Bild-Reportagen über Land & Leute in Portugal


Hélène de Beauvoir
■ Simone de Beauvoir – den Namen der Philosophin, Schriftstellerin und Frau an der Seite von Jean-Paul Sartre kennen viele. Kaum bekannt ist die Geschichte ihrer jüngeren Schwester Helene de Beauvoir, eine Malerin, die einige Zeit in Portugal lebte.

Von Henrietta Bilawer

Hélène hatte einen kurzen Besuch bei einer befreundeten Familie in der Algarve geplant. Die Reise fiel in die Zeit, als Nazi-Deutschland 1940 Frankreich überfiel.

So verlängerte sich der geplante Aufenthalt Hélène de Beauvoirs – schließlich blieb sie fünf Jahre lang in Portugal und heiratete hier, nachdem ihr langjähriger Freund Lionel de Roulet ihr am Strand von Senhora da Rocha einen Antrag gemacht hatte. Hélène hatte Lionel in Paris als Schüler Sartres kennen gelernt, er war später nach Faro gereist, wo seine Mutter lebte und er seine Knochentuberkulose ausheilte.

1940 kam Hélène de Beauvoir mit dem Zug in Lissabon an

Sie schilderte die Stadt später als „weiß, schön und angenehm“ und wurde zu einigen Bildern inspiriert. Hélène de Beauvoir hatte in Paris bereits eine Karriere als Malerin begonnen; von nun an würde sie sich an einen neuen bildnerischen Kontext anpassen müssen. Hélènes Schwester Simone stattet Portugal im Jahr 1945 einen Besuch ab und beschrieb, was sie sah, als ein „Land mit afrikanischen Farben, blühend mit Mimosen und übersät mit Agaven, steile Klippen, die mit einem Ozean zusammenstoßen, der von der Süße des Himmels beruhigt wird, weiß getünchte Dörfer, Kirchen eines Barocks, der umsichtiger ist als der von Spanien“. So hat es auch Hélène gemalt, polychrom sind ihre Porträts eines ländlichen Alltags in einem “neuen Licht, so anders als l’Ile de France.“

Bei ihrer Ankunft in Faro wurde Hélène de Beauvoir von der Familie von Lionel de Roulet erwartet: Lionels Mutter Hélène Laure de Coninck und sein Stiefvater Carlos Filipe Porfirio. Letzterer war ebenfalls Maler, eine bekannte Persönlichkeit in der Gesellschaft von Faro und später Gründer und Direktor des heutigen ‘Museu Regional do Algarve’. Er hatte in Paris gelebt und hatte einen starken Bezug zu den Menschen im Künstlerviertel Montparnasse, wo er auch Hélènes Schwester Simone kennen gelernt hatte. Einen Monat lang lebte Hélène in Faro im Haus der Familie Porfírio in der Rua Reitor Teixeira Guedes 71, unweit des ‘Mercado Municipal’.

Als sich abzeichnete, dass ein Rückkehr nach Frankreich nicht realistisch sein werde, zog Hélène in ein Haus, das sie als „charmant“ empfand und dessen großer Innenhof, umgeben von hohen, weiß getünchten Mauern, mit Blumen geschmückt war. Seine Besitzerin, eine alte Dame, wusch und trocknete in diesem Innenhof ihre Wäsche. Das Gemälde „Portugaise lavant son linge dans la cour“, 1942 in Faro gemalt (im Bild), hat diese Szenerie eingefangen, mit künstlerischer Fantasie erweitert um Blumenkästen und einem Hühnerstall.

Mit der Unterstützung von Lionel, dem damaligen Leiter der Delegation des Französischen Instituts in Faro (heute Alliance Française do Algarve), fand Hélène Arbeit und unterrichtete Französisch, was sie später in Loulé an der inzwischen aufgelösten ‘Sociedade Recreativa Artística Louletana’ fortsetzte. Zeitgenossen und ehemalige Schüler der Künstlerin beschrieben sie als „elegant“ und mit großer Zuneigung zu ihren Schülern. Hélène der Beauvoir war zudem zwei Jahre lang Hauslehrerin von Maria Josefa Magno Mexia de Matos, die später den in der Algarve bis heute bekannten ehemaligen britischen Konsul José Pearce de Azevedo heiratete, einen Enkel von Manuel Teixeira Gomes, dem siebten Staatspräsidenten Portugals.

