Die „Hensches” sterben aus

Detlef Hensche

Gute Gewerkschafter werden rar ■ Am 13.Dezember verstarb der ehemalige Vorsitzende der IG Medien der Bundesrepublik Detlef Hensche im Alter von 85 Jahren. Der Gewerkschafter und Jurist Hensche stand für kampfbereite Gewerkschaften.

Ein Nachruf von Martin Leo

Als stellvertretender Vorsitzender der einflussreichen IG Druck und Papier seit 1983  war er für deren Tarifpolitik verantwortlich.

Der Fusion mit der Gewerkschaft Kunst zur IG Medien, deren Vorsitzender er von 1992 bis 2001 war, folgte 2001 der Zusammenschluss zur Gewerkschaft ver.di. Dort trat Hensche nicht mehr zur Wahl an.

Über Hensche kann man auf dem Portal des Westdeutschen Rundfunks (WDR) lesen, dass er 1963 in die SPD eintrat, die er 2003 wieder verließ,

„da sich die SPD ‚mit ihrer Zustimmung zur Agenda 2010 zu einer Politik des Sozialabbaus und einer Gesellschaft der sozialen Kälte bekannt‘ habe“, wie er „bitter“ seinen Austritt begründet habe. Nach Hensches Meinung sei „zu wenig gestreikt“ worden.

2005 trat Hensche der Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative (WASG) bei, die später in der Partei Die Linke aufging. 2012 schrieb Hensche in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“, deren Mitherausgeber er war, über die in Parteiprogramme gesetzten Hoffnungen:

„Wenn Programme die Welt verändern könnten, hätten wir längst andere Verhältnisse.“

Zwei Jahre später setzte er sich an gleicher Stelle mit „einer Besonderheit deutscher Staatsauffassung“ auseinander, die heute selbst in der Partei Die Linke ihre Anhänger findet, nämlich dass das Gemeinwohl –  wie bei der Definition des Treueverhältnisses des deutschen Beamten zum Staat –  „nach zählebiger Vorstellung objektiv vorgegeben“ sei. Für Hensche war das „eine autoritäre Festlegung dessen, was dem Gemeinwohl frommt“:

„Dass das Gemeinwohl – soweit der Begriff überhaupt Sinn macht – nicht von oben vorgegeben ist, sondern erst aus gesellschaftlicher Konfliktaustragung und öffentlicher Debatte gewonnen werden kann, diese liberale ‚westlich-aufklärerische‘ Auffassung beleidigt die autoritäre Sehnsucht nach Gewissheit”.

Vor diesem Hintergrund liesse sich heute sagen, dass zum Beispiel die Corona-Maßnahmen dem „vom Staat“ vorgegebenen Gemeinwohl dienten, deren Hinterfragung dieser autoritären Sehnsucht nach Gewissheit daher zuwider lief und weitgehend unterdrückt wurde und wird.

Und es ließe sich in diese „Festlegung, was dem Gemeinwohl frommt“, natürlich auch die verordnete Sichtweise auf den Ukrainekrieg als „unprovozierten russischen Angriffskrieg“ einbeziehen. Wer dies anders betrachtet, ist ein Feind des Staatswesens, sogar ein Feind der Demokratie und wird gegebenenfalls belangt.

Der Verlust von Persönlichkeiten wie Hensche schwächt die deutsche Widerstandsfähigkeit gegen neue Obrigkeitsstaatlichkeit.

Tatsächlich repräsentierten sie als Gewerkschafter unabhängig davon, wo sie vielleicht parteipolitisch eingebunden waren, gute gewerkschaftliche Traditionen. Uns fallen da aus der Vergangenheit noch andere wichtige Persönlichkeiten der (west-)deutschen Gewerkschaften ein. Zum Beispiel Leonhard Mahlein oder Willi Bleicher. Bei Strafe des eigenen Untergangs und der Schwächung gewerkschaftlicher Gegenmacht wird man zu deren Erbe wieder zurück kehren müssen.

Überhaupt darf man gespannt sein, wie vor allem die Bundesrepublik Deutschland gesellschaftlich mit der strategischen Niederlage der NAZO umgehen wird, die jetzt mehr noch als zuvor zu erwarten ist.

Gerade hat der russische UN-Vertreter gesagt,  dass jede Art von künftiger Vereinbarung mit der Ukraine die bedingungslose Kapitulation zur Voraussetzung haben wird. Das wird tatsächlich so sein müssen, denn ohne diese klare Festschreibung wird auch „im Westen“ die Überwindung der selbst verschuldeten Krise weder politisch noch psychologisch  möglich sein.

Gibt es zunächst einfach noch mehr vom Schlechten? Wird man  weiter so machen, nur noch aggressiver?

Und können wir ernsthaft von den für den bisherigen verhängnisvollen Kurs Verantwortlichen in Politik und Medien eine „Umkehr“ oder „Einsicht“ erwarten? Gibt es denn dort noch „Hensches“? Man sieht keine.

Wie könnte man also deren politischen  Fähigkeiten, ihrer Treue zu demokratischen sowie sozialen  Grundrechten und zum Frieden  in Zukunft noch vertrauen?

Das schreit nach einem kommenden „Führungswechsel“ bei allen etablierten politischen Organisationen, auch den Gewerkschaften. Das jedoch wird  umso schwerer oder sogar unmöglich, je weiter sich zum Beispiel  die Parteien inhaltlich und auch personell von ihren früheren klügeren Positionen bereits verabschiedet hatten.
Nur zum Teil mag das auch eine Generationsfrage gewesen  sein.

Unabhängig davon, wie man im Einzelnen zur DDR stand, hat deren Untergang und die ungerechtfertigte, einseitige und selbstgerechte Interpretation der deutschen Geschichte  letztlich ebenfalls zur heutigen absoluten deutschen  Selbstüberschätzung und Blindheit geführt.

Das trug mit zu dem bei, was Detlef Hensche  2014 die „Neuinterpretationen der Katastrophen des 20. Jahrhunderts in ihrer Gesamtheit“ nannte, deren Ergebnis für ihn „eine wundersame Freisprechung der deutschen Eliten von politischer Verantwortung“ gewesen war.

Eine neue Generation von Sozialdemokraten, die auch die Politik Brandts in die Tonne getreten hat, steht heute zugleich für den Verzicht jedes Anspruchs auf soziale Reformen und Gerechtigkeit.

Die Niederlage jedes ehrlichen linken Denkens insgesamt nach 1989 führte auch in den Gewerkschaften zu einer verschärften Entpolitisierung.
Dafür genau steht, was man dort heute als Führung sehen kann.

“Demnächst” steht überall ein glaubwürdiger Führungswechsel an, dem ein Politikwechsel folgen muss

Passiert das nicht, wird man eines Tages den gleichen Weg aus einer viel tieferen Talsohle heraus antreten müssen, wobei die Kosten der Umkehr noch höher sein werden.

Ohne  Hensche, aber sicher  in seinem Sinne wird man dann gegen eine weitere „wundersame Freisprechung der deutschen Eliten von politischer Verantwortung“ kämpfen müssen.

Martin Leo (bis zur Emigration nach Portugal Mitglied der Gewerkschaft ver.di)

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