Fachpersonal für solidarische Hilfe

© Wachter. Eine Pensionisten „Risikogruppe” beim Boule-Spiel in Lagos. 12. Jänner 2021

Portugiesische Verhältnisse Das Gesundheitssystem in Portugal ist krank. Mit den überbordenden Erkrankungen alter, armer und mangelernährter Menschen verschlechtert sich seit Jahresbeginn 2021 die Situation von Tag zu Tag.

Von Martin Wachter Lisboa

Eine der Ursachen für diesen Niedergang ist vor einem Jahrzehnt entstanden. Der von EU Troika aufgezwungene Sparkurs, besonders im Gesundheits- und Bildungswesen forderte seinen Tribut.

Portugal und Österreich hatten bis Weihnachten 2020 statistisch gesehen in etwa dieselbe Entwicklung. Die Portugiesen hatten im April und Mai etwas mehr als ein Monat lang Lockdown. Sonst gab es so gut wie keine Einschränkungen im wirtschaftlichen freizeitmäßigen und kulturellem Bereich. Feste Kulturveranstaltungen und Freizeitaktivitäten waren an der Tagesordnung. Beispiel das Formel I Spektakel in Portimao zählte 30.000 Besucher. 50.0000 wären genehmigt gewesen, aber die Eintrittspreise waren für portugiesische Verhältnisse viel zu teuer.

Seit 15. Jänner 2021 ist auf Grund der lebensgefährlichen Lage der Laden total dicht gemacht. Selbst die Strände des Küstenlandes am südwestlichen Ende Festlandeuropas sind abgeriegelt. Nach dem Jahreswechsel 20 / 21 explodierten die Zahlen. Zu Weihnachten und Silvester hat die Disziplin zur Einhaltung der Corona Maßnahmen nachgelassen und die englische Variante des Virus beschleunigte die CoronaZahlen

Die drei Hauptursachen der tiefgreifenden alles umfassenden neue Kreise sind:
Der Jahrzehnte anhaltende Sparkurs.
Der schlechte Zustand des Gesundheitswesen.
Die große Zahl von alten Menschen.
Und ein nicht unwesentlicher Faktor der nix mit Ökonomie und Politik zu tun hat, das schlechte Wetter treibt das Fieber der Pandemie zusätzlich in die Höhe.

Ein Land im ständigen Krisenmodus macht viel zu viele Menschen mürbe

Der gegenwärtige Zustand in Portugal wird erst dann verständlich, wenn die Vergangenheit analysiert wird. Die Finanzkrise um 2010 hat die Bevölkerung des Landes um eineinhalb Millionen schrumpfen lassen. Gut ausgebildete Fachkräfte haben wegen Jobverlust und schlechter Bezahlung Lousitanien verlassen.
Auf Grund des Drucks der Troika bestehend aus EU-Komission, der Europäische Zentralbank und der Weltbank IWF hat Portugal für die Kredite von 78 Milliarden Euro teuer bezahlt. Alles was Geld brachte wurde zum Ramschpreis veräußert: Energieversorgung, Flughäfen, TAP, Autobahnmaut, Kommunale Einrichtungen und alles, was  Wert hatte, mußte für die „Bankenrettung” requiriert werden. Das Bildungs- und Gesundheitssystem wurde durch Personalabbau halb tot gespart. Im Gesundheitswesen wurden ein geringer, aber nicht unbedeutender Teil, der medizinischen Versorgung zugesperrt. Ein Drittel der Spitalskapazitäten wurde mit undurchsichtigen Verträgen für die Dauer von 30 Jahren privatisiert. In Zahlen sind das über 10.000 Spitals- und 1.000 Intensivbetten. Diese Privatisierungen haben kein Geld gebracht. Krankenhäuser wurden von den Regierungsverantwortlichen über Nacht verschenkt. Wegen dem allgemeinen Auftrag zur Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung müssen die SteuerzahlerInnen bis 2042 über geschätzte 2 Milliarden an die privaten Neo-Eigentümer zahlen.