Hélène opponierte mit Intellektuellen gegen das Salazar Regime

Hélènes Mann Lionel de Roulet kannte viele einflussreichen Intellektuelle der Algarve, die gegen das Salazar-Regime opponierten. Im September 1942 gründete Lionel die portugiesisch-französische Zeitschrift ‘Afinidades’ zunächst mit eigenen Beiträgen und Arbeiten von Hélène de Beauvoir sowie weiteren Artikeln über Kunst und Malerei. Die Zeitschrift mit Lionel als Herausgeber wurde rasch zum künstlerischen Pool bekannter Intellektueller, unter ihnen aus der Algarve der Arzt und Autor Francisco Fernandes Lopes, der Anwalt und Poet Cândido Guerreiro, der Arzt und Maler Abel Salazar, der Autor Moisés B. Amzalak, der Schriftsteller und Übersetzer Adolfo Casais Monteiro, der Maler und Schriftsteller Mário Dionísio, der Historiker Joel Serrão, der Schriftsteller Manuel da Fonseca und die französischen Kollegen André Gide, Paul Teyssier, Albert Camus, Antoine de Saint-Exupéry, André Malraux, Paul Éluard und Simone de Beauvoir.

Hélène fühlte sich in dieser interkulturellen Verschmelzung zwischen Frankreich und Portugal “den Menschen näher, egal wer sie waren, woher sie kamen, keine Grenze konnte sie trennen.” Und es beflügelte sie in ihrer Tätigkeit als Malerin, die sie weitgehend nachmittags, nach Schulschluss ausübte. Sie enthüllte die soziale Realität mit neuer Leuchtkraft und Farben, die zuvor nicht zu ihrer Palette gehört hatten. Sie schildert bildlich unumwunden die harte Arbeit der Menschen, zeigt leidende Gesichter und auch die schwer lastende Hitze eines Sommer-Nachmittags. Mit ihrem Mal-Stil bewahrte sie das Wesentliche im Bezug auf Themen, Darstellungen und Farben.

Hélène de Beauvoir besuchte im Lauf der Jahre Leiria und den nahe gelegenen Badeort São Pedro de Moel, reiste unter anderem nach Lousã, Tomar, Nazaré, Coimbra und hielt sich wiederholt in Lissabon auf. In all diesen Jahren hörte sie nie auf zu malen und Portugals Motive sollten zeitlebens ihre Werke prägen.

Simone de Beauvoir schilderte bei dem bereits erwähnten Besuch 1945, wie sie “Gruppen von Männern und Frauen sah, die sich über den Boden beugten und in einer rhythmischen Bewegung hackten: rot, blau, gelb, orange, ihre Kleider glänzten in der Sonne. Aber ich machte mir keine Illusionen mehr; es gab ein Wort, das das Gewicht zu messen begann: Hunger. Unter den bunten Stoffen waren diese Menschen hungrig; sie liefen barfuß, mit verschlossenem Gesicht; und in den falsch anmutigen Dörfern bemerkte ich ihre verhärmten Blicke; unter der erdrückenden Sonne brannte eine wilde Verzweiflung in ihnen.“

Hélène malt mit Hingabe immer wieder Frauen der Arbeitswelt

Obwohl diese Botschaft Hélènes Ölgemälde und Aquarelle dominierte und somit ein anderes Portugal zeigte als das idyllische Land, das der ‘Estado Novo’ präsentieren wollte, lobten die Kunstkritiker Hélène de Beauvoirs Werke. In der Sammlung, die die Malerin der Universität Aveiro überlassen hat, befinden sich Bilder, die sich auf die Stadt Albufeira beziehen. Die Darstellung von vertäuten Booten und emsigen Fischern, die mal Ladung auf- und abladen und mal Netze flicken sind ein wiederkehrendes Thema.

