Wenn der US-Schwanz mit dem EU-Hund wedelt

Champagner her die Macht-Elite regiert Die EU-Kommission hat die US-Amerikanerin Fiona Scott Morton zur Chefökonomin der Brüsseler Generaldirektion Wettbewerb ernennen wollen. Damit wäre die Regulierung der digitalen Märkte einer mit Interessenskonflikten überladenen Lobbyistin der Big-Tech-Konzerne übertragen worden.

Am Wort bzw. am Ball Martin Sonneborn bundesdeutscher Abgeordneter im EU Parlament für DIE PARTEI

Morton war nicht nur für das us-amerikanische Justizministerium, sondern auch für mehrere US-Digitalkonzerne tätig (Apple, Amazon, Microsoft), deren Beratung ihr mehrere Millionen Dollar eingebracht hat.

Bevor die Personalie auf dem Treffen der EU-Kommissare zur Sprache kommen konnte, hat Fiona Scott Morton ihren Verzicht auf den Posten mitgeteilt. In Frankreich regte sich heftiger Widerstand gegen die US-Lobbyistin.

Aus politischen Gründen dokumentiert der UHUDLA die Ereignisse rund um die gescheiterte Postenvergabe

Wenn Sie sich im Februar 2022 darüber gewundert haben, dass die US-amerikanische Greenpeace-Aktivistin Jennifer Morgan von der transatlantischen Tröte Annalena Baerbock zur Staatssekretärin im Auswärtigen Amt gemacht wurde, dann war das noch gar nichts gegen die Idee, der die EU-Kommission Gestalt verliehen wollte. In einem klammheimlichen und nur in Bruchteilen ordnungsgemäßen Ausschreibungsverfahren hat die Kommission für einen ihrer wichtigsten Regulierungsposten die US-Amerikanerin und Big-Tech-Lobbyistin Fiona Scott Morton rekrutiert. Zum 1. September 2023 sollte sie Chefökonomin für Wettbewerbsfragen der DG Comp werden, eine der wichtigsten Positionen in einer der mächtigsten Generaldirektionen der Europäischen Kommission.

Fiona Scott Morton ist, wie wir der von plakativem Progressismus getragenen Pressemitteilung entnehmen, nicht nur eine Frau, sondern auch die erste Frau auf diesem Posten. Champagner stellen wir für diese Nachricht trotzdem nicht kalt. Denn der tatsächlich vermeldenswerte Nachrichtgehalt ist natürlich weniger in der Geschlechts- als in der Staatszugehörigkeit zu finden.
In der Tat wäre Morton in Nachfolge des Belgiers Pierre Régibeau sicher nicht als erste Frau, sondern vor allem als erste an einer der sensibelsten Schaltstellen der EU offiziell eingesetzte Staatsbürgerin der USA in die Geschichte der Institutionen eingegangen. Und das, obwohl für diese Position und Verantwortungsebene (üblicherweise) die Staatsangehörigkeit eines der EU-Mitgliedsstaaten erforderlich ist.

Es gehört zu den nicht weiter erwähnenswerten Selbstverständlichkeiten des EU-Apparats, dass seine Beamten einem der 27 Mitgliedsstaaten entstammen. Die einzige (größere) Ausnahme von dieser Regel ergab sich durch den Brexit, in dessen Folge die Kommission ihren derzeit 464 britischen Bediensteten (1,5%), von denen allerdings keiner an strategischer Position plaziert ist, die weitere Funktionsausübung gestattete. Von den derzeit 30.094 (internen) EU-Beamten sind ganze 59 Nicht-EU-Bürger, das sind 0,2 Prozent. Einige von diesen sind Norweger, einige besitzen eine zweite EU-Staatsbürgerschaft, die meisten fungieren als Berater (oft im IT-Bereich), keiner ist mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen ausgestattet.Für das Auswahl- und Einstellungsverfahren der Europäischen Kommission gilt für Hohe Beamte die folgende Vorschrift („Senior Officials Policy“):

„Bei der Einstellung von Beamten sollen Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten ausgewählt werden.“

Dass es unter den 450 Millionen zur Auswahl stehenden EU-Bürgern, einige davon mit ausgefuchstem Fachwissen (Candy Crush, Level 1789), keinen Tinder-Match gegeben haben soll, das, mit Verlaub, glauben wir der Kommission einfach nicht. Bei ausnahmslos allen bisherigen Ausschreibungen zum „Chief Competition Economist“, auch bei der letzten von 2018 (COM/2018/10383), war die EU-Staatsbürgerschaft als allererste Zulassungsvoraussetzung vermerkt. Im diesjährigen (im Februar eröffneten) Verfahren (COM/2023/10427) ist sie – bei nahezu wortgleicher Übernahme aller anderen Textbausteine – wie durch Zauberhand verschwunden.

