Die klassenlose Gesellschaft, ein Ziel der Verfassung

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50 Jahre Nelkenrevolution ■ Die UHUDLA edition und LDFL startet eine „Jubiläumsartikel” Serie und ein wissenschaftlich,  historisches Buchprpojekt über „Die Auseinandersetzungen um die portugiesische Agrarreform 1976 bis 1985. Zur Restaurierung vorrevolutionärer Macht- und Eigentumsverhältnisse am Beispiel der Kooperativen der Agrarreformzone”. Teil XXV.

Von Martin Leo

7.3  Die Agrarreform in der Verfassung von 1982

Eine inzwischen sensibilisierte Öffentlichkeit, zwei gegen die Politik der AD gerichtete Generalstreiks, der anhaltende politische Widerstand gegen die Reprivatisierungen in Landwirtschaft und Industrie59 und andere Faktoren trugen dazu bei, dass die von der AD in Angriff genommene Verfassungsrevision, für deren Annahme eine Zweidrittelmehrheit erforderlich war, weniger radikal und einschneidend ausfiel, als ursprünglich geplant. Sie beschränkte sich im wesentlichen auf die Veränderung des Regierungssystems; auf die Regierung wurden Kompetenzen des Präsidenten und des aufgelösten Revolutionsrats übertragen.60 Die ideologische Substanz der alten Verfassung blieb aber erhalten.

Ziel portugiesischer Politik war danach weiterhin die klassenlose Gesellschaft (Art.l).61 Alle Nationalisierungen waren „irreversible Errungenschaften der arbeitenden Klassen” (Art.83).62

Die Agrarreform war zwar nicht mehr „grundlegendes Instrument des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft“ (Art.96 der Verfassung von 1976)63 und auch nicht mehr „erster Schritt bei der Schaffung neuer Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft”64, aber sie diente weiterhin – als hätte es nie einen gegenrevolutionären Prozess gegeben – der „fortschreitenden Übertragung des Nutzungsrechts an Boden und Produktionsmitteln… auf diejenigen, die ihn bearbeiten.” (Art. 96a).65

Nach wie vor waren die Eliminierung der Latifundien „und der großen kapitalistischen Betriebe” und ihre Übergabe an Kleinbauern- oder Landarbeiterkooperativen „oder andere kollektive Betriebseinheiten von Arbeitern”66 die erklärten Verfassungsziele (Art.97).

Auf die staatliche Unterstützung (u.a. durch Kredite und technische Hilfe), die den obengenannten Nutznießern der Agrarreform in Artikel 102 versprochen wurde, musste der Kooperativsektor auch nach Inkrafttreten der Verfassung (30. September 1982) verzichten.

Die neue Verfassung mit ihren Reminiszenzen an den 25. April bewies einerseits wie schon zuvor die Wahlniederlage Soares Carneiros das Vorhandensein eines breiten und mehrheitlichen sozialen und politischen Felds, das in Opposition zu den konservativsten, gegenrevolutionären Kräften stand und für eine demokratische Politik auf Grundlage einer gemischten Wirtschaft im Sinne der alten Verfassung und der Revolution eintrat. Andererseits konnte sich dieses Lager nicht zu einem politischen Bündnis formieren, das über die bloße Ablehnung einer weiteren Rechtsentwicklung hinausgehend ein tragfähiges, gestaltendes, einigendes und die Vorherrschaft erringendes alternatives Politikkonzept hätte artikulieren können.

So verbreiterte sich auch nach 1982 die „Kluft zwischen dem Verfassungskonzept zur sozialen Organisation und der politischen Praxis”67, und schon wenige Monate später meldeten sich über die „Konföderation der portugiesischen Industrie“ (CIP) jene zu Wort, die erneut eine Revision verlangten.68

Die vom entmachteten Revolutionsrat beklagte Tendenz zur „Wiederherstellung eines wirtschaftlich unangemessenen, überholten und sozial ungerechten Modells”69 war ungebrochen und führte in der ZIRA zur Fortsetzung der 1977 begonnenen Politik.

Zum Inhaltsverzeichnis des Buches.

Anmerkungen:
59  Zur Reprivatisierungspolitik in der Industrie vgl. Rosa, Fracasso Direita…, a.a.O., S.262 f.
60  Vgl. Eisfeld, a.a.O., S.189
61  Vgl. Ministério da Justiça (Hg.), Constituição da República, Lei Constitucional No 1/82, de 30 de Setembro (Lisboa 1982)
62  Ebenda, S.159
63  Ebenda, S.42
64  Ebenda
65  Ebenda, S.164
66  Ebenda, S.166
67  Letzte Botschaft des Revolutionsrates vor seiner Auflösung am 29.10.1982, zit. nach: Horizont, Nr.49, 15.Jg. (1982)
68  Vgl. Thomas Fischer, Portugal zehn Jahre nach der „Nelkenrevolution“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr.3, 29. Jg. (Köln 1984), S.354 ff. (S.363)
69  Letzte Botschaft…, a.a.O.

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