Auch die mühsame Arbeit in der Landwirtschaft findet sich in Hélènes Malerei und in zahlreichen gesammelten Skizzen, die Last- und Arbeitstiere auf den Feldern zeigen, erschöpfte Frauen und Männer, die gelegentlich einmal ausruhen oder die Arbeit für eine Mahlzeit unterbrechen und auch Kinder inmitten dieser Szenarien.

In ihren Werken beschäftigt sie sich mit Portugals Frauen bei der Arbeit in den Salinen, als Verkäuferinnen auf den Märkten, bei der Ernte, wo sie die Männer unterstützt, zu Hause, wo sie sich um die Wäsche kümmern, ohne die Kinder zu vernachlässigen. Hélène de Beauvoir zeigt Frauen als Motor, der die lokale Wirtschaft antreibt, das Haus versorgt und andere tägliche Aufgaben erledigt. Dabei geht die Malerin teilweise sehr symbolisch vor: Die Art und Weise, wie Hélène Frauenfiguren in die Landschaft einbezieht, zeigt eine Verbindung zwischen der Frau und den Elementen der Natur: Wasser, Himmel und Erde. Sie malte Porträts von Frauen aus verschiedenen Gesellschafts-Schichten, die teilweise regionaltypische Kleidung tragen.

Hélène schätzte und respektierte die kulturelle Vielfalt ihres Gastlandes und erhob die plastische Darstellung zu ihrer eigenen persönlichen Erfahrung. Fotos zeigen sie in Leiria, wie sie einen Krug mit Wasser auf dem Kopf trägt, gekleidet in eine Bauerntracht.

Portugiesisches Alltagsleben von Hélène in’s Bild gemalt

Viele Bilder Hélènes können als Bild-Reportage über das portugiesische Alltagsleben in der ersten Hälfte der 1940er Jahre gelten. In Leiria entstanden während eines einmonatigen Aufenthaltes auf Einladung der Stadtverwaltung auch einige Werke mit der Stadt im Mittelpunkt sowie zahlreiche Skizzen. Nach der Heirat mit Lionel, die in der französischen Botschaft in Lissabon stattfand, blieb das Paar für rund ein Jahr in der Hauptstadt. Hélène ist froh über den Ortswechsel, denn sie braucht neue Szenarien, um ihre Inspiration zu beleben. In Lissabon richtete sie ein Atelier in der Avenida Duque de Loulé 126 ein und begann dort, auch privaten Kunst-Unterricht zu geben.

Sie reist auch nach Lousã. Farbintensiv malt Hélène bergige, mit Vegetation gesprenkelte Landschaften, mal mit Schieferhäusern, mal mit dem weiß gekalkten Turm der Stadtkirche. In der Nähe von Setúbal diente der Strand von Galapos als Vorlage für einige emotionale Gemälde, denn an diesem Ort erfuhr Hélène im August 1944 von der Befreiung von Paris durch die Alliierten. Von nun an schien eine Rückkehr nach Paris möglich, was nach dem Ende des Krieges auch geschah.

Das Ehepaar de Beauvoir-Roulet besuchte in den folgenden Dekaden noch viele Orte in verschiedenen Teilen der Welt und lässt sich schließlich in Goxwiller im Elsass nieder, wo Lionel de Roulet im Jahr 1990 mit 80 Jahren starb. Hélène de Beauvoir wurde 91 Jahre alt und starb am  5. Juli im Jahr 2001 (verschiedene Quellen nennen den 1.Juli als Sterbedatum).

Henrietta Bilawer stammt aus Köln, lebt in Portimao an der Algare im Süden Portugals. Sie ist Journalistin, Übersetzerin, Lektorin und Dozentin.

Die Bilder zum Artikel waren in einer Ausstellung im städtischen Museum in Faro zu sehen:
* Portugaise lavant son linge dans la cour (1942)
* Sur la digue en Algarve (1941)
* Deux vieux à l’hôpital à Lisbonne (1944)

 

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