Amazon wäscht seine schmutzigen Hände in Unschuld

AmazonDer schlechteste Chef der Welt ■ Der US-amerikanische Konzern Amazon.com, Inc. aus Seattle ist eines der größten Unternehmen der Welt. 1995 war Amazon als Online-Buchhandlung im damals jungen Internet gestartet, heute ist es ein umfassender Online-Versandhändler mit ein paar Nebensparten (u.a. TV-Streaming „Amazon Prime Video“).

Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs

2019 verzeichnete Amazon einen Umsatz von 280 Milliarden US-Dollar sowie einen Gewinn von 11,6 Milliarden Dollar. Der Börsenwert beträgt rund eine Billion Dollar – nur Microsoft und Apple sind wertvoller.

In Österreich beläuft sich der Jahresumsatz auf etwa 600 Millionen Euro. Amazon-Gründer und CEO Jeff Bezos, nebenbei auch Eigentümer der „Washington Post“ und des privaten Weltraumfahrtunternehmens Blue Origin, gilt daher, wenig überraschend, als reichster Mann der Welt: Sein Vermögen wird auf 114 Milliarden Dollar geschätzt, obwohl er gerade eine teure Scheidung hinter sich hat.

Mit einem durchschnittlichen österreichischen Arbeiterlohn würde es nicht weniger als 40 Millionen Jahre dauern, ehe man eine annähernd ähnliche Summe verdient hätte. Dieser bizarre Vergleich deutet auf subtile Weise an, dass Bezos sein Vermögen nicht durch besonders harte Arbeit oder durch Fleiß erworben hat, sondern indem er als rücksichtsloser kapitalistischer Unternehmer maximalen Profit aus seinen Unternehmungen herauspresst.

Das gelingt nur, wenn man seinen Angestellten möglichst geringe Löhne und Gehälter zugesteht, dafür aber möglichst lange und intensiv arbeiten lässt

Bezos gilt nicht zufällig als „schlechtester Chef der Welt“. Es ist aber auch zweckmäßig, kosten- und personalaufwendige Bereiche der Geschäftstätigkeit auszulagern, nämlich auf Subunternehmen in vergleichsweise kleinen Einheiten, die juristisch selbständig sind, auf eigene Rechnung tätig werden, aber de facto natürlich von den Amazon-Aufträgen abhängig sind. Um ihren Anteil am Gewinn zu realisieren, dürfen sie auch nicht gerade arbeiterfreundlich sein.

Und damit sind wir bei der „Razzia“ im Amazon-Verteilzentrum im niederösterreichischen Großebersdorf, nördlich von Wien, wo am 18. Februar 2020 gleich 65 Beamte der Finanzpolizei einrückten wegen des Verdachts gewerbsmäßiger Gesetzesverstöße. Dabei ging es freilich nicht um Amazon selbst, sondern eben um 36 Subfirmen mit 174 Angestellten, die für die Auslieferung der Waren mit ihren weißen Kleinbussen und Transportern zuständig sind. Und tatsächlich: Es gab eine Reihe von arbeits- und steuerrechtlichen Verstößen, Schwarzarbeit und -zahlungen bezüglich nur geringfügig angestellter Fahrer, eine Scheinfirma und gefälschte Arbeitsaufzeichnungen. Als Folge wird es Forderungen des Finanzamtes, Strafzahlungen und Firmenschließungen geben. Auch Lieferfahrer, die in solche Betrügereien involviert waren, werden juristisch belangt werden, etwaige ungerechtfertigte Mindestsicherungs- oder reguläre AMS-Bezüge werden sicherlich zurückverlangt.

Gut so, könnte man auf den ersten Blick sagen. Was diese Subfirmen betreiben, ist Lohn- und Sozialdumping im großen (und illegalen) Stil. Ihre ArbeiterInnen werden unter Druck gesetzt, um gesetzwidrige Praktiken bei der Arbeitszeit und Entlohnung zu ermöglichen, dabei fällt nicht nur das Finanzamt um seine Ansprüche um, sondern auch die Fahrer um ihre Absicherung im Bereich der Sozial- und Pensionsversicherung (sowie sonstige Rechte): Sie müssen letztlich so etwas wie „prekäre Schwarzarbeit“ leisten – dies schlucken oder eben keinen Job haben.