Es könnte der Verdacht entstehen, so mehrere NGOs um Lobby Control schon im Mai, dass dieses Einstellungsverfahren speziell darauf zugeschnitten wurde, eine ganz bestimmte Bewerberin aus dem Nicht-EU-Raum zu begünstigen. Wir möchten höflich widersprechen, denn der Sachverhalt geht über den reinen Verdacht natürlich längst hinaus. Nicht genug, dass Morton ihre Kollegen an der Yale University bereits im April über ihre Berufung in die EU-Verwaltung informierte – einer ihrer Kollegen gratulierte ihr mit einem (inzwischen gelöschten) Tweet sogar auf Twitter. Mit Bezug auf ungenannte „Quellen“ vermelden auch Bloomberg und die Financial Times die anstehende Stellenbesetzung schon Anfang April

Dass die Personalie einschließlich der Hintergründe ihres Zustandekommens nun öffentlich geworden sind, kann man nur auf großes Pech und unsäglichen Dilettantismus zurückführen, denn die Kommissionsleitung hat sich wirklich nach Kräften um Diskretion und Tatsachenverschleierung bemüht. Niemand scheint im Vorfeld von dieser ungewöhnlichen Personalentscheidung überhaupt in Kenntnis gesetzt worden zu sein – von Morton und der US-amerikanischen Fachpresse einmal abgesehen. Nicht die europäische Öffentlichkeit, noch nicht einmal die EU-Kommissare. Kommissionsintern wurde das Thema zu keinem Zeitpunkt auch nur besprochen, „obwohl es zweifellos eine politische Diskussion verdient hätte“ (Le Monde).

Mit einer Absicht, die man nur unter lebensbedrohlicher Gehirnverknotung für gutartig halten kann, wurden die Kommissare, deren Zustimmung für die Einstellung formal erforderlich war, schlicht und ergreifend hereingelegt. In den Unterlagen zum letzten Treffen des Kollegiums am 11. Juli war die Neubesetzung (wohlweislich) im Anhang eines am Vortag per Email übersandten Dokumentenstapels versteckt, am Ende langer Litaneien zu anderen Themen und einer Reihe anderer, völlig unspektakulärer Neubesetzungen.

Das ganze Postenschacher-Theater wirkt wie ein verunglückter Täuschungsversuch des Kinderkanals im Fernsehen

Auch auf der Kommissionswebseite, so berichten es französische Journalisten, konnte man die brisante Nachricht nur durch Zufall und auch dann nur mit guter Lesebrille, weil im Kleingedruckten finden. Im von der Kommission veröffentlichten Lebenslauf der EU-Novizin erstrecken sich die akademischen Veröffentlichungen über mehrere Seiten, während ihre Beratungsaufträge gar nicht näher erläutert werden. Erst in den letzten Zeilen des Abschnitts über Morton erfährt man überhaupt, dass sie Unternehmen (entweder direkt oder über Beratungsfirmen) beraten hat – und zwar für beträchtliche Summen: 1 bis 2 Millionen US-Dollar pro Fall. Die Kommission nennt Apple und Microsoft, während sie Amazon, Pfizer und Sanofi wiederum glatt unterschlägt.

Neben der höchstgradig ungewöhnlichen und wegen des Pro-forma-Charakters ihrer Ausschreibung sogar nachweislich (und grob) fehlerhaften Vergabe steht natürlich noch der Eindruck, den die Kommission durch die Besetzung dieser gewichtigen Verwaltungsstelle erzeugt. In einer Zeit, in der die EU nicht nur eine mit dem ihr ursprünglich zugedachten Auftrag keineswegs mehr konkordante Anbindung an ein unter Führung der USA stehendes Militärbündnis betreibt, sondern von europäischen Staatschefs (Macron) und Denkfabriken (European Council on Foreign Relations) gleichermaßen unverhohlen des (immanenten) US-„Vasallentums“ bezichtigt wird, müssen in der Kommission vonderLeyen wirklich begnadete Genies strategischer Kommunikation am Werke sein, wenn sie – erneut – ein derart vielsagendes Beweisstück für ihren mangelnden Ehrgeiz zur Erlangung strategischer Autonomie vorlegen.

