
50 Jahre Nelkenrevolution ■ Die UHUDLA edition und LDFL startet eine „Jubiläumsartikel” Serie und ein wissenschaftlich, historisches Buchprpojekt über „Die Auseinandersetzungen um die portugiesische Agrarreform 1976 bis 1985. Zur Restaurierung vorrevolutionärer Macht- und Eigentumsverhältnisse am Beispiel der Kooperativen der Agrarreformzone”. Teil XXIV.
Von Martin Leo
7.2 Die radikale Dezimierung des Agrarreformsektors unter Sá Carneiro und der Übergang zu „gemäßigter” Reprivatisierung
Der Grundsatz, den AD-Landwirtschaftsminister Cardoso e Cunha und sein Staatssekretär João Goulão nach eigenem Bekunden befolgten, lautete: „Wir übergeben den Boden dem, der ihn immer hatte.”32
In den ersten fünf Monaten des Jahres 1980 wurden allein im Distrikt Évora 35.000 ha bester Böden reprivatisiert. Dort wurden dreizehn Latifundien zwischen 1.077 ha und 2.759 ha Größe wiederhergestellt.33 Rosa nennt insgesamt 25 Latifundien zwischen 3.374 ha und 5.300 ha, die bis zum 31. 8. 1980 restauriert worden waren.34 Die V. Agrarreformkonferenz vom Mai 1981 führte 32 Fälle illegaler Reserveübergaben auf, die das MAP zwischen dem 15. 4. 1980 und dem 5. 8. 1980 veranlasst hatte.35
Allein im ersten Regierungsjahr der „AD” genannten Rechtskoalition verlor der Kollektivsektor 324.000 ha Boden an die alten Agrarier; in den Jahren zuvor waren insgesamt 245.000 ha (ca. 20% des UCP-Lands) Vorbehaltsflächen reprivatisiert worden. Waren bis zum Antritt Sá Carneiros schon 51 UCP‘s zerstört worden, folgten nun weitere 60. 135.000 Stück Vieh und 7.010 Maschinen wurden den UCP‘s genommen und den „reservatários“ übergeben.36
Hatte nach „decreto-lei” 81/78 vom 29. 4. 1978 der „reservatário” nur das Recht auf Vieh und Maschinen, „die im betreffenden Betrieb direkt genutzt wurden” und die den Proportionen entsprachen zwischen „dem Gesamtgebiet und der Reserve”37, so wurde den UCP‘s in der Praxis häufig das gesamte Inventar genommen, einschließlich des Viehs und der Maschinen, die die Landarbeiter selbst angeschafft hatten.38
Mit Unterdrückung und Einschüchterung der Bevölkerung kehrte die überwunden geglaubte portugiesische Vergangenheit in die Dörfer des Alentejo zurück. Die „Guarda” benahm sich wieder so, „als wäre sie auf feindlichem Gebiet.”39 Nicht selten wurden Arbeiter von angetrunkenen GNR-Offizieren bei der Reservenübergabe bedroht und verprügelt.40
Die Funktionäre des MAP, die die Übergaben organisierten, erhielten für ihre Arbeit monatliche Risikozulagen in Höhe von 5.000 Escudos.41 Dafür setzten sie auch Landübergaben durch, die vom Gesetz nicht gedeckt waren. Es kam sogar vor, dass Druck auf „reservatários” ausgeübt wurde, wenn sie die Annahme von Reserven verweigerten, die ohne entsprechende Verfügungen des MAP markiert worden waren.42 Manchmal wurden die UCP‘s erst durch Telegramme von einer bevorstehenden Reserveneintragung informiert, manchmal gar nicht und gelegentlich erst hinterher.43
In der Regel erhielten alle Familienmitglieder der „reservatários” eigenes Vorbehaltsland auch dann, wenn sie stets nur einen gemeinsamen Betrieb bewirtschaftet hatten.44 Die Abtrennung einer 70.000-Punktereserve war die Ausnahme, meistens gab es dreißigprozentige Zuschläge.45
Die korrekte Anwendung des „lei-Barreto” war immer weniger eine Rechtsfrage und immer mehr eine Machtfrage geworden: Bis Ende 1980 gab es 30 Urteile des Obersten Verwaltungsgerichts Portugals (STA) zugunsten der UCP‘s, die von den amtierenden Regierungen jedoch alle ignoriert wurden.46 Diese auch später fortgesetzte Mißachtung der Rechtsprechung der höchsten nationalen Gerichte durch Regierungsstellen war für Westeuropa wohl einzigartig; hier lag der Beginn einer bis heute anhaltenden „’institutioneilen Konfrontation‘ zwischen den Verfassungsorganen Exekutive und Judikative.”47