In Corona-Zeiten fehlen diese Kapazitäten enorm. Im Parlament in Lisboa gab’s im Dezember 2020 und Anfang des Jahres 2021 politischen Streit in dieser Sache. Dabei brachen die Kommunisten PCP und der Linksblock Bloco Esquerda BE, zusammen 15 Prozent WählerInnenanteil, ein Tabu. Catarina Martins, die Vorsitzende des BE forderte eine Verpflichtung zur Hilfe der privaten Gesundheitseinrichtungen wie private Kliniken, Ärzte und Labors zur Corona Bewältigung ein. Die privaten Krankenhäuser und Kliniken haben dem staatlichen Gesundheitssystem nur etwa 160 Betten für Covid-19 Erkrankte und 890 für „Nicht-Covid Patienten“ bereitgestellt. Das entspricht zehn Prozent ihrer Kapazitäten. Diese Bereitstellung wird vom Staat gut bezahlt und es wird mit der Notsituation des Landes zusätzliches Geld verdient. Der regierende Sozialdemokrat von der Sozialistischen Partei PS Premierminister António Costa konterte den Vorschlag der Linksparteien, dass er „keine unnötigen Konflikte“ schaffen wolle. Er sei noch nicht bereit, einen so radikalen Schritt zu unternehmen. Wenn es aber sein muss, dann geht er auch diesen Weg. „Dieser Zeitpunkt sei aber noch nicht gekommen und eine freiwillige Bereitstellung sei sinnvoller”.

Zehn Jahre zuvor hatte sein Parteifreund und damaliger Kanzler José Socrates einen Kooperationsvertrag mir Cuba abgeschlossen. Von der Karibikinsel kamen etwas mehr als 900 Ärzte als Helfer ins krisengebeutelte Portugal. Ab 2011 herrschte vier Jahre lang eine rechtskonservative korrupte Regierung wie Wolfgang Schüssel Heinz Grasser und Co. Ausverkauf und Sparkurs bis zum Geht-nicht-mehr waren Programm.

Das Spitals- und Altenpflegepersonal kämpft trotz kräfteraubender Arbeit für ihre Rechte

In den Jahren der ersten Krise des 21. Jahrhunderts wurde der Sparkurs und der Sozialabbau mit 5 Generalstreiks und tausenden Demonstrationen von Werktätigen PortugiesInnen begleitet – mit bescheidenem Erfolg: Der Mindestlohn ist von damals 420 Euro auf jetzt 658 Euro gestiegen. Ein Großteil der KrankenpflegerInnen und JungärztInnen schuftet für einen Monatsgehalt von 600 bis 900 Euro netto im Monat, 14 mal im Jahr. Eine weitere Altlast aus den Zeiten des Sparwahns: Die Spitäler kündigten ihre Fachkräfte und die dann Jobsuchenden wurden von Leiharbeiterfirmen oft an ihre alten Arbeitsplätze für noch weniger Einkommen zurückverliehen. Später stellte sich heraus, dass die Personalkosten in den Pflege- und Krankenanstalten trotzdem gestiegen sind, weil die Personalvermittlerfirmen kräftig Provisionen abkassierten.

Ein Beispiel: 2015 gingen gut ausgebildete 2.768 PflegerInnen und 707 Ärzte ins Ausland. Wären sie in Portugal geblieben, hatten sie die Wahl zur einer unter Kollektivvertrag bezahlter Scheinselbständigkeit oder sie hätten gar keinen Job gefunden oder sie hätten sich mit dubiosen Zeitarbeit-Vermittlern herumschlagen müssen. Allein im Jahr 2015 verliessen 3.500 medizinische SpezialistInnen Portugal, das heisst in zehn Jahren können 35.000 medizinische ArbeitsmigrantInnen Portugal den Rücken gekehrt haben.

2020, in Coronazeiten haben die Beschäftigten von Spital- und Pflegeanstalten enormes geleistet. Neben der schweren Arbeit haben sie massiv gestreikt und demonstriert. „Applaus und Anerkennung macht nicht satt“, war das Motto der Proteste. Das Ergebnis, erzwungen durch hunderte Aktionen und zähem Arbeitskampf: eine Lohn- und Gehaltserhöhung von 20 Prozent, aber nicht mehr als 219 Euro monatlich. Diese Erhöhung kommt zigtausenden ArbeiterInnen im Gesundheitswesen zugute, die weniger als 1.100 Euro verdienen. Die besserverdienenden KollegInnen müssen sich mit 1,9 Prozent begnügen.