Wahrscheinlich weiss die Kommission schlicht, was wir seit den Enthüllungen von Edward Snowden sowieso alle wissen, nämlich dass die US-amerikanischen Geheimdienste sich ohnehin routinemäßig die (völkerrechtswidrige) Freiheit nehmen, alle politischen, bürokratischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger in der EU rund um die Uhr abzuhören, planmäßig auszuforschen und nach Strich und Faden zu bespitzeln.

Da macht eine US-Amerikanerin in der Generaldirektion der EU-Kommission keinen Unterschied mehr

Is eh wurscht, in einer Zeit, in der die EU sich (in Nachahmung von US-Praktiken) um die Stillegung sogenannter Desinformation bemüht (ein übrigens höchst fahrlässig aus den Wahrnehmungswelten der Geheimdienste in die Denkstrukturen des Politischen eingelassener Begriff) sowie um die Bekämpfung drittstaatlicher Einfußnahmen, ist ein Akteur allmählich beim allerallerbesten Willen nicht mehr zu übersehen, den die EU dennoch absichtlich, systematisch und unter Vortäuschung einer nachgerade ohrfeigenwürdigen Naivität wieder, wieder, wieder und wieder übersieht.

Der Elefant im Raum ist natürlich der Welt elefantöseste Trampeltruppe. Sie nennt sich USA, die Vereinigten Staaten von Amerika. „Frankreich weiß es nicht, aber wir befinden uns im Krieg mit Amerika. Ein permanenter Krieg, ein lebenswichtiger Krieg, ein Wirtschaftskrieg, ein Krieg ohne Tote (…) und doch ein Krieg auf Leben und Tod“, soll François Mitterrand seinem späteren Biographen nach 14 Jahren im Amt zum Ende seiner letzten Präsidentschaft anvertraut haben.

Das Department of Justice, für das Fiona Scott Morton knapp zwei Jahre gearbeitet hat, steht am Ausgangspunkt eben dieser illegalen Praxis: Extraterritoriale Sanktionen, die unter eindeutiger Verletzung des geltenden Regelwerks der WTO („rules-based order“ LOL!) den (nicht weniger illegalen) Versuch einer internationalen Geltendmachung US-nationalen Rechts zum Inhalt haben. In den letzten zehn Jahren sollen die USA auf diesem Wege geschätzte 50 bis 60 Milliarden von europäischen Unternehmen erbeutet haben.

Es ist in seiner verheerenden Bedeutung für Rechtsstaatlichkeits- und Selbstverständnis der EU kaum zu unterschätzen, dass die Kommission vonderLeyen mit der Einführung von Sekundärsanktionen im 11. Sanktionspaket nun eine US-Schulhofschlägerpraxis übernimmt, die sie ausweislich unzähliger eigener Rechtsgutachten selbst als eindeutig illegal einstuft. Schicht um Schicht legt die Kommission damit ihre eigene Quintessenz frei: die erschütternde Inhaltsleere des ethischen Fundaments, auf das sie sich in den immer brüchigeren Argumentationslinien ihrer aufgeblasenen PR-Phrasen noch immer seelenruhig zu berufen wagt.

Die US-amerikanische Wirtschaft generiert ihre Profitmargen zulasten ihrer militärischen und politischen Verbündeten

Während die USA 1990 noch 40% des BIP der G7-Staaten ausmachten, ist dieser Anteil im Jahr 2022 auf 58% (des BIP der G7-Staaten) gestiegen. (Das Pro-Kopf-BIP lag in den USA 1990 noch 14% höher als in der EU, mittlerweile ist dieser Wert auf 30% gestiegen.) Während die Wirtschaft der EU im Jahr 2008 (inkl. GB) noch größer war als die der USA (16,2 Billionen Dollar gegenüber 14,7 Billionen Dollar), hat sich dieses Verhältnis längst uneinholbar umgekehrt. (2022 haben die USA beide (EU + GB) um ein Drittel überflügelt (25 Billionen gegenüber 19,8 Billionen) -) die US-Wirtschaft ist mittlerweile mehr als doppelt so groß wie die der EU (ohne GB).

