Waffenstillstand und ein Ende der Barbarei

© UdSSR. Sowjetische Briefmarke 1983 mit dem Text: „Palästina wird sich durchsetzen”.

Merkel, Scholz und Habeck ■ Von einem deutschen Staat, der seine Bürger noch zur Räson bringen will.

Ich denke: Nein. Man wird einer derartigen Staatsräson sogar zwingend widersprechen müssen. Von Martin Leo

Ein Freund schrieb, die deutsche Solidarität mit Israel stehe vor dem historischen Hintergrund des Holocaust und der Shoa völlig ausser Frage. Nur ob man das schwülstig gleich zur “deutschen Staatsräson” erklären müsse, wie schon Angela Merkel und vor kurzem auch Olaf Scholz dies getan haben, könne und dürfe man in Frage stellen und diskutieren.

Die Solidarität “mit Israel” ist und darf keinesfalls in Deutschland  Staatsräson sein

Von Staatsräson zu reden, hieße von vornherein, unser Denken und Reden, unsere Meinungsfreiheit auf ein obrigkeitsstaatliches, angeblich übergeordnetes allgemeines  Ziel auszurichten: Wer da nicht mitmacht, handelt dann gegen “die Staatsräson”.

Steht das schon unter Strafe oder kommt das noch?  Woher kommt dieser Begriff überhaupt? Steht er im Grundgesetz? Oder sind wir irgendwie  gefragt worden?
Zur Erinnerung:
Was war die Lehre aus dem Faschismus für Deutsche und Deutschland?
„Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“
Die demokratische Opposition in Israel sieht  jedoch Rechtsextremisten, religiöse Fanatiker und Faschisten an der Macht.

Unsere Solidarität kann nur einem demokratischen, antifaschistischen Israel gelten

Wer Israel helfen will, verlangt das sofortige Ende der Jahrzehnte alten  völkerrechtswidrigen  Besatzungs –  und Kriegspolitik, die den militärischen Widerstand gegen die Armee (und nur gegen diese)   nicht nur als legal, sondern ihn  sogar als einzigen Ausweg erscheinen lässt.

Welchen Nutzen ziehen eigentlich die Menschenrechte der  Palästinenser aus dieser uns auferlegten deutschen Staatsräson?
Sie werden uns eines Tages politisch und moralisch mitverantwortlich machen für unser  erneutes Versagen: Denn kann man eine Staatsräson anerkennen, die nicht den Schutz aller Menschen in den Mittelpunkt stellt und die ausschließlich einem Apartheids- und Besatzungsregime dient?
Wir konnten von entsetzlichen rassistischen Vernichtungsfantasien israelischer Politiker hören und lesen. Wer  kann da in der Ideologie und in der Bereitschaft, zur vernichtenden Tat  zu schreiten, einen wirklichen  Unterschied zu den deutschen Nazis erkennen?

Jetzt musste von Netanjahu selbst ein „Kultur“- Minister entfernt werden, der die Atombombe auf Gaza werfen möchte. Für  welche  „Kultur“ steht diese Faschist? Unterscheidet sie sich von der Kultur der uns bekannten Bücher- und Menschenverbrenner?

Sie treiben die Menschen in Gaza zusammen, schicken sie in Fallen, zerstören ihre Krankenhäuser, ihre  Schulen, Moscheen und Kirchen  mitsamt der dort Hilfe suchenden Menschen… Ist das wirklich etwas anderes als die Verbrennung von in Kirchen oder Synagogen  eingeschlossenen Weißrussen oder  Juden? Muss man wirklich erst Gaskammern für den Massenmord haben?

Und noch einmal – Mit diesem Israel erklären wir uns solidarisch? Mit Faschisten?

Unsere eigentliche Lehre aus dem Faschismus muss doch heissen, jeder Art von Rassismus, Herrenmenschentum und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu widersprechen.

Mit „Staatsräson-Solidarität“ beweisen wir der Welt, wie wenig wir vom Naziregime und von uns selbst verstanden haben.
Etwas von „Wiedergutmachung“ für den Holocaust  schwingt hier mit, als liesse sich der durch bedingungslose Gefolgschaft wieder gut machen. Es geht dabei, ahnt man, gar nicht um das Wohl Israels. Es geht um die Auslöschung der Erinnerung an den Holocaust, indem man den jüdischen Staat dabei unterstützt, die eigene Unschuld nun ebenfalls vollständig zu verlieren:
„Wir sind an Eurer Seite, egal was Ihr macht!“
Es ist eine Falle, die Antisemitismus nicht etwa verhindert, sondern ihn im Gegenteil neu erzeugen wird.