Die Corona Pandemie hat schlimme Folgen für Land und Leute

Nachdem die Finanz- und Wirtschaftskrise mühevoll überstanden war, kam mit dem Massentourismus ein wenig Aufschwung und für viele Menschen Hoffnung. Der Niedergang des Tourismus im Corona-Jahr war der Beginn eines Schreckens mit noch offenem Fortgang. Covid-19 ist in Portugal stark geprägt von Armut und Reichtum. Die Pandemie fordert viele Opfer in den Armenviertel um Lisboa, besonders stark südlich des Tejo.
Die Bevölkerung von Portugal ist stark überaltert. Lousitanien war an keinem der beiden Weltkriege beteiligt. Viele PortugiesInnen kommen nach ihrem Arbeitsleben im Ausland wieder nach Hause. Das Küstenland im Südwesten der iberischen Halbinsel ist ein günstiges und schönes Fleckchen Erde zum Leben, besonders, wenn Geld und Ersparnisse vorhanden sind.

Mehr als 4.000 Portugiesinnen sind über 100 Jahre alt. Ist leicht nachvollziehbar wie die Alterspyramide von 60 Jahren aufwärts ausschaut. Bei diesem Alten-, Pflege- und Gesundheitssystem eine Katastrophe. Die Spitäler und hunderte Gesundheitszentren arbeiten Pandemie-bedingt im Schichtbetrieb, also auf fast halbem Niveau. Anmeldung für eine Arztkonsultation gibt es nur mit telefonischer oder über Internetz ausgehandelter Vereinbarung. Das sind alles große Hindernisse für wirkungsvolle Behandlungen von Erkrankten.

Ein weiterer, aber nicht unwesentlicher Fakt ist das Wetter. Seit Weihnachten ist es für portugiesische Verhältnisse kalt und regnerisch, die Sonne ist auf Tauchstation ins Meer versunken und lässt sich nur selten blicken. Die meisten Häuser und Wohnungen haben keine Heizungen. Die häufigsten Wärmespender sind Elektrogeräte, mit sehr hohen Strom- und Energiekosten. Für viele alte, aber auch junge Menschen reicht das Geld nicht für ausreichend Nahrung. Bei Hunger und Kälte kommt sicher keine Freude auf, Frust wird leider zum Wegbegleiter. In einer Umfrage des Internetjournals „O Observador” gaben im Januar 2020 fast zwei Millionen Portugiesen an, im Winter frieren zu müssen da sie die Heizkosten nicht zahlen können.

Was können die PortugiesInnen am besten: Zusammenhalten und solidarisch handeln

Das gesellschaftliche Leben im Notstand ist eine Herausforderung für alle. Es gibt wenig Unterstützungen weder für Industrie, Gewerbe und für das Volk.
75 Prozent vom einstigen Lohn  an staatlicher Unterstützung für Erwerbsarbeitslose heisst für Hunderttausende ohne Job: 300 bis 500 Euro im Monat – wegen der generell niedrigen Einkommen. Diese Kohle wird aber nur für 30 Wochen ausbezahlt. Von fast einer Million ohne Job bekommt etwa die Hälfte der Betroffenen diese magere Summe.  241.000 waren im Dezember 2020 arbeitslos. Nur 35 Prozent aller Hock’nstad’n erhalten im Schnitt 495 Euro Marie vom Staat. Viele Familien stehen ohne j öffentliche Hilfe da.

Danach folgt der Notstandsbezug. Dieser wird nur dann gewährt, wenn das zeitraubende und frustrierende behördliche Anmeldeprozedere erfolgreich war. Im November 2020 erhielten 210.490 Personen im Durchschnitt 119 Euro im Monat. Das ist sehr wenig finanzielle Hilfe Die staatliche Armutsgrenze ist mit 501 Euro festgesetzt. 19,5 Prozent der Bevölkerung muss mit weniger Geld ihr Dasein fristen. Für sehr viele verarmte, junge und noch nicht pensionierte Menschen gab es nur Einmalzahlungen von 300 Euro. Mit etwas Glück eventuell ein paarmal.

Es kommt vor, dass drei Generationen in einem Haushalte von vier und mehr Personen mit 500 Euro im Monat das Auslangen finden müssen. Die harten Zeiten kommen für viele erst, wenn die gestundete Miete, die Kreditraten und die Rechnungen für Strom, Gas und Wasser zu bezahlen sein werden.

Die Algarve an der Südküste Portugals ist heute eher eine „reiche” Region mit 500.000 Bewohnern. Der Tourismus hat den ehemals kleinen Fischerdörfern bescheidenen Reichtum und Wohlstand beschert.
Nun gibt es bei den zahlreichen Lebensmittelausgabestellen in den 16 Bezirken Haltbarmilch, Wasser, Olivenöl, Konservendosen mit Fischen, Teigwaren, Reis, Brot, manchmal Obst, Gemüse, Kekse, Feigen, Mandeln…
Landauf, landab werden Spenden oder Lebensmittel gesammelt um die Not der Bedürftigen zu lindern. Eine Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität geht durchs ganze Land. Das Leben am Existenzminimum haben viele Zeitgenossen am eigenen Leib erfahren. Das Wenige wird selbstverständlich geteilt. Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist in Portugal noch eine Tugend.

Kurz, Merkel, Macron und Konsorten kümmert Euch um Eure eigenen Probleme

Portugal muß sich nicht nur mit den fatalen Auswirkungen der Corona-Pandemie abrackern. Es hat seit 1. Jänner 2021 für ein halbes Jahr den EU-Ratsvorsitz inne. Das bemüßigt die Medien und die Politiker vieler Staaten der europäischen Gemeinschaft das Armenhaus im Südwesten von Festlandseuropa verstärkt ins Visier zu nehmen. Die betroffenen Portugiesen reiben sich verwundert die Augen. Schockbilder von Rettungswagen-Staus vor den Notaufnahmen der Spitäler kennen viele aus eigener Erfahrung. So etwas gibt es in der Realität immer wieder, das muss nicht über den Fernsehapparat flimmern. Das Nachbarland Spanien hat dieselben Probleme, ist aber nicht auf dem Radar der Berichterstattung und den mitleidigen Hilfsangebots-Verkündungen von Politikern.

Deutschland will die Bundeswehr zur Hilfe in Portugal anrücken lassen. Gut gemeint, ist aber nicht wirklich erforderlich.
In Portimao / Algarve wurde eine fußballfeldgroße Messehalle in ein fertiges Spital mit 100 Betten, einige sogar für Intensivbehandlung, umgewandelt. An einem anderen Ort wurde ein altes Spital wieder aktiviert. Portugal hat einen Mangel an medizinischem Personal für die Betreuung erkrankter PatientInnen.

Besonders absurd ist der Vorschlag des Kinderabschiebe-Kanzlers Sebastian Kurz. Er will Schwerkranke nach Österreich zur Behandlung einfliegen lassen – human, Menschen die kein Wort deutsch verstehen fern ihrer Verwandten medizinisch zu versorgen. Er könnte aber in einer Forschungsarbeit nach PortugiesInnen im österreichischen Gesundheitswesen suchen – und: er kann seinen Polizei-Spezi und Deportations-Experten auf Bau- und anderen Stellen nach KrankenpflegerInnen, ÄrztInnen suchen und nach Portugal abschieben lassen.

Ein Tipp an Politiker inner- und außerhalb der EU:

Macht Euch nützlich und findet Alten- und Krankenpflegepersonal und Ärztinnen in Euren Ländern, die portugiesischer Herkunft sind. In Deutschland, Frankreich, Großbritannien, der Schweiz und anderswo werdet ihr fündig werden. Schickt einige davon bei vollem Lohnausgleich für ein paar Monate ins krisengeschüttelte Portugal. Das wäre eine günstige und kompetente zielorientierte Lösung.

Ministerpräsident Antonio Costa hat bereits im vergangenen Jahr Sonderzahlungen für aus dem Ausland heimkehrende Fachkräfte versprochen. Seinen Aufruf haben nur Wenige Folge geleistet. Wenn die EU- PolitikerInnen in Brüssel nicht im Stande sind zu helfen, dann könnten sie wenigsten eine kubanische Ärzte- und Helfer-Brigade zahlen – die können das, das haben sie schon bewiesen.

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