Maasais mutige Frauen

Kenia_Frauen

Zillertaler Ärztin Maria Schiestl leitet Gesundheits- und Sozialzentrum ■ Bilder aus Kenia hat zuletzt Ulrich Seidl mit seinem verstörenden Film „Paradies: Liebe“ über weiblichen Sextourismus in Tourismusressorts an den Stränden des Indischen Ozeans gepflanzt. Wer es romantischer haben will, sei an „Jenseits von Afrika“ erinnert. 30 Jahre alt, mit Streep, Redford und Brandauer.  
Lokalaugenschein in Kenia, mit Text und Fotos von Hannes Schlosser,
erschienen in der UHUDLA Ausgabe 106/2017

Die Loita-Hills im Südwesten Kenias sind eine wunderschöne, sanfte Landschaft, geprägt von 40 Prozent Wald und weitläufigen Weideflächen jenseits der 2000-Höhenmeter-Marke.

Auf einer Fläche von knapp 2.000 Quadratkilometern (ein Sechstel von Tirol) leben hier rund 25.000 Angehörige der Loita-Maasai. Das Dorf Entasekera mit seinen wenigen hundert EinwohnerInnen liegt im Zentrum des Gebiets und beherbergt auch zwei Schulen.
Hier leitet die aus dem Zillertal stammende Ärztin Maria Schiestl ein in den frühen 1990er-Jahren gegründetes Gesundheits- und Sozialzentrum. Die katholische Männerbewegung unterstützt das Projekt seit langem, kürzlich hat sie Schiestl für ihre Arbeit mit dem Romero-Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Der Preis ist nach dem Befreiungstheologen und Erzbischof von El Salvador Oscar Romero benannt, den faschistische Todesschwadronen der damals herrschenden Militärjunta wegen dessen sozialen Engagement 1980 ermordet hatten.

Familiäre Gewalt und Verstümmelung sind markant rückläufig. Der Besuch von Schulen durch Mädchen erreicht inzwischen 50 Prozent

In Gesundheitszentrum in Entasekera wird gute medizinische Arbeit geleistet. Behandelt wird ein breites Spektrum an Erkrankungen, darunter Durchfallerkrankungen, Lungenentzündung, Bronchitis, Brucellose (weil Männer nach einer Schlachtung die Niere roh essen), TBC, HIV sowie Mangel- und Fehlernährung. Dank der Höhenlage spielt Malaria kaum eine Rolle

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Maria Schiestls wichtigste Leistung besteht wohl darin, erkannt zu haben, dass soziale Veränderungen nur über die Entwicklung der Frauen möglich sind. In einwöchigen Kursen erfahren jeweils 30 bis 60 Frauen etwas über Familienplanung, Hygiene, Frauenrechte, Krankheiten und Prävention, Haushaltsführung, und Ernährung.
Sie werden angeleitet sich gegen Genitalverstümmelung zu wehren und oft können die Frauen erstmals in ihrem Leben Emotionen zeigen und weinen, gelten doch Tränen als Ausdruck des Widerstands. Rund 1.000 Frauen haben bereits diese Empowerment-Kurse besucht und zu tiefgreifenden sozialen Veränderungen beigetragen: Familiäre Gewalt und weibliche Genitalverstümmelung sind markant rückläufig, der Schulbesuch von Mädchen erreicht inzwischen 50 Prozent.
„Wir müssen die Mütter stärken, damit sie ihre Kinder, ihre Töchter mehr beschützen, das ist der einzige Weg“, betont Schiestl. Das wachsende Selbstbewusstsein der Frauen führt auch dazu, dass diese mit dem Anbau von Gemüse zum Familieneinkommen beitragen – das gefällt auch den Männern.
Die Loita-Maasais gelten unter den 15 in Kenia und im angrenzenden Tansania lebenden Maasai-Gruppen als die traditionsbewusstesten. Das heißt im Klartext: eine grausam-patriarchale Kultur, in der unter Tradition verstanden wird, dass Frauen weniger zählen als ein paar Rindviecher, zwölfjährige Mädchen einer der massivsten Formen der Genitalverstümmelung unterworfen werden, um sie wenig später zu schwängern.
Die Zahl der Rinder, Schafe und Ziegen bestimmt den Status eines Maasai-Mannes und damit auch, ob ihm eine oder mehrere Frauen zustehen. Die Maasai waren nomadische Gruppen, die in Kenia mit ihren Viehherden durch die Hochebenen und die weiten Flächen des Rift-Valleys (= ostafrikanischer Graben) gezogen sind. Sie kannten keine Landbesitz. Jetzt wird im ganzen Land heftig parzelliert, unter der Obhut der kenianischen Regierung und unter der Losung „Landreform“.