Ist das ein demokratischer Rechtsstaat, der eine derartige Staatsräson benötigt?

Und auf welche Weise wird er seine Bürger dann wohl erst zu dieser Räson bringen wollen, wenn seine Staatsräson bereits einer fremden  Gewaltherrschaft dient?

„Bestien“, „menschliche Tiere“…  dürfe man kollektiv bestrafen. Das sagt uns nicht „Israel“, aber es sagen dessen aktuelle Repräsentanten. Und das praktiziert dieses Israel nun auch täglich.
Von wem haben sie das gelernt? Und ihr Rassismus sagt ihnen dennoch, das sei in ihrem Fall legitim. Ist deutscher Job das Schmierestehen beim Völkermord?
Oder müssten wir ihnen nicht zurufen:

„Haltet ein – werdet nicht, wie wir waren!“
Wenn wir dieser Logik, die aus Arabern  Tiermenschen macht, nur „Solidarität mit Israel“ entgegen setzen und gegen unsere ungefragte Einvernahme für Kriegsverbrecher durch Scholz und Habeck nicht lautstark protestieren, dann können wir später nicht einmal sagen, wir hätten ja nichts davon gewusst.

Das ist ein großer entsetzlicher Unterschied im Vergleich mit der Vergangenheit:

Dem Holocaust wohnte nicht die gesamte Welt bei. Beim Völkermord im Gazastreifen aber  ist das so. Und die USA haben mit ihrer Flotte im Mittelmeer dieses Verbrechen erst ermöglicht. Die ganze denkende Welt versteht das. Das ist wie eine Geiselerschießung vor den Augen der übrigen Dorfbewohner, die sich aus Angst vor den Verbrechern nicht wehren können.

Tun sie es doch, droht der Bandenchef mit dem Überfall auf ganze Länder; auf den Iran, auf Libanon, auf Syrien. Das politische und moralische Dilemma ist perfekt.
Niemand will weiteren eskalierenden Krieg. Aber die Fortsetzung der Massaker ist eine permanente Provokation und unerträglich. Die Welt wird zu einer weiteren moralischen Bankrotterklärung gezwungen.
Es ist zugleich eine Falle, in die man den Widerstand treiben will. Und wenn er in diese Falle nicht gehen will, dann geht er in die andere und verliert moralisch, da er sich vorführen ließ.
Und die Menschen werden weiter gezielt getötet, der Gazastreifen ethnisch gesäubert, der Widerstand gebrochen, nicht nur in Gaza.
Diese Verbrechen gegen die zur Geisel genommene Gaza-Bevölkerung ohnmächtig ertragen zu müssen, den Tätern nicht Einhalt gebieten zu können, wird wohl neue Generationen weltweit  politisch empören und aufwecken.

Was hier und heute geschieht – auch mit der deutschen Staatsräson im Rücken – wird die israelische Gesellschaft nach Innen und Aussen brutalisieren und zersetzen. Das demokratische Israel wird sich davon selbst befreien müssen. Und genau dafür und nur dafür wäre tatsächlich nicht nur deutsche Solidarität  einzufordern und gerechtfertigt.

Einmal mehr muss die Welt erkennen, dass Menschenrechte nicht für alle gelten

Diese andere Welt teilt heute jedoch aktuelle   Erkenntnisse miteinander: Der Welthegemon USA trägt die eigentliche Verantwortung für die Entwicklung Israels zu einer atomar bewaffneten Macht, die sich über jedes internationale Recht wie selbstverständlich hinweg setzt. Gaza wird zum Sinnbild ihrer regelbasierten Ordnung.

Diese andere Welt begreift auch gemeinsam, dass die Demütigung Gazas zugleich ihre eigene ist.   Die Antwort darauf wird ihr Zusammenschluss gegen das Imperium sein, damit sich kein Gaza jemals wiederholt.

Russland, China und andere Länder werden alles tun müssen, um einen Weltkrieg zu verhindern. Das dürfte deren Staatsräson sein, denn sie haben – anders als das gegenwärtige Deutschland – weise Führungen.

Wahre „deutsche Staatsräson“ kann jetzt nur eines verlangen:
Jeglichen Druck auf Israel auszuüben, das Völkerrecht einzuhalten. Das bedeutet momentan: „Abschluss eines sofortigen Waffenstillstands!”
Martin Leo, Jahrgang 1955 ist Politwissenschaftler, Autor und lebt in Lagos, Portugal. Er ist Aktivist und Mitgründer der Linken Deutschsprachigen Freunde Lagos LDFL.

Kommentar verfassen