
50 Jahre Nelkenrevolution ■ Die UHUDLA edition und LDFL startet eine „Jubiläumsartikel“ Serie und ein wissenschaftlich, historisches Buchprpojekt über „Die Auseinandersetzungen um die portugiesische Agrarreform 1976 bis 1985. Zur Restaurierung vorrevolutionärer Macht- und Eigentumsverhältnisse am Beispiel der Kooperativen der Agrarreformzone“. Teil XIII
Von Martin Leo
4.3 Konkurrenz und Gegenmodell: Cardosos „freie Kooperativen“
Sowohl Cardoso als auch PS-Generalsekretär Soares waren davon überzeugt, dass die Landarbeitergewerkschaft des Alentejo „eine von der Kommunistischen Partei kontrollierte Organisation” darstellte und die PCP über sie indirekt auch „die Mehrheit der kollektiven Produktionseinheiten”71 kontrollierte. Anders aber als Soares, der zusammen mit dem PCP-Einfluss auch die Agrarreform in ihrer existierenden Form beseitigen wollte, weil sie nach seiner Meinung die Region an den Rand des Bankrotts gebracht hatte72, führte Cardoso die Auseinandersetzung mit der PCP in der Absicht, ihr die „Fahne der Agrarreform”73 – und damit die Landarbeiter – nicht allein zu überlassen. Der PCP warf er vor, bis November 1975 Schlüsselpositionen im Staatsapparat wie zum Beispiel im Arbeits- und Landwirtschaftsministerium dazu genutzt zu haben, ein seiner Ansicht nach auf Zentralisierung politischer und ökonomischer Entscheidungen zielendes Gesellschaftsprojekt zu verankern und den Gewerkschaften Aufgaben zu übertragen, die ihnen nach dem Sozialismus-Verständnis Cardosos nicht zukamen.74
Cardoso widersprach nicht dem sozialistischen Ziel, sondern der Sozialismus-Konzeption der PCP
Er versuchte im Alentejo in Gestalt der „autonomen Kooperativen” der kommunistischen Partei ein Konkurrenzmodell entgegenzusetzen. Doch ähnlich wie seiner Kritik an Fehlern der Agrarreform, die von großen Teilen der PS, wie Cardoso selbst einräumt, nicht als Lektion einer Erfahrung, sondern nur als „Argument einer antikommunistischen Kampagne”75 begriffen und genutzt wurde, erging es auch seiner Politik der „organisatorischen Verankerung in der Kooperativenbewegung.”76
Die Polarisierung der gesellschaftlichen Kräfte und das Erstarken auf Restauration ökonomischer Machtverhältnisse gerichteter politischer Strömungen innerhalb und außerhalb der PS erlaubten vorerst keine Experimente mit alternativen Selbstverwaltungsmodellen, wenn der Agrarreformsektor nicht der Gefahr der Spaltung ausgesetzt werden sollte.
Diese Gefahr bestand aber, da Cardoso die PS gerade auf Kosten des Kollektivsektors zu profilieren suchte. Sein alternatives Kooperativenmodell definierte sich wesentlich durch den Anspruch, die Selbstverwaltung ohne gleichzeitige „Bevormundung” durch die kommunistisch beeinflusste Landarbeitergewerkschaft zu garantieren.77
Cardosos „freie Kooperativen” gerieten daher von Beginn an auf die schiefe Ebene einer Frontstellung gegen die UCP‘s, in denen die PCP Einfluss besaß. Der Eindruck, die PS habe die Bewegung spalten wollen, um eine „eigene organisatorische Repräsentanz im Agrarreformsektor zu etablieren”78, musste sich verfestigen, da das MAP dazu übergegangen war, Kooperanten bestehender UCP‘s mit dem Angebot höherer Löhne, eines 13. Monatsgehalts und Urlaubsgelds sowie besserer Kreditbedingungen zur Abspaltung und Gründung von Klein- und Kleinstkooperativen zu bewegen.79
Diese Kooperativen sollten ökonomischer wirtschaften als die großen UCP‘s und sich durch ein demokratischeres Innenleben auszeichnen. Der Nachweis größerer ökonomischer Effizienz hätte durch den Wettbewerb verschiedener gleichberechtigter kooperativer Organisationsformen erbracht werden können; die von Cardoso initiierte Bewegung orientierte jedoch auf die Herauslösung gerade der besten Böden der existierenden UCP‘s, was diese wiederum in ihrer Leistungskraft beeinträchtigen musste und dem Agrarsektor, für den Produktionserfolge zugleich politische Erfolge darstellten, insgesamt schadete.80 Die Fragmentierung bestehender UCP‘s machte ab 1976 besonders im Distrikt Beja Fortschritte, wo unter Inanspruchnahme staatlicher Vorzugsbedingungen bis 1978 32 Kooperativen auf 25.600 ha (insgesamt gab es im Distrikt 240 Kooperativen) ihre größere Konkurrenzfähigkeit und Überlegenheit auf Kosten des Kollektivsektors demonstrieren konnten, da die ökonomischen Ungleichgewichte nun ungerecht verteilt waren.81
Auch die Betonung der Autonomie der neuen Kooperativen bekam fast ausschließlich den Sinn, sich gegenüber den verbleibenden „kommunistischen” Kollektivgütern abzugrenzen. Politisch waren sie als PS-initiierte Gebilde wohl kaum parteiunabhängiger als die UCP‘s. Ihre Eingliederung in den 1976 in Beja geschaffenen Verband MUC82, aus dem später die 42 Mitglieder zählende COLBA hervorging83, brachte zwar die Autonomie gegenüber den PCP-beeinflußten Strukturen der Arbeiterbewegung, nicht aber Unabhängigkeit von den der Agrarreform widerstrebenden Kräften, die Cardosos Politik nutzten, um die Bewegung zu spalten und zu schwächen:
„Im MUC – später in COLBA umgenannt – sammelten sich offensichtlich auch Kräfte, die der Agrarreform mehr oder weniger distanziert gegenüberstanden. So ist es sicherlich kein Zufall, dass gerade in der Führung von COLBA auch ehemalige Gutsverwalter leitende Funktionen innehaben, denen es auf einigen mit einer größeren Anzahl von ehemaligen ‚permanentes‘ arbeitenden ‚cooperativas‘ gelungen ist, Leitungspositionen beizubehalten und dabei mitzuwirken, die Integration in eine große UCP abzuwehren beziehungsweise rückgängig zu machen.”84 Ihnen waren teilweise „gute Kontakte zu den alten Besitzern nachgesagt”85 worden.