Die Treiber dieser Entwicklung sind zahllos und werden durch die EU nicht eingehegt, sondern zusätzlich befördert: Von EU-weit vervielfachten Militärausgaben, die überproportional dem militärisch-industriellen Komplex der USA zugute kommen, über EU-weit angestiegene Ausgaben für den chemisch-pharmazeutischen Komplex, für den dasselbe gilt, bis hin zur finanziellen Beteiligung am Wiederaufbau der zerstörten Ukraine, orchestriert von den US-Riesen Blackrock und JP Morgan, die den Weg für einen vollständigen Verkauf der wichtigsten Sektoren der ukrainischen Wirtschaft ebnen werden: Lt. Oakland-Institut sind von 40 Millionen Hektar ukrainischen Bodens bereits knapp 30 Prozent in den Besitz von multinationalen Agrarriesen übergegangen.

Während die EU den wettbewerbsverzerrenden US-Protektionismen, zuletzt in Gestalt des IRA, nichts wahrhaft Wirksames entgegenzusetzen weiß, erzeugt sie durch eine amateurhaft implementierte Verschuldungspolitik EU-weit ansteigende Zinsbelastungen (derzeit um 3%), verursacht durch Aufbaufonds, Subventionsprogramme und v.a. die zeitverzögerte Aufnahme der hierfür vorgesehenen Gelder. Hinzu kommt die großformatige Umstellung von preisgünstigem russischem Gas auf das zuverlässig umweltvernichtende („Green Deal“!), um ein Vielfaches teurere US-Frackinggas,

Donald Trump wollte den Europäern unter dem Billig-Slogan „Freedom Gas“ anzudrehen, damals noch vergeblich

Die suizidale Schwächung des Standorts, die diese EU-weit konzertierten Maßnahmen nach sich zogen, sollte den Eliteschulabsolventen in der EU-Kommission ebensowenig entgangen sein wie jene gefürchtete Deindustrialisierung, die in der massiven Abwanderung von Unternehmen, Industrieproduktion und Investitionen (v.a. in die USA) sichtbar wird.

Zu guter Letzt geht es nun also um diesen riesigen, stetig wachsenden Digitalmarkt, der in jeder Sparte zufälligerweise von US-amerikanischen Akteuren dominiert wird, denen die EU clevererweise auch noch legale Steueroasen zur Verfügung stellt. Trotz all ihrer angeberischen Zehnjahrespläne, deren einziger Zweck offenbar darin bestand, höherwertiges Hochglanzpapier unbrauchbar zu machen, ist es der Kommission – im Unterschied zu China – noch nicht einmal im Ansatz gelungen, den US-Digitalgiganten EU-eigene Korrelate gegenüberzustellen. Dass sie die Regulierung dieses Zukunftsmarktes nun ausgerechnet einer US-Amerikanerin mit vergangenen und bestehenden Beziehungen in die US-Administration überträgt, ist schon für sich genommen ein Skandal.

Es wäre doch allmählich an der Zeit, dass die EU sich – unter Ausblendung ihrer mitunter erschütternd weltfremden Ideologien – jenen (untergründigen) Beeinflussungsstrukturen widmete, denen sie tatsächlich gegenübersteht, um ihren „Kampf“ gegen fremde „Einflussnahme“ endlich auf reale Bedrohungen zu richten – für Wirtschaft, Gesellschaft und Frieden in der EU -, statt der obsessiven Verfolgung von imaginären nachzugehen.

Aber zurück zur Personalpolitik. Lässt man die heikle Frage der Nationalität nämlich einmal beiseite, entpuppt sich die verhinderte Ernennung von Fiona Scott Morton wegen ihrer Verbindungen zum US-Justizministerium als nicht minder problematisch. Und nimmt man (wohlwollend) gar beides aus dem Blick – Nationalität und Department of Justice -, entfaltet sich ein Netz aus schweren Interessenskonflikten und schieren Abstrusitäten, das es schon für sich genommen in sich hat.