Der Landraub, das „Landgrabbing“ hat bereits vor 100 Jahren unter Schirmherrschaft der britischen Kolonialherren begonnen

Auf der 270 Kilometer langen Fahrt von Nairobi nach Entasekera durch das Rift-Valley (zur Hälfte auf abenteuerlichen Rumpelpisten) kann man zuschauen, wie die Zäune aus dem Boden schießen. Drei Männer vom Typus Desperado trifft meine journalistische Reisegruppe bei der Arbeit an.
Parallel zur Straße graben sie in einem Abstand von weniger als einem Meter Löcher und schlagen zwei Meter lange, grob zugeschnittene Pflöcke aus Zedernholz in den trockenen Boden. Ihr Auftraggeber ist ein regionaler Politiker namens XY, erzählen sie freimütig. Die Pflöcke werden dann noch vom Boden bis in eineinhalb Meter Höhe in geringen Abständen mit festen Plastikschnüren verbunden und fertig ist der Claim. Da kommen weder Wildtiere wie Zebras, Antilopen oder Giraffen mehr durch, geschweige denn die Maasais mit ihren Herden, sie müssen sesshaft werden.
„Die Wanderung der Maasais ist zu Ende“, formuliert es Maria Schiestl. Wo sich Maasais dagegen wehren, werden sie kriminalisiert. Ende 2015 hat das ZDF von zwei in Handschellen abgeführten Maasais berichtet. Mangels Weideflächen waren sie mit ihren Tieren ins Gebiet des Maasai-Mara-Nationalparks, nicht weit von Entasekera, ausgewichen. Als Löwen zwei ihrer Rinder rissen, rächten sich die beiden Männer und legten Giftköder für die Löwen aus. Es war nicht der erste Giftanschlag auf Löwen, das Pech der beiden Maasais: es waren berühmte Löwen aus einer BBC-Dokumentation.
Der Landraub, das „Landgrabbing“ hat bereits vor 100 Jahren unter Schirmherrschaft der britischen Kolonialherren begonnen: je fruchtbarer das Land, desto größer die Ranches der weißen Siedler, umso imposanter ihre Wohnburgen.
Ein Landräuber wie Herr XY kann heutzutage besonderes Glück haben, wenn zufällig das eben unter seine Fittiche genommene Land entlang der Route der chinesischen Eisenbahnbauer quer durch Kenia liegt.
14 Milliarden Dollar investiert die chinesische Import-Export-Bank in das Projekt. Die gleich mitgebrachten chinesischen Arbeiter leben völlig isoliert von der einheimischen Bevölkerung in Anlagen, die an Gefangenenlager erinnern. Hohe Mauern, Wachtürme, außerhalb patrouillieren schwer bewaffnete schwarze Militärs.

Der „freie“ Handel besteht darin, dass die EU unbeschränkt nach Kenia exportiert und mit subventionierten Produkten regionale Märkte ruiniert

Wie auch in anderen Ländern treibt die auf vielfältige Weise betriebene Landflucht die Menschen in die überquellenden Städte. Die Hauptstadt Nairobi hatte 1979 nur 800.000 Bewohnerinnen, inzwischen sind es mehr als drei Millionen. Winzige Orte, wie die Bezirksstadt Narok, auf halbem Weg von Nairobi nach Entasekera sind innerhalb weniger Jahre von wenigen hundert auf 50.000 Menschen explodiert.
Die kenianische Hauptstadt Nairobi erfreut sich des zweifelhaften Ruhms, dass sich im Südwesten seines Stadtgebiets das Slum Kibera befindet: mit einer geschätzten EinwohnerInnenzahl von einer Million die größte informelle Siedlung Afrikas. Wer durch Kenia reist wird nur wenige große Verkehrshinweisschilder vorfinden – kaum montiert findet sich jemand, der für ein so schönes Blechstück eine bessere Nutzung als Hüttendach vorgesehen hat.
Und was macht unser aller EU? Sie zwingt den ostafrikanischen Staaten das Freihandelsabkommen EPA auf. Der „freie“ Handel besteht darin, dass die EU nach und nach ungebremst zum Beispiel nach Kenia exportieren kann und mit hochsubventionierten Agrarprodukten wie Butter und Käse regionale Märkte ruiniert.
Als sich Kenia 2015 gegen den ungleichen Vertrag wehrte, belegt die EU bislang zollfreie Importe von Blumen und Gemüse mit hohen Strafzöllen. Binnen Wochen standen zahlreiche Firmen in Kenia vor dem Bankrott, entließen massenhaft ArbeiterInnen, die zuvor via Landflucht in die Städte gelangt waren. Kenia gab rasch nach und unterschrieb, jetzt wird das Abkommen schrittweise umgesetzt. Die Spielregeln für diese Schritte werden in Europa festgelegt. Ein Europa, das sich dann weiter darüber wundern darf, warum der Flüchtlingszustrom aus Afrika nicht aufhört.
Nairobi liegt auf einer Hochebene von der eine relativ steile, enge, ständig verstopfte, unfallträchtige Straße hinunter ins Rift-Valley führt. Am unteren Ende steht eine 1942 gebaute schlichte Kapelle, die an die italienischen Kriegsgefangenen erinnert, welche diese Straße gebaut haben. Als das faschistische Italien 1935 seinen absurden Abessinienkrieg entfachte, entstand ein italienisches Kolonialgebiet, das über die Grenzen des heutigen Äthiopien hinausreichte. Während des Zweiten Weltkriegs vertrieben die britischen Kolonialherren die italienischen Besatzer.
Ein Teil von Mussolinis Soldaten geriet dabei in Gefangenschaft und die Engländer hielten einige tausend Italiener in ihrer benachbarten Kolonie Kenia fest. Die Idee, diese Arbeitskräfte für die Errichtung einer wichtigen Infrastruktur einzusetzen, war sicher nicht die dümmste in diesen Jahren.

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