Die Begründer der sich frei, autonom und demokratisch nennenden Kooperativen nutzten „die Widersprüche, die aus der unterschiedlichen Herkunft der Arbeiter resultierten”86 ,um sich in der Latifundienzone organisatorisch und politisch stärker zu verankern.
Cardoso suchte die Auseinandersetzung mit der PCP nicht innerhalb der von ihr beeinflußten betrieblichen und organisatorischen Strukturen, sondern versuchte den Aufbau paralleler Organisationen. Trotzdem basierten auch sie auf der der Agrarreform zugrundeliegenden Konzeption, da sie ebenfalls die Übertragung der ökonomischen Macht auf Arbeiter und zum Teil auf Bauern voraussetzten.87
Dies entsprach Ende 1976 nicht mehr den Intentionen der in der Regierung den Ton angebenden Kräfte
Spätestens nach den Präsidentschaftswahlen vom 25. Juli 1976, aus denen Ramalho Eanes88 – Kandidat der Sozialisten, der PPD, des CDS und des CAP89 – als Sieger hervorgegangen war, zeigte sich, dass die Plattform als Kompromiss verschiedener gesellschaftlicher und politischer Kräfte nicht eine wirkliche Konsolidierung des Reformsektors, sondern einen „Prozess der Gegenreform”90 eingeleitet hatte. Innerhalb der aus sozialistisch-sozialdemokratisch orientierten Militärs des MFA und der alleinregierenden PS bestehenden politischen „Hegemonialkraft”91 begannen sich Vertreter einer Politik durchzusetzen, die sich im Widerspruch zu Cardosos „technokratisch-reformerischer Variante”92 der Landwirtschaftspolitik befand, innerhalb der PS aber bald mehrheitsfähig war.
Cardoso, für den es nur die Alternativen Kapitalismus oder Sozialismus gab, der bereits Ende 1975 in seiner Partei „einen schweren Kampf für die Fortführung der Agrarreform”93 auszutragen hatte und der die Arbeiter niemals hatte „verraten” wollen94, war im November 1976 isoliert und musste von seinem Amt zurücktreten.95 Sein Rücktritt bedeutete zugleich die Aufkündigung des die Handschrift Cardosos tragenden, in der Parteienplattform gefundenen Konsenses durch die PS und die rechts von ihr stehenden Kräfte.
Nur wenige Monate, nachdem unter Mitwirkung Cardosos das Personal der CRRA‘s und der IRA96 ganz oder teilweise ausgetauscht worden war97 und der mit der Agrarreform verbundene Zivilgouverneur von Beja, Brissos de Carvalho, sein Amt aufgegeben hatte98, verließ mit Cardoso auch der letzte „agrarreformfreundliche” Landwirtschaftsminister das MAP.
In einem Interview erläuterte Cardoso die Gründe, die ihn zum Rücktritt bewogen hatten. Mário Soares als Ministerpräsident der I. Konstitutionellen Regierung hatte ihm die Tatsache vorgeworfen, dass es ihm nicht gelungen war, „die Kontrolle der Kommunistischen Partei im Alentejo zu verhindern.”99
Cardosos Ansicht nach hatte es jedoch nur zwei Mittel gegeben, die Vorherrschaft der PCP im Alentejo zu verhindern: Entweder folgte man seiner Politik oder aber man schickte die Republikanische Nationalgarde (GNR).100
Die Übernahme des Landwirtschaftsministeriums durch António Barreto markierte eine Wende in der Agrarreformpolitik. Barreto wollte heran an das „Wesentliche”, das seiner Meinung nach 1976 nur „einmal mehr vertagt”101 worden war.
Seine Politik entwickelte sich nicht nur im Widerspruch zu den Bestrebungen der Landarbeiter und den Ideen fast der gesamten portugiesischen Linken, sondern eröffnete ein neues Konfliktfeld auf politisch-juristischer Ebene, da die Agrarreform seit April 1976 von der neuen portugiesischen Verfassung nicht nur geschützt, sondern verlangt wurde.
Zum Inhaltsverzeichnis des Buches.
[…] 4.1 Die Agrarreform und die Kleinbauern Teil XI 4.2 Die Parteienplattform 1976 Teil XII 4.3 Konkurrenz und Gegenmodell: Cardosos „freie Kooperativen“ Teil XIII 4.4 Die Agrarreform und die portugiesische Verfassung Teil […]