
50 Jahre Nelkenrevolution ■ Die UHUDLA edition und LDFL startet eine „Jubiläumsartikel“ Serie und ein wissenschaftlich, historisches Buchprpojekt über „Die Auseinandersetzungen um die portugiesische Agrarreform 1976 bis 1985. Zur Restaurierung vorrevolutionärer Macht- und Eigentumsverhältnisse am Beispiel der Kooperativen der Agrarreformzone“. Teil III
Von Martin Leo
2.1 Vorbemerkung zu einigen Grundzügen von Agrarreformen
Die Landwirtschaft und die Produktion von Nahrungsmitteln geraten heute immer stärker ins Zentrum von Strategien zur Überwindung von Unterentwicklung und ländlicher Armut. Häufig steht der Agrarsektor als Beispiel für die Vernetzung vielfältiger und ungelöster sozialer, politischer, ökonomischer und ökologischer Probleme.1
Eine große Zahl von Entwicklungsländern, aber auch von sogenannten Schwellenländern importiert einen Teil ihres Bedarfs an Nahrungsmitteln aus dem Ausland. Zusammen mit den Kosten für importierte Energie trägt das erheblich zur Verschuldung dieser Staaten bei und bindet Mittel, die der Erhöhung und Modernisierung des landwirtschaftlichen und industriellen Produktionspotentials dienen könnten. Eine rückständige, defizitäre Landwirtschaft kann auf diese Weise gesellschaftlichen Fortschritt behindern. Sie ist nicht in der Lage, vorhandenes ländliches Arbeitskräftepotential zu absorbieren.
Zudem wird der Verkauf von Nahrungsmitteln an die genannten Länder immer mehr zu einem „Element direkten politischen Drucks”2 in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Eine den wirtschafts-, ernährungs- und beschäftigungspolitischen Notwendigkeiten Rechnung tragende nationale landwirtschaftliche Produktion wird für viele Staaten zunehmend zur Voraussetzung der Verteidigung der Unabhängigkeit und des sozialen Fortschritts im Sinne einer Befriedigung der Grundbedürfnisse (‚basic needs‘).
Produktionserhöhung ist daher wesentlich, erscheint aber allein noch als unzureichend. Die eigene nichtdefizitäre Produktion von Bodenbewirtschaftungsmitteln wie Dünger, Pestiziden, Insektiziden und Maschinen kann ein weiteres entwicklungs- und beschäftigungspolitisch sinnvolles Ziel sein. Eine nichtdefizitäre Landwirtschaft erfordert deshalb auch ein entwickelteres industrielles Produktionsniveau.
Umgekehrt stellt ein gesunder Agrarsektor einen Absatzmarkt für Konsumgüter und Produktionsmittel dar und kann über von ihm erbrachte Exporterlöse den Import von Industrieausrüstungen finanzieren und industrielle Entwicklung befördern.3 Es geht also um ein „sich gegenseitig stützendes Wachstum”4 beider Sektoren.
Versuche, die Hektarerträge allein durch den Einsatz größerer Mengen von Herbiziden und Düngermitteln und die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse („Grüne Revolution”) zu steigern, führten in manchen Ländern durchaus zu beachtlichen Erfolgen5 und zu „überzeugenden Beweisen”6 der technischen Möglichkeiten.
Allerdings gelten die seither gemachten Erfahrungen auch als Beweise für die Grenzen der Technik und dafür, dass „die landwirtschaftlichen Probleme und die Probleme des Hungers nicht nur technisch-produktiver Natur sind, sondern ihre Ursachen vor allem in den sozialen und Herrschaftsstrukturen haben.”7
Ernest Feder, der die Landwirtschaft Lateinamerikas untersuchte, unterscheidet zwischen „Technokraten“ einerseits und den „Reformern” andererseits, die in den vorhandenen Agrarstrukturen die wesentlichen Barrieren für eine radikale Erhöhung des landwirtschaftlichen Produktionsniveaus erkannten.8 In den unterentwickelten Volkswirtschaften besitzen danach diejenigen „die Schlüssel zur Macht, ja zur Existenz schlechthin”9, die über den Boden verfügen.
