
50 Jahre Nelkenrevolution ■ Die UHUDLA edition und LDFL startet eine „Jubiläumsartikel“ Serie und ein wissenschaftlich, historisches Buchprpojekt über „Die Auseinandersetzungen um die portugiesische Agrarreform 1976 bis 1985. Zur Restaurierung vorrevolutionärer Macht- und Eigentumsverhältnisse am Beispiel der Kooperativen der Agrarreformzone“. Teil X
Von Martin Leo
3.3 Die Landarbeiter und die „freiwillige Kollektivierung”
Ähnlich erklärt sich die Tatsache, weshalb sich im Alentejo die „sofortige und freiwillige Kollektivierung”46 anstelle einer individuellen Bodennutzung durchgesetzt hatte. Bei einer Teilung der vorhandenen Böden47 in fünf bis zehn Hektar große Stücke hätten die Landarbeiter, denen oft das Notwendigste für den Familienunterhalt gefehlt hatte, die Felder nicht bestellen können, weil ihnen weder Geld noch Geräte und Vieh, weder Dünger noch Saatgut zur Verfügung gestanden hätten.
Die Region verfügte nur über einen geringen Anteil wertvoller Böden
Bei einer von Borowczak zugrundegelegten Durchschnittsfläche von 6,7 ha für jede private Parzelle48 wären unter diesen Vor-aussetzungen Betriebe dieser Größenordnung kaum lange lebensfähig gewesen. Impulse für die Modernisierung wären von ihnen nicht ausgegangen.49
So war der Kollektivismus nicht nur ein Mittel der „wirtschaftlichen Verwaltung”50, sondern eine Organisationsform, die die ökologischen und sozialen Verhältnisse nahe legten. Darüber hinaus entsprach der Kollektivismus, der sozialen Schutz bot, den Traditionen und Erfahrungen eines Landproletariats, das schon lange vom Bodeneigentum getrennt war und seinen Kampf seit Generationen nicht um persönlichen Bodenbesitz, sondern um sichere Arbeit und sicheren Lohn geführt hatte.51
Dass die Erde „allen und keinem”52 gehörte, war die vorherrschende Auffassung der Landarbeiter des Alentejo, die zwar das Eigentum des arbeitenden Kleinbauern anerkannten, nicht jedoch den latifundistischen Grundherrn.53
Wo Gleichheit („igualdade”) und Einheit („unidade”) die „zentralen Werte”54 der Landarbeiterkultur darstellten, ergaben sich die neuen Produktionsformen auch aus dem „Bewußtseinshorizont“ und den „Handlungsmöglichkeiten”55 dieser Arbeiterschaft.
Gegner eines sozialistischen Agrarreformprojekts betrachteten jedoch die Kollektivgüter weniger als Ergebnis von Bestrebungen eines soziokulturell und organisatorisch zur Einheit tendierenden Landproletariats, das „unmittelbar Selbstbestimmung und Solidarität”56 verwirklichen wollte, sondern fast ausschließlich als Frucht linker und kommunistischer Agitation. Von ihnen wurden die UCP‘s als eine „Art ‚Fremdkörper‘” innerhalb der portugiesischen Nation dargestellt, als eine durch die Lohnpraxis der Sowchosen verbesserte Kolchosenart58, als ein Modell, das „aus der Sowjetunion importiert worden ist.”59
Aus diesem Blickwinkel gesehen verrieten die UCP‘s nur „einen einzigen Lehrherrn – die Kommunistische Partei”60, die die Arbeitermassen in den Kollektivgütern ihren „Befehlen”61 unterstellte.
Die These, die Landarbeiter hätten in den Auseinandersetzungen während des Faschismus und in den Monaten nach dem 25. April lediglich um Arbeit gekämpft, während ihr Enteignungen und Kollektivierung erst von der PCP als ideologische Ziele aufgedrängt worden seien62, suggerierte nicht nur das Vorhandensein anderer, systemkonformer Arbeitsbeschaffungsmöglichkeiten (beispielsweise auf Basis moderner kapitalistischer Agrarbetriebe); sie versuchte nicht nur, die politisch und sozial zentrale Frage der Beschäftigung zu beantworten, ohne dabei die Frage des Bodens zu stellen, sondern sie kleidete die Auseinandersetzung mit einer sozialistischen Reformkonzeption in das Gewand eines politischen „Befreiungskampfes”63 gegen die Vorherrschaft der Kommunistischen Partei im Alentejo, einer Partei, „die die Forderung nach einer Agrarreform in den verschiedenen Phasen der nachrevolutionären Entwicklung immer eindeutig unterstützte”64 und die „grundlegend für die ideologische und politische Orientierung der Landarbeiter”65 war.
Politisch wurde die Agrarreform nach Borowczak „stets nur von der Kommunistischen Partei, dem ‚historischen Alliierten‘ der südportugiesischen Landarbeiter, verteidigt.”66 Indem die Agrarreform aber als das ausschließliche Werk einer voluntaristischen Gruppe, einer von den Massen isolierten Avantgarde interpretiert wurde, wurde zugleich ihre demokratische Legitimität in Frage gestellt.
Die Landreform wurde reduziert auf ihre Fehler, Irrtümer, Übertreibungen und auf den Enteignungsakt
In diesem Sinne wurde der von Lopes Cardoso 1976 unternommene Versuch, Mängel des revolutionären Prozesses zu benennen, um sie zu korrigieren und die Agrarreform durchzusetzen, von Beginn an auch innerhalb der PS von agrarreformfeindlichen Kräften genutzt, die politischen Akzente gänzlich zu verschieben. So erklärte der führende PS-Funktionär und spätere Minister Sottomayor Cardia im April 1976 unmissverständlich, die PS werde die „Politik der Eliminierung der Latifundien konkretisieren und korrigieren, aber nicht nur der privaten, traditionellen Latifundien, sondern auch des Parteilatifundiums.”67
Zum Inhaltsverzeichnis des Buches.
[…] 25. November 1975 Teil VIII 3.2 Die neuen Produktionseinheiten in der Latifundienzone Teil IX 3.3 Die Landarbeiter und die „freiwillige Kollektivierung” Teil […]