. Und der militärisch-industrielle Komplex kriegt sich vor Begeisterung gar nicht mehr ein. Nachbestellungen füllen die Auftragsbücher auf Jahre hinaus. Für Innehalten und Nachdenken, wohin das alles führen soll – und zweifellos auch führen wird – fehlt nicht die Zeit, sondern die Vernunft.

Woher der neue Krieg in Europa kommt und wer an den Stellschrauben dafür gedreht hat, wird klar, wenn man sich die geopolitische Entwicklung in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten in Erinnerung ruft; eigentlich eine leichte Übung, die allerdings nur dann Erkenntniswert hat, wenn sie in ihrer Gesamtheit betrachtet wird.

Der letzte sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow hatte neun Monate vor dem offiziellen Ende der UdSSR, ein Referendum auflegen lassen, bei dem es um einer Weiterführung der Sowjetunion als Föderation souveräner Republiken ging. 70% der UkrainerInnen votierten damals dafür

Da ist zu allererst der Zusammenbruch des größten multiethnisch verfassten Staates der jüngeren Geschichte. Das Auseinanderbrechen der Sowjetunion im Jahr 1991 war von ihren Führern mit Brachialgewalt orchestriert worden. Auf die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Verfasstheit der einzelnen Republiken ist dabei nicht Rücksicht genommen worden; und genauso wenig auf die Folgen einer Nationalisierung von Staatlichkeit in Gebieten, die multinational besiedelt sind. Ein Beispiel im Fall der Ukraine, der zweigrößten Sowjetrepublik nach der Russländischen Föderation, mag dies verdeutlichen.

Der letzte sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow hatte am 17. März 1991, neun Monate vor dem offiziellen Ende der UdSSR, ein Referendum auflegen lassen, bei dem es um die Frage einer Weiterführung der Sowjetunion als Föderation gleichberechtigter souveräner Republiken ging. 70% der UkrainerInnen votierten damals dafür. Schon zuvor, im Angesicht der territorialen Fliehkräfte, fand am 20. Januar 1991 auf der zur Ukraine gehörenden Krim eine Volksbefragung statt. „Wollen Sie, dass die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Krim als Teil der UdSSR wiederhergestellt wird?“, lautete ihr Text, der die Eigenständigkeit gegenüber der Ukraine betonte. 93% stimmten mit Ja; kurz darauf wurde der Status der Krim entsprechend geändert. Am 24. August 1991 erklärte dann die Werchowna Rada in Kiew die staatliche Unabhängigkeit, am 1. Dezember 1991 ließ sie sich diese per Volksvotum mit 93% bestätigen. Erst danach erfolgte die offizielle Auflösung der Sowjetunion.

Nun mag jemand ob der vielen Geschichtsdaten zu gähnen beginnen und – wenn diese Person bösartig argumentieren will – den Autor in die geistige Nähe von Wladimir Putin rücken, der für seine historischen Exkurse bekannt ist. Doch das kollektive Gedächtnis beruht nun mal auf vergangenen Erfahrungen. Dies ist im Übrigen nirgendwo stärker zu beobachten, als gerade im Umfeld der herrschenden ukrainischen Klasse. Die „orange Revolution“ im Winter 2004 hat Nationalisten an die politische Oberfläche gespült, die ihre historischen Wurzeln in der anti-sowjetischen, anti-polnischen und pro-nazistischen Nationalbewegung „Organisation ukrainischer Nationalisten“ (OUN) verorteten. Unter dem damalige Präsidenten Wiktor Juschtschenko schossen überall im Westen der Ukraine Denkmäler aus dem Boden, die an Stepan Bandera erinnern. Der zuvor wegen Mordes am polnischen Innenminister Bronislaw Pieracki zum Tode Verurteilte, kam während der Besetzung Polens durch die Wehrmacht im September 1939 frei und spaltete sich von der OUN rechts ab (OUN-B). Seine „Banderisten“ waren federführend am jüdischen Pogrom in Lemberg/Lwow beteiligt. Bandera fiel 1959 in München einem Attentat des sowjetischen Geheimdienstes zum Opfer. Sein Nachfolger in der OUN-B wurde Jaroslaw Stezko, ein im Exil lebender offener Rassist und Antisemit. Als Höhepunkt seiner exilpolitischen Karriere konnte Stezko einen Empfang beim US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan verbuchen.

Der hatte sich die Zerstörung der Sowjetunion zur Aufgabe gestellt, wie er in seiner Autobiographie freimütig bekennt. Beim Besuch von Stezko im Weißen Haus im Jahr 1983 meinte Reagan: „Ihr Kampf ist unser Kampf.“ Josep Borrell wird sich wohl dieser Episode nicht erinnert haben, er kam 40 Jahre später von selbst auf einen fast wortgleichen Satz um die anti-russische Waffenbrüderschaft zu benennen. Stezkos Witwe Slawa, um zum Ende des historischen Ausgriffs zu kommen, erlebte die staatliche Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991, wurde nach ihrer Rückkehr aus dem Exil Abgeordnete in der Werchowna Rada, beteiligte sich an der Gründung der rechtsradikalen Partei „Kongress der ukrainischen Nationalisten“, die sich bei den Parlamentswahlen 2002 dem Block „Unsere Ukraine – Nationale Selbstverteidigung“ von Präsident Wiktor Juschtschenko anschloss. So sieht er aus, der lange Atem des ukrainischen Faschismus, der heute in unseren politischen Breiten tunlichst verschwiegen wird.

Als der USA Präsident, der jüngere George Bush am 13. Juni 2002 den 30 Jahre bestehenden Vertrag zur Begrenzung der Raketenabwehr ABM einseitig kündigte, schloss sich aus Moskauer Sicht der Teufelskreis: Schrittweises Heranrücken der NATO an die Westgrenze Russlands

Der Westen setzte derweil auf Expansion. NATO vor EU, so hieß die Reihenfolge und tatsächlich durfte kein einziges Land, das zuvor im sowjetischen oder jugoslawischen Einflussbereich gelegen war, sich wirtschaftlich in die Brüsseler Union integrieren, bevor es nicht seine Soldaten unter NATO-Kommando stellte. Das alles ist bekannt und der Kreml hatte bei jeder sich bietenden Gelegenheit warnend auf die Verschiebung der Kräfteverhältnisse in Europa hingewiesen, ohne auf Gehör zu stoßen.

Als dann der jüngere George Bush am 13. Juni 2002 den 30 Jahre bestehenden Vertrag zur Begrenzung der Raketenabwehr ABM einseitig kündigte, schloss sich aus Moskauer Sicht der Teufelskreis: Schrittweises Heranrücken der NATO an die Westgrenze Russlands und Ausbau eines antiballistischen Raketenabwehrsystems, das die sogenannte Zweitschlagskapazität – den Kern der gegenseitigen Abschreckung – verunmöglichte. Die NATO-Aufnahmeversprechen für die Ukraine und Georgien im Jahr 2008 folgten der expansiven Logik des transatlantischen Paktes. Diese schreckte auch nicht vor der gewaltsamen Entfernung eines gewählten Präsidenten zurück. Die Rede ist vom Regimewechsel in Kiew, der im Februar 2014 stattfand.

Er war die Folge des ersten Njet, das Brüssel bei seinem wirtschaftspolitischen Vormarsch auf die Märkte des europäischen Ostens zu hören bekam. Wiktor Janukowitsch, der damalige ukrainische Präsident, machte der Europäischen Union im November 2013 einen Strich durch ihre Rechnung, indem er das bereits ausverhandelte Assoziierungsabkommen in letzter Minute am Gipfel von Vilnius nicht unterschrieb und Bedenkzeit einforderte. Diese Bedenkzeit haben ihm wohl Emissäre aus Moskau nahegelegt und ihn mit der Energie-Keule unter Druck gesetzt. Wirtschaftliche Erpressung nannten es die einen, Vernunft angesichts des übermächtigen Energielieferanten die anderen.

In den Folgemonaten hievte Washington seine ukrainischen Statthalter in die höchsten Regierungsämter und botete die Europäische Union aus, die irrtümlich der Meinung war, das Land gehöre zu ihrem Einflussgebiet. Das „Fuck the EU“ der damaligen US-Sonderbeauftragten und heutigen Strippenzieherin im US-Außenministerium Victoria Nuland klingt lange nach. In der Folge des Majdan 2014 mit anschließendem Regime-Wechsel zerfiel die ukrainische Staatlichkeit. Die Krim schloss sich an Russland an bzw. – in anderer Diktion – wurde von Moskau annektiert; und im industrialisierten Kernraum des Landes, dem Donbass, entstanden die beiden sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Seitdem herrscht Krieg.

Hannes Hofbauer:
„EU-Osterweiterung. Historische Basis – ökonomische Triebkräfte – soziale Folgen“
© Promedia 2008; ISBN: 978-3-85371-273-3
320 Seiten, Preis: 19,90 Euro

Der Autor Hannes Hofbauer studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte und arbeitet als Publizist und Verleger. Im Promedia Verlag sind von ihm zum Thema erschienen: Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung. (2016) und „Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter“ (2014).

Teil II: Kulturschaffende für den Krieg
Teil III: Die Linke? Gegen den Krieg

Diese Analyse von Hannes Hofbauer ist auch bei rubikon.news erschienen.

*Bildtext: NATO auf Durchreise – Oder das Rätsel des sanften Transit, lautet der Titel in der UHUDLA Ausgabe 42 / 1996:
Relativ unbemerkt sind am 17. Dezember 1995 zwischen Österreich (konkreter der Bundesregierung, weil uns hat ja keiner gefragt) in Kraft getreten. Der Aufenthalt der US Army mit schwerem Kriegsgerät in der Kaserne in Bruck an der Leitha habe durch dieses Abkommen eine rechtliche Basis, hieß es damals offiziell.

2 Gedanken zu “Dieser Krieg ist nicht unser Krieg

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