Ursache des Konflikts war, dass die portugiesische Wirklichkeit nicht nur die Verfassung weit hinter sich gelassen, sondern inzwischen selbst das „lei-Barreto” rechts überholt hatte. Die seit November 1975 auf Defensivpositionen stehende, in PS, PCP und kleineren Parteien organisierte Linke hatte ihre Ansprüche daher auf die Einhaltung dieses von ihr bekämpften Gesetzes reduzieren müssen, während die offensive Rechte Gesetze und institutionellen Rahmen des Regimes weiter zu ändern beabsichtigte (Verfassungsrevision, Abschaffung des Revolutionsrats, Ablösung des Präsidenten durch den rechtsextremen Soares Carneiro usw.).48
Die Politik der „AD” geriet jedoch in eine Krise, nachdem ihrem Sieg bei den Parlamentswahlen vom 5. Oktober 1980 (AD:47,6%) eine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen vom 7. 12. 1980 gefolgt war. Die Wiederwahl von Ramalho Eanes, die von liberalen, auf fortschrittliche bürgerliche Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vertrauenden Kräften im Bündnis mit der Linken (PS-Mehrheit und PCP) durchgesetzt worden war49, nahm der restaurativen Wendepolitik Sá Carneiros im Alentejo den Schwung.
Die II. AD-Regierung (8. 1. 1981 bis 3. 9. 1981) übernahm nach dem Unfalltod Sá Carneiros (5. 12. 1980} Francisco Pinto Balsemão, PSD-Mitbegründer und wie sein Vorgänger einst Mitglied der faschistischen Nationalversammlung; ein Mann, der nach Vester eher dem „pluralistischen Kurs”50 zuneigte.
Der Kollektivsektor wurde zwar bis einschließlich 1982 um weitere 62.300 ha dezimiert51, das Tempo der Landrückgabe war damit dennoch erheblich gedrosselt worden. Die Kollektivgüterfläche fand sich 1982 etwa halbiert. Nach Auffassung Vesters hielten die Herrschenden in Portugal massive Reprivatisierungen nicht mehr für zweckmäßig.52 Was die Offensive überlebt hatte, ließ sich ohne Anwendung von Gewallt auch ökonomisch „strangulieren”.53
Nachdem die AD bereits 1980 den CAE vollständig abgeschafft und durch einen nur bei Bankinstituten erhältlichen sogenannten Erntekredit ersetzt hatte, der mehr Garantien verlangte und mit größerem bürokratischen Aufwand verbunden war54, erzwang die III. AD-Regierung (4. 9. 1981 – 23. 12. 1982) nun durch „decreto-lei“ 272/81 die Rückzahlung von CAE-Krediten durch die Androhung und Durchführung von Pfändungen.55 Danach noch immer existierende Betriebe wurden von Landwirtschaftsminister Basílio Horta (CDS) gezwungen, offizielle Anfragen des MAP zu ihrer ökonomischen Lage zu beantworten. Betriebe, die das MAP im Anschluss daran als nicht existenzfähig betrachtete, wurden öffentlich versteigert. Die Mitarbeit der UCP‘s bei der Analyse der Umfrageergebnisse wurde abgelehnt, die Nichtbeantwortung mit Entzug des Bodennutzungsrechts geahndet.56
Von den 550 UCP/CA‘s des Jahres 1975 erlebten nur 362 das Jahr 1983.57
Das „decreto-lei” 189-C/81 degradierte die Kooperanten zu Lohnarbeitern des Staates, denn von nun an durften sie den Kork nur noch schälen und stapeln. Lohnzahlungen wurden vom Staat nicht garantiert, und es waren dafür auch keine Fristen festgesetzt worden.58
Zum Inhaltsverzeichnis des Buches.
[…] bis 1985 7.1 Die Reprivatisierungswellen bis zum Antritt der Regierung Sá Carneiro Teil XXIII 7.2 Die radikale Dezimierung des Agrarreformsektors unter Sá Carneiro und der Übergang zu „gemäßig… Teil XXIV 7.3 Die Agrarreform in der Verfassung von 1982 Teil XXV 7.4 Agrarreformpolitik des […]