Es kommt wohl nicht von ungefähr, wenn die Kommission bei ihrer zur Schau gestellten Begeisterung über den exquisiten Neuzugang („Expertin“) zu präzisieren vergisst, worin die hinzugewonnene Expertise in ihrem (eigentlichen) Kern besteht. In der Tat war Morton während der Präsidentschaft von Barack Obama nicht nur als Kartellwirtschaftsexpertin im US-Justizministerium angestellt – seit 2006 zählt sie (neben ihrer aktuellen Lehrtätigkeit an der Yale University) zudem zum festen Mitarbeiterstamm der Bostoner Beratungsklitsche Charles River Associates CRA, die v.a. für ihre mit tendenziösen „wissenschaftlichen“ Studien untermauerte Lobbyarbeit für die fossile Brennstoffindustrie bekannt geworden ist.

Dieselbe Expertin, die gerade erst den Ausbau der Monopolbildung des Giganten Microsoft erstritten hat

Sie sollte als oberste Wettbewerbsökonomin der EU-Kommission nun also den Digital Markets Act umsetzen – und denselben Großunternehmen regulierend gegenübertreten, denen sie noch bis vor fünf Minuten zur Steigerung ihrer Marktmacht verholfen hat. Wie es mit dem Code of Conduct der EU-Verwaltung in Übereinstimmung zu bringen sein soll, dass eine ehemalige Akteurin der US-Regierung für die EU einen von US-Unternehmen dominierten Markt regulieren soll, von denen sie mit den meisten durch vergangene Beratungstätigkeiten zudem aufs Engste verbunden ist, ist wirklich schleierhaft.

Nachdem EU Kommissionschefin Frau vonderLeyen sich schon als Verteidigungsministerin ihren Namen hauptsächlich damit gemacht hatte, irgendwas mit „Modernisierung“ in die Hände des US-Beratungsriesen McKinsey zu legen, wurde kurz nach ihrem Amtsantritt in Brüssel dem US-Vermögensverwaltungsriesen BlackRock ein „Green Deal“-Beratungsauftrag für die „nachhaltige“ Gestaltung des europäischen Bankensektors übertragen, was es dem größten Investmentfonds der Welt ermöglichte, seinen – in der geschätzten Größenordnung von 30 Mio. Euro jährlich angesiedelten – EU-Lobbyismus nicht nur mit offiziellem Mandat zu institutionalisieren, sondern von der EU auch noch für etwas bezahlt zu werden, das ihn zuvor Geld gekostet hatte. In der Coronakrise maßten vonderLeyen und ihr Diensthandy sich mutmaßlich Vorverhandlung und Eckdatenvereinbarung des Milliardengeschäfts mit dem CEO des US-Pharmariesen Pfizer an, und (spätestens) mit dem Beginn des Ukrainekrieges hat das Büro der Kommissionspräsidentin zum Weißen Haus ganz offen das gelegt, was man vor Zeiten eine Standleitung nannte – zur Koordinierung des gemeinsamen Wirtschaftskriegs (gegen Russland und China). Und mit vonderLeyens Kabinettschef Björn Seibert als transatlantischem Verbindungsmann.

Dass die Kommission vonderLeyen nun eine (ausgewiesene) Lobbyistin us-amerikanischer Interessen offen im EU-eigenen Verwaltungsapparat installiert, sollte jeden, dem die EU einmal am Herzen lag, wirklich alarmieren.

Die EU machet sich nicht mehr die Mühe, ihren wahren Charakter als US-Filiale zu verbergen

Frau vonderLeyen könne sich doch viel Arbeit sparen, wenn sie die EU schlicht als 51. Bundesstaat der USA eintrüge, heißt es in Frankreich im Land nebenan. Marine Le Pen erkennt in der Personalie den Beweis, „dass dieses Europa überhaupt nicht mehr europäisch ist“ und auch nicht „im Dienste der Interessen der Völker und Nationen Europas arbeitet“, Jean-Luc Mélenchon sieht den „Untergang der sogenannten europäischen Souveränität“ und die „Annexion unseres Kontinents durch die Nordamerikaner“ besiegelt.

Und während in Frankreich drei Regierungsvertreter – von der Staatssekretärin für EU-Angelegenheiten Laurence Boone über Digitalminister Jean-Noël Barrot bis hin zu Europaministerin Catherine Colonna – umgehend protestierten und die Kommission zur „Prüfung“ der Personalentscheidung aufforderten, war von der deutschen Ampel nicht das Geringste zu vernehmen.