Diese Betrachtungsweise rückte nicht nur die Art und Weise der Nutzung landwirtschaftlicher Produktionsmittel als Ursache niedriger Agrarproduktion in den Vordergrund, sondern auch die Frage der Eigentumsverhältnisse, die unter bestimmten Bedingungen zu Schranken landwirtschaftlichen Wachstums und zur Blockade sozialen Fortschritts werden können.
Bei der Veränderung der Eigentumsverhältnisse setzen auch Agrarreformkonzeptionen an
Obwohl in der agrar- und sozialwissenschaftlichen Literatur zum Teil darauf hingewiesen wird, dass kaum allgemeine Leitsätze der Agrarreform existieren10, dass eine „allgemeingültige Definition kaum möglich”11 sei und eine „Theorie der Agrarreform … über Ansätze noch nicht hinausgekommen”12 ist, sollen einige für wesentlich gehaltene Merkmale einer Agrarreform benannt werden.
In der historischen Entwicklung von Agrarreformen lässt sich zwischen reinen Bodeneigentums- beziehungsweise Bodenbesitzreformen, die es bereits in vorkapitalistischer Zeit gab, differenzieren und den eine Besitzreform ergänzenden Bodenbewirtschaftungsreformen des Kapitalismus, die das Ziel verfolgen, die Landwirtschaft zu modernisieren und den kapitalistischen Produktionsverhältnissen anzupassen.13 In diesem Sinne ist Agrarreform „ein wesentlicher Bestandteil jeder bürgerlichen Revolution.”14
Sie trägt dazu bei, Arbeitskräfte und Kapital für die Industrie freizusetzen („ursprüngliche Akkumulation”) und ist „Teilprozess der Transformation der gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur.”15 Das grundlegende Element der Umwandlung, aus der die Agrarreform besteht, ist die Übertragung von Bodeneigentum16, wenn sich auch die Befreiung der landwirtschaftlichen Produktivkräfte von den Fesseln überkommener Bodenbesitzverhältnisse keineswegs darin erschöpft. Sie wird ergänzt durch produktionssteigernde Produktionsmittel und moderne Technologien, deren Anschaffung und Nutzung unter anderem Folge der Umverteilung des landwirtschaftlichen Mehrprodukts ist.17
Eine bürgerliche, im Rahmen des Kapitalismus bleibende Agrarreform wird sich darauf beschränken, jenen das Land zu nehmen, die es nicht intensiv bebauen. Die soziale Funktion des Bodens reduziert sich nach der Logik kapitalistischer Rationalität auf die Intensität seiner Nutzung. Folglich wird der intensive kapitalistische Großbetrieb „innerhalb der bestehenden Strukturen”18 zum Ziel dieser Reform.
Kriterium für ihren Erfolg ist allein die Erhöhung der betriebswirtschaftlichen Rentabilität, ist die Erzielung höchster Hektarerträge und bei größtmöglicher Arbeitsproduktivität.
Sind jedoch Beschäftigungsmaximierung und Erhöhung der Bodenproduktivität (Wert der Produktion pro Flächeneinheit) die aus den gesellschaftlichen Notwendigkeiten eines Entwicklungs- oder Schwellenlandes resultierenden Zielvorgaben, eröffnet sich ein Widerspruch zur Logik kapitalistischer Eigentumsverhältnisse.
In diesem Falle tendiert die Agrarreform nicht zur Transferierung des Privateigentums an Grund und Boden, sondern zu seiner Abschaffung. Die Produktionsverhältnisse werden im Rahmen der Ablösung einer Produktionsweise (der kapitalistischen) durch eine andere (der sozialistischen) verändert.19
Ob dies gelingt, wird unter anderem abhängig sein vom gesellschaftlichen Kräfteverhältnis, von der Haltung der Regierenden und dem Bewusstseins- und Organisationsgrad und der Aktivität der vom Agrarreformprozess unmittelbar Profitierenden und ihrer sozialen Verbündeten.
Zum Inhaltsverzeichnis des Buches.
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