
50 Jahre Nelkenrevolution ■ Die UHUDLA edition und LDFL startet eine „Jubiläumsartikel“ Serie und ein wissenschaftlich, historisches Buchprpojekt über „Die Auseinandersetzungen um die portugiesische Agrarreform 1976 bis 1985. Zur Restaurierung vorrevolutionärer Macht- und Eigentumsverhältnisse am Beispiel der Kooperativen der Agrarreformzone“. Teil XXI und Teil XXII.
Von Martin Leo
6.3 Die Perspektiven der Agrarreform unter dem „lei-Barreto”.
Regierungsstellen erwarteten eine Reduzierung des Agrarreformsektors als Folge der Abtrennung von Vorbehaltsflächen um etwa 350.000 ha (31,8%).99 Nach Balabanian war mit einem Verlust von fünfzig Prozent des Bodens zu rechnen.100 Der Wahrheit am nächsten kamen jedoch die Kooperativen selbst, die 1978 einen Verlust von insgesamt 900.000 ha prognostizierten.101
Was Barreto dem Land versprochen hatte, war eine kapitalintensive Nutzungsweise des dem Privatsektor zurückerstatteten Bodens. Unmittelbares Ergebnis der Anwendung seines Gesetzes war aber zunächst nur die Wiedereinsetzung der alten Agrarier in einen Teil ihrer Macht. Es war zu bezweifeln , ob von den ehemaligen Latifundisten ein dynamisches, unternehmerisches, marktorientiertes kapitalistisches Verhalten zu erwarten war. Nach Pereira, der den Kollektivsektor ähnlich beurteilt wie Barreto, hatte das „lei 77/77” eine „entscheidende Schwäche”: Es schlug „eine Transformation vor, für die es keine historischen Träger”102 gab.
Die Chancen der kapitalistischen Agrarreform Barretos wurden nicht zuletzt auch dadurch gemindert, dass sein Projekt finanzielle Mittel verlangte, die der Landwirtschaft jedoch nicht zur Verfügung gestellt wurden. Wie die ehemalige Staatssekretärin im Planungsministerium, Manuela Silva, einschätzte, hatte es der PS insgesamt an einer längerfristigen Konzeption gefehlt, die portugiesischen Strukturprobleme zu lösen.103
„Was dann noch blieb, war der politisch, nicht ökonomisch motivierte Angriff auf die soziale Basis des PCP, unter Opferung volkswirtschaftlich sinnvoller Strukturen.”104
Das Barreto-Gesetz stellte für mehr als elf Jahre die Basis dar, auf der bürgerliche und sozialistische Regierungen die Auseinandersetzung mit der Agrarreform führten.
Wenn es auch kooperative, relativ friedliche Umgangsformen mit dem Kollektivsektor nicht völlig ausschloss, so stellte es doch vor allem das für eine Politik des ökonomischen Drucks und der Gewalt-anwendung notwendige Instrumentarium zur Verfügung. Es war weitgehend abhängig von Willen und Stärke der politischen Macht, welches der „Gesichter“ des „lei-Barreto“ die Kooperanten zu sehen bekamen. Aber es enthielt in sich alle Mechanismen, die notwendig waren, den Kollektivsektor gegebenenfalls vollständig zu beseitigen.
In den sechzehn Monaten, die die 1. Regierung Soares währte, wurden dem Kollektivsektor insgesamt 46.000 ha Vorbehaltsland genommen; monatlich gingen 2.875 ha verloren. In den sieben Monaten, in denen PS und CDS gemeinsam regierten (23.1.1978-28.7.1978), lag die monatliche Verlustrate bei 2.571 Hektar.105
Die Auseinandersetzung um die Reserven war dem Wesen nach ein Kampf um das Eigentum an Boden und die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel. Da sich das Ausmaß der Bodenabtrennungen und die Art und Weise der Gesetzesanwendung kaum kalkulieren ließen, entstand ein für Produktionsfortschritte schlechtes, angespanntes soziales Klima im Alentejo. Von nun an mussten die Kooperativen unter Bedingungen wirtschaften, die die Existenz ihrer Betriebe und ihre Investitionen gefährdeten und die Zukunftsperspektiven unsicher erscheinen ließen.
UCP‘s, die eine Reserve abzugeben hatten, bekamen eine amtliche Benachrichtigung, gegen die sie innerhalb von drei Tagen Widerspruch einlegen konnten. Danach erschienen Leute der „Guarda“ (GNR) und Mitarbeiter der CRRA, um das Vorbehaltsland gemein-sam mit dem „reservatário“ auszuwählen.106
„Die Rückgaben wurden in der Regel mit Polizeigewalt durchgesetzt. Nachweislich ist es häufig zur gewaltsamen Durchsetzung rechtlich fragwürdiger bis rechtswidriger Erlasse gekommen…”107
6.4 Das Entschädigungsgesetz vom August 1977
So unpräzise die offiziellen Angaben über den tatsächlich zu erwartenden Umfang des den Kooperativen drohenden Landverlusts waren, so ungenau waren auch die Prognosen über die Höhe des Geldbetrags, der dem im August 1977 von PS und PSD angenommenen Entschädigungsgesetz („lei 80/77”) zufolge den Agrariern und Unternehmern zustehen sollte. Der Gesamtbetrag wurde auf 100-150 Millionen Contos geschätzt, davon waren mindestens 20 Millionen Contos für Grundbesitzer bestimmt.108
Die Berechtigten sollten vom Staat emittierte, festverzinslichen Wertpapieren ähnliche Schuldscheine erhalten; diese Titel waren in Abhängigkeit von der jeweiligen Entschädigungssumme innerhalb von 6 bis 23 Jahren amortisierbar.109
Wenn die Agrarier auch nicht sofort die zugesprochene Summe in bar vom Staat erhalten konnten, so wurde ihnen doch die Möglichkeit eingeräumt, mit diesen Titeln eigene Schulden zu begleichen oder sie bei einer der nationalisierten Banken gegen Geld einzulösen. Gleichzeitig wurden die Titel auch von den Finanzbehörden als Zahlungsmittel anerkannt, mit dem man vor dem 1.1.1977 entstandene Steuerschulden tilgen konnte.110
Entschädigungsgesetz und „lei-Barreto” waren nur durchsetzbar, weil sich das politische Klima in Portugal grundlegend gewandelt hatte.
Erlaubte das „lei 77/77” die partielle oder gar vollständige Revision des 1975 begonnenen Bodenumverteilungsprozesses, so korrigierte die durch „lei 80/77” materialisierte Anerkennung von Ansprüchen der Großagrarier und Unternehmer auf ihren ehemaligen Besitz das politische Urteil, das die Revolution über die einstige soziale und politische Rolle dieser Klasse gesprochen hatte. Beide Gesetze waren der politischen und sozialen Logik und Moral der Revolution direkt entgegengesetzt; beide stellten das Prinzip der Unverletzlichkeit des Privateigentums wieder her.
Zum Inhaltsverzeichnis des Buches.
[…] Teil XIX 6.2 Das „lei-Barreto“ und die Wandlung der politischen Philosophie Teil XX 6.3 Die Perspektiven der Agrarreform unter dem „lei-Barreto“ Teil XXI 6.4 Das Entschädigungsgesetz vom August 1977 Teil […]