Gute Gewerkschafter werden rar ■ Am 13.Dezember verstarb der ehemalige Vorsitzende der IG Medien der Bundesrepublik Detlef Hensche im Alter von 85 Jahren. Der Gewerkschafter und Jurist Hensche stand für kampfbereite Gewerkschaften.
Ein Nachruf von Martin Leo
Als stellvertretender Vorsitzender der einflussreichen IG Druck und Papier seit 1983 war er für deren Tarifpolitik verantwortlich.
Der Fusion mit der Gewerkschaft Kunst zur IG Medien, deren Vorsitzender er von 1992 bis 2001 war, folgte 2001 der Zusammenschluss zur Gewerkschaft ver.di. Dort trat Hensche nicht mehr zur Wahl an.
„da sich die SPD ‚mit ihrer Zustimmung zur Agenda 2010 zu einer Politik des Sozialabbaus und einer Gesellschaft der sozialen Kälte bekannt‘ habe“, wie er „bitter“ seinen Austritt begründet habe. Nach Hensches Meinung sei „zu wenig gestreikt“ worden.
2005 trat Hensche der Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative (WASG) bei, die später in der Partei Die Linke aufging. 2012 schrieb Hensche in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“, deren Mitherausgeber er war, über die in Parteiprogramme gesetzten Hoffnungen:
„Wenn Programme die Welt verändern könnten, hätten wir längst andere Verhältnisse.“
Zwei Jahre später setzte er sich an gleicher Stelle mit „einer Besonderheit deutscher Staatsauffassung“ auseinander, die heute selbst in der Partei Die Linke ihre Anhänger findet, nämlich dass das Gemeinwohl – wie bei der Definition des Treueverhältnisses des deutschen Beamten zum Staat – „nach zählebiger Vorstellung objektiv vorgegeben“ sei. Für Hensche war das „eine autoritäre Festlegung dessen, was dem Gemeinwohl frommt“:
„Dass das Gemeinwohl – soweit der Begriff überhaupt Sinn macht – nicht von oben vorgegeben ist, sondern erst aus gesellschaftlicher Konfliktaustragung und öffentlicher Debatte gewonnen werden kann, diese liberale ‚westlich-aufklärerische‘ Auffassung beleidigt die autoritäre Sehnsucht nach Gewissheit”.
Und es ließe sich in diese „Festlegung, was dem Gemeinwohl frommt“, natürlich auch die verordnete Sichtweise auf den Ukrainekrieg als „unprovozierten russischen Angriffskrieg“ einbeziehen. Wer dies anders betrachtet, ist ein Feind des Staatswesens, sogar ein Feind der Demokratie und wird gegebenenfalls belangt.
Der Verlust von Persönlichkeiten wie Hensche schwächt die deutsche Widerstandsfähigkeit gegen neue Obrigkeitsstaatlichkeit.
Tatsächlich repräsentierten sie als Gewerkschafter unabhängig davon, wo sie vielleicht parteipolitisch eingebunden waren, gute gewerkschaftliche Traditionen. Uns fallen da aus der Vergangenheit noch andere wichtige Persönlichkeiten der (west-)deutschen Gewerkschaften ein. Zum Beispiel Leonhard Mahlein oder Willi Bleicher. Bei Strafe des eigenen Untergangs und der Schwächung gewerkschaftlicher Gegenmacht wird man zu deren Erbe wieder zurück kehren müssen.
Überhaupt darf man gespannt sein, wie vor allem die Bundesrepublik Deutschland gesellschaftlich mit der strategischen Niederlage der NAZO umgehen wird, die jetzt mehr noch als zuvor zu erwarten ist.
Gibt es zunächst einfach noch mehr vom Schlechten? Wird man weiter so machen, nur noch aggressiver?
Wie könnte man also deren politischen Fähigkeiten, ihrer Treue zu demokratischen sowie sozialen Grundrechten und zum Frieden in Zukunft noch vertrauen?
Unabhängig davon, wie man im Einzelnen zur DDR stand, hat deren Untergang und die ungerechtfertigte, einseitige und selbstgerechte Interpretation der deutschen Geschichte letztlich ebenfalls zur heutigen absoluten deutschen Selbstüberschätzung und Blindheit geführt.
Das trug mit zu dem bei, was Detlef Hensche 2014 die „Neuinterpretationen der Katastrophen des 20. Jahrhunderts in ihrer Gesamtheit“ nannte, deren Ergebnis für ihn „eine wundersame Freisprechung der deutschen Eliten von politischer Verantwortung“ gewesen war.
Eine neue Generation von Sozialdemokraten, die auch die Politik Brandts in die Tonne getreten hat, steht heute zugleich für den Verzicht jedes Anspruchs auf soziale Reformen und Gerechtigkeit.
Die Niederlage jedes ehrlichen linken Denkens insgesamt nach 1989 führte auch in den Gewerkschaften zu einer verschärften Entpolitisierung.
Dafür genau steht, was man dort heute als Führung sehen kann.
“Demnächst” steht überall ein glaubwürdiger Führungswechsel an, dem ein Politikwechsel folgen muss
Passiert das nicht, wird man eines Tages den gleichen Weg aus einer viel tieferen Talsohle heraus antreten müssen, wobei die Kosten der Umkehr noch höher sein werden.
Ohne Hensche, aber sicher in seinem Sinne wird man dann gegen eine weitere „wundersame Freisprechung der deutschen Eliten von politischer Verantwortung“ kämpfen müssen.