
50 Jahre Nelkenrevolution ■ Die UHUDLA edition und LDFL startet eine „Jubiläumsartikel“ Serie und ein wissenschaftlich, historisches Buchprpojekt über „Die Auseinandersetzungen um die portugiesische Agrarreform 1976 bis 1985. Zur Restaurierung vorrevolutionärer Macht- und Eigentumsverhältnisse am Beispiel der Kooperativen der Agrarreformzone“. Teil XXIII.
Von Martin Leo
Die Reprivatisierungswellen bis zum Antritt der Regierung Sá Carneiro
Da der Barreto-Nachfolger Luís Saías (PS) beabsichtigte, alle Eigentumsformen der ZIRA unter der Voraussetzung der wirtschaftlichen Effizienz der Betriebe gleichberechtigt zu behandeln1, entwickelte sich die Agrarreform zum „Stolperstein”2 der PS/CDS-Koalition.
Im Juli 1978 verlangte das CDS, das von einer sich weiter nach rechts entwickelnden PSD unter Sá Carneiro und vom CAP entsprechend unter Druck gesetzt worden war3, den Rücktritt von Saías. Die Rechte hatte die Verlangsamung des Rückgabeprozesses und eine erneute „große Agitation”4 in seinem Ministerium beklagt, das ihrer Ansicht nach „nichts gegen die von der KP geschaffenen Interessen”5 unternommen hatte. Das der Regierung Soares Ende August folgende und vom Präsidenten berufene PSD-nahe Kabinett Nobre da Costa (29 . 8. – 22. 10. 1978) konnte ebenso wie die späteren bürgerlich-konservativen Regierungen „auf der ‚sozialistischen‘ Hinterlassenschaft der PS aufbauen…”6
Unter Nobre da Costa, der im März 1977 bereits dem Kabinett Soares als Technologieminister angehört hatte und der vor 1974 in verschiedenen Konzernen leitend tätig war7, steigerte sich die monatliche Reservenrückgabe auf 8.000 Hektar.8
Nobre da Costas Landwirtschaftsminister wurde mit Vaz Portugal ein Funktionär des CAP9; Staatssekretär für Agrarstrukturierung wurde mit Augusto Martins Ferreira do Amaral ein Mitglied der kleinen monarchistischen PPM. Beide blieben auch nach der Regierungsübernahme durch das Präsidialkabinett Mota Pinto (22. 11. 1978 – 1. 8. 1979), der als Handelsminister ebenfalls seit März 1977 der Regierung Soares angehört hatte, im Amt.
Die Regierung Mota Pintos, eines PSD-Dissidenten, der die Partei nach Differenzen mit Sá Carneiro Ende 1975 verlassen hatte10, war selbst für Mário Soares die „rechteste Regierung seit dem 25. April.”11 Dennoch tolerierte die PS trotz der Parlamentsmehrheit, über die sie zusammen mit der PCP verfügte, dieses von PSD und CDS gestützte Kabinett.12
Bis August 1979 wurden nun monatlich etwa 12.500 ha Vorbehaltsland übergeben13; es begann „eine Phase, in der ständig die Polizei und die Macht der Republikanischen Nationalgarde mit ihren Panzern und Helikoptern eingesetzt wurde.”14
Die Praxis der Reservenübergabe verstieß immer häufiger gegen die Gesetze. Obwohl Artikel 36 des „lei-Barreto” den betroffenen UCP‘s das Recht auf die im Vorbehaltsland anstehende Obsternte einräumte, intensivierte die Regierung die Übergaben gerade vor der Ernte.15
Es wurde Vorbehaltsland ausgeliefert, das vor der Besetzung länger als drei Jahre ungenutzt geblieben war; es wurden 70.000 Punkte zugestanden sogar in Fällen, in denen der „reservatário” vor der Besetzung weniger als die 70.000 Punkten entsprechende Fläche selbst bewirtschaftet hatte. Behauptete die Regierung in manchen Fällen, Land nur übergeben zu haben, weil es niemals rechtmäßig enteignet worden wäre, gelang anhand entsprechender Dokumente der Gegenseite der Nachweis, dass diese Argumentation nicht der Wahrheit entsprach.16
Bis Mitte Juni 1979 verloren die UCP‘s 174.000 Hektar; 15.000 Arbeitsplätze und 33 Betriebe wurden zerstört.17 Waren weitere Enteignungen schon unter Barreto kaum noch vorgekommen (siehe Tabbelle VI unten), so wurden sie vom MAP nun an unerfüllbare Bedingungen – unter anderem an die sofortige Zahlung von Entschädigungen – geknüpft.18
Gleichzeitig wurden die Versuche fortgesetzt, den ökonomischen und finanziellen Spielraum der UCP‘s weiter einzuengen. Zweihundert UCP‘s waren inzwischen vom CAE-Kredit ausgeschlossen worden. Ihre Schulden resultierten zum Teil aus Investitionen, die sie mit dem Vorbehaltsland bereits wieder verloren hatten. Dennoch blieben ihre Verbindlichkeiten in voller Höhe bestehen.19 Von den 40 Kreditanträgen, die staatlichen Stellen zwischen dem 21. 8. 1978 und dem 4. 9. 1979 übergeben wurden, erreichten nur zwei den richtigen Adressaten. Die anderen wurden zurückgehalten.20
Zurückbehalten wurden oft auch für UCP‘s bestimmte Schecks des IPF, mit denen Anteile aus dem Erlös des Korkverkaufs erstattet werden sollten.21 Wirtschaftliche Schäden verursachten auch die 1979 noch unter den Entstehungskosten liegenden staatlichen Aufkaufpreise für Getreide, die das nationalisierte Monopolunternehnen EPAC zahlte.22
Nachdem Mota Pinto irn Sommer 1979 schließlich zurücktrat und damit einem Mißtrauensantrag der PS zuvorkam, ernannte Präsident Eanes die unabhängige katholische Antifaschistin Maria de Lourdes Pintasilgo zur Ministerpräsidentin (1. 8. 1979 – 3. 1. 1980). Sie hatte bereits den ersten beiden Provisorischen Regierungen angehört und stand zweifellos links von ihren Vorgängern. Die rechtsorientierten Kräfte kritisierten, dass ihrem Kabinett mit Costa Brás auch ein Mitglied der ehemaligen Regierung Vasco Gonçalves angehörte.23 Von den Kommunisten wurde ihre Regierung als kleineres Übel toleriert24, da sie sich um den Dialog mit den Gewerkschaften bemühte und einige Sozialleistungen verbesserte.25
Jüngst / Jülich interpretieren die Amtseinsetzung Pintasilgos als Reaktion „auf das vorausgehende, im Alentejo fast Bürgerkriegszustände verursachende staatliche Vorgehen bei der Rückgabe von Reserven”26, doch auch diese Regierung nahm dem Kollektivsektor in den fünf Monaten ihres Bestehens 45.000 ha Land.27 In Pintasilgos Amtszeit fiel die Erschießung von zwei der PCP angehörenden Landarbeitern Ende September 1979 in Montemor-o-Novo durch die GNR, die gegen die Proteste der Kooperanten eine Reservenübergabe sicherte.28
Hatte die Revolution im Alentejo nicht ein einziges Menschenleben gekostet, so verlangte die Gegenrevolution jetzt ihre Opfer
Bis Ende 1981 zählte man 2.000 Verletzte.29 Dennoch bemühte sich die Regierung Pintasilgo, das Vertrauen der Landarbeiter in die Rechtstaatlichkeit der Anordnungen des MAP wiederherzustellen, indem sie bis zum 11. 10. 1979 zehn offenkundig unrechtmäßige Erlasse rückgängig machte, die UCP‘s zu Reserveübergaben gezwungen hätten. Sechzig weitere Erlasse wurden überprüft.30
Das aus den zur Lösung der seit Mitte 1978 anhaltenden Regierungskrise angesetzten Zwischenwahlen vom 2. Dezember 1979 mit 45,3% als Sieger hervorgegangene konservative Bündnis „Aliança Democrática” (PSD, CDS, PPM) machte diese Entscheidungen allerdings wieder rückgängig31; mit dem Regierungsantritt Sá Carneiros am 3. 1. 1980 begann eine Landrückgabeoffensive bis dahin nicht gekannten Ausmaßes.
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[…] Landrückgabepolitik und ökonomische „Strangulierung“ 1978 bis 1985 7.1 Die Reprivatisierungswellen bis zum Antritt der Regierung Sá Carneiro Teil XXIII 7.2 Die radikale Dezimierung des Agrarreformsektors unter Sá Carneiro und der Übergang […]