Mit all dem hat Amazon natürlich nichts zu tun, wie die europäische Unternehmenszentrale, die sich nicht zufällig in Luxemburg befindet, sogleich versichern konnte: Man habe einen klaren Verhaltenskodex für Subunternehmer, der die Gesetze respektiere. Formell und juristisch ist das korrekt. Die kapitalistische Wahrheit ist eine andere: Es sind eben das Amazon-Geschäftsmodell und seine Methoden, was genau zu solchen Praktiken führte und immer wieder führen wird (es werden sich rasch neue Subunternehmen bilden).

Der Amazon-Konzern lässt den kleinen Subfirmen und prekär Geldverdinenden wenig Spielraum und meistens auch kaum eine andere Wahl

Niemals würde Amazon Schwarzarbeit oder Steuerbetrug gutheißen oder gar empfehlen, doch interessieren tut man sich dafür auch nicht. Wenn der Kapitalismus nur für den großen Konzern funktioniert, aber nicht für Kleinunternehmer und Dienstnehmer, dann ist das nicht Bezos‘ Problem. Man wäscht seine schmutzigen Hände in Unschuld.

Die Razzia von Großebersdorf hinterlässt einen schalen Beigeschmack, der zusammenfassend lautet: Die Kleinen (und die Arbeitnehmer) werden geopfert, die Großen kommen immer unbeschadet davon. Man kontrolliert nur die kleinen Fische und wird sie auch zweifellos bestrafen, während der informelle Mutterkonzern wieder einmal fein raus ist. Denn mit dem will sich das österreichische Finanzamt natürlich nicht anlegen. Das hat politische Methode: Jeder Krankenstand soll genauestens überprüft werden, jeder AMS-Bezug auf seine Rechtfertigung geprüft, jedes kleine Steuervergehen hat Konsequenzen, für Arbeitnehmer müssen die Zumutungen ausgeweitet werden. Die Großkonzerne, die durch allerlei Tricks ohnedies nur lächerliche Steuern abliefern, aber gerne Subventionen nehmen, dominieren das ganze System, die Reichen und Superreichen schützen ihre ergaunerten Vermögen durch Stiftungen, Verschiebung in Steueroasen oder durch gänzlich illegale Hinterziehung. Das ist der Kapitalismus: Ausbeutung und Unterdrückung für die Kleinen, für die Arbeiterklasse – immense Reichtümer und Profitmaximierung für die Millionäre und Milliardäre, für die Großkonzerne. Staat, Recht und Politik unterstützen dieses System, damit alles bleibt, wie es ist.

Dass politisch nichts dagegen unternommen wird, ist wenig verwunderlich und grundsätzlich fix: Jede bürgerliche Regierung ist nur ein Verwaltungsausschuss des Kapitals – egal in welcher Farbkombination. Im Falle der Sebastian Kurz-Regierungen kommt dies gegenwärtig jedoch besonders deutlich zum Ausdruck: Hier werden schamlos die Unternehmen und die Reichen bedient, während man den sozial Benachteiligten und Armen sogar noch die letzten paar Cent zusammenstreichen will. Die Regierung, die Parteien und ihre Medienpartner schüren Neid und Missgunst gegenüber und unter den einfachen Menschen und der Arbeiterklasse, die Reichen und die Konzerne – das Kapital –, ist darüber erhaben. Deshalb hält es sich ja seine Systemparteien. Es ist kein Wunder, dass in solch einem System Betrügereien aller Art, aber nicht zuletzt eben auch Korruption gedeihen.

Apropos: Fast könnte man glauben, die plötzliche Razzia in Großebersdorf wäre auch ein Ablenkungsmanöver gewesen. Die Vermutung könnte naheliegen, dass man in der Regierung, der ÖVP und ihrem Freunderl-Umfeld gerne ein bisschen die Skandale um die Eurofighter und die Casinos Austria unter den medial-politischen Teppich kehren wollte. Aber dafür sind Kanzler Sebastian Kurz, Finanzminister Gernot Blümel und Konsorten gewiss zu integer. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Tibor Zenker ist Autor, Politikwissenschaftler und seit Ende 2019 Vorsitzender Partei der Arbeit.

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