Während die Personalie Fiona Scott Morton in Frankreich in ganz großem Stil debattiert wurde – Zeitungen, TV-Runden, Wissenschaftler, ehemalige EU-Beamte, Oppositions- und Regierungspolitiker, Minister bis hin zum Staatspräsidenten – hatte die deutsche Presse ihren Standpunkt mal wieder von der Presseerklärung der Kommission abgepaust: normal, Expertin, bitte gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen.
Deutsche Journalisten könnten mit Ihrem Heinrich Mannschen Welt- und Institutionenbild, in dem jede (noch so berechtigte) Kritik an den USA wie eine Gotteslästerung und jede (noch so berechtigte) Kritik an der EU-Kommission wie Majestätsbeleidigung behandelt wird, ganze Bibliotheksregale von „Lustigen Taschenbüchern“ füllen. Es obläge ihnen stattdessen, die Kommission wegen formal fehlerhafter Entscheidungen und mangelnder Vertretung europäischer Interessen zur Ordnung zu rufen.

Ein paar Kilometer weiter südlich hat Macron die Personalentscheidung nicht nur als „zweifelhaft“ und „bedenklich“ eingestuft, sondern auch seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, dass es doch kaum so lausig um Europas Akademiker stehen könne, dass man eine US-Amerikanerin rekrutieren müsse. Er unterstütze nicht nur das Prinzip der strategischen Autonomie, das die Autonomie des Denkens einschließe, sondern auch das der Reziprozität, stelle allerdings fest, dass es einem Europäer per Gesetz untersagt sei, einen derart wichtigen Verwaltungsposten in den USA oder China zu übernehmen.

Bevor die Personalie auf dem Treffen der Kommissare zur Sprache kam, hat Scott Morton auf den Posten verzichtet

Und sicher ist auch, dass an dieser Stellenbesetzung – nun erstmals auch für Blinde – eine strukturelle Problematik sichtbar wird, die ihrerseits in die tiefsten Tiefen der EU-Institutionen und all ihrer Maschinenräume verweist. Die Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft und Politik, Staatlichkeit, Staatsähnlichkeit und Lobbyismus, europäischer Souveränität und dem, was europäische Denkpanzer als „US-Vasallentum“ bezeichnen, mag ein grundsätzliches (und EU-unspezifisches) Merkmal der postdemokratischen Verfasstheit unserer politischen Systeme sein. Seine Durchschlagsfähigkeit auf die strukturgebenden Strategien der europäischen Institutionen war dennoch niemals größer (und schwerwiegender) als unter Ursula vonderLeyen.

Was auch immer die EU-Kommission dieser Tage berührt, scheint zu einem unappetitlichen Amalgam zu verklumpen (würg!): Nicht mehr nur Wirtschaft und Politik, sondern auch organisierter, unorganisierter und institutionalisierter Lobbyismus, überbezahlter Beratungsquatsch, mittelstandsvernichtende Überregulierung, Informationskontrolle und Massenüberwachung, halblegale Milliardendeals, die Übernahme illegaler Wirtschaftspraktiken, die Konversion der EU zur „Kriegswirtschaft“, die Missachtung von Verwaltungsvorschriften und Bürgerinteressen, das ganz große Vertragsbusiness und die verwinkelten Spielzüge EU-fremder Akteure. Unter einer Kommissionspräsidentin, die schulterzuckend Transparenz-, Verfahrens- und Rechenschaftspflichten verletzt, SMS löscht, jede Auskunft verweigert und damit unbehelligt gegen europäisches Recht verstösst, nimmt es kaum wunder, dass eine solchermaßen deformierte Kommission, oberste Hüterin der Verträge, sich mit einer Nonchalance über geltende Regelwerke und Interessensvertretungspflichten hinwegsetzt, als beträfen sie sie nicht.

Und Frau vonderLeyen möchten wir – in Aufnahme einer alten Tradition aus dem deutschen Kalten Krieg – ein herzliches „Dann geh doch rüber!“ hinterherschicken – in ihrem Fall dann nur über die Strasse, zwei Ecken weiter – zum hässlichen Brüsseler Hauptversteck der NATO.
Champagner, bitte.

Martin Hans Sonneborn ist ein deutscher Satiriker, Journalist und Politiker. Bei der Europawahl 2014 wurde er als Spitzenkandidat der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die PARTEI), deren Bundesvorsitzender er ist, zum Mitglied des Europäischen Parlaments gewählt und zog 2019 erneut ins EU-Parlament